Vierfacher Plötzlicher Kindstod

Gendefekt als Ursache?

Der nachfolgend beschriebene Fall der australischen Mutter Kathleen Folbigg stellt einen schwierigen und komplexen Präzedenzfall dar, in dem australische Rechtsprechung und moderne Wissenschaft aufeinandertreffen.

Kathleen Folbigg wurde 2003 zu 40 Jahren Haft verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, ihre vier Kinder vor Erreichen des zweiten Lebensjahres erstickt zu haben. Ihr erstes Kind starb im Februar 1989 im Alter von 19 Tagen, diagnostiziert wurde ein Plötzlicher Kindstod. Ihr zweites Kind war blind und starb knapp zwei Jahre später im Alter von 8 Monaten an einem epileptischen Anfall. Ihr drittes Kind verstarb am Plötzlichen Kindstod im Alter von 10 Monaten und ihr viertes Kind verstarb im Alter von 18 Monaten mit zunächst ungeklärter Todesursache.

Die Urteilsbegründung stützte sich auf zweideutige Tagebuchnotizen, die der Polizei durch ihren Mann vorgelegt wurden. Darin nahm Folbigg Bezug auf den Mord ihres Vaters an ihrer Mutter im Jahr 1968. Sie erlebte diese Familientragödie im Alter von 18 Monaten. Nachdem drei ihrer vier Kinder verstorben waren, schrieb sie 28 Jahre später in Ihr Tagebuch: »Offensichtich bin ich die Tochter meines Vaters«. Folbigg bestand auf ihre Unschuld und ihre Aussage, dass ihre Kinder am Plötzlichen Kindstod verstarben.

Am 19. August 2020 zeigten Ergebnisse einer genetischen Analyse, dass Kathleen Folbigg an einer seltenen genetischen Erkrankung CALM2 leidet. Das Vorliegen dieser Krankheit kann zu Herzrhythmusstörungen und dem Auftreten des Plötzlichen Kindstods bei betroffenen Kindern führen. Weltweit sind mehrere Fälle bekannt, in denen eine vorliegende CALM2-Erkrankung des Kindes zu einem Plötzlichen Kindstod führte.

Bei den beiden verstorbenen Mädchen von Folbigg wurde nachträglich eine CALM2-Erkrankung diagnostiziert. Bei den beiden verstorbenen Jungen wurden ebenfalls genetische Besonderheiten festgestellt, die in Experimenten mit Mäusen zu epileptischen Anfällen führten.

Am 4. März 2021 schlossen sich 90 WissenschaftlerInnen einer Unschuldserklärung an, die sich für die vorliegenden Gendefekte der Kinder als Ursache eines Plötzlichen Kindstods aussprachen. Sie fordern, der Fehlentscheidung der Justiz stattzugeben und Kathleen Folbigg zu begnadigen.

Quelle: Cave D: She Was Imprisoned for Killing Her 4 Children. But Was It Their Genes All Along? The New York Times. 8.3.2021. www.nytimes.com/2021/03/08/world/australia/kathleen-folbigg-child-murder-genetics.html?action=click&module=News&pgtype=Homepage&fbclid=IwAR2iMaX8ZfPP0Qiv1Yz2eB6T7brHzEl07MKd3418OOU57TwuWjYbO-0cvH8 DHZ

Rubrik: Recht

Erscheinungsdatum: 22.03.2021