Indikation oder Ungeduld?

Zur Geburtseinleitung kursieren vielfältige Methoden unter Hebammen, Geburtshelfer:innen und Schwangeren. Die Auswahl reicht von Bewegung und Hausmitteln über mechanische Öffnung des Muttermunds, Naturheilkunde und Homöopathie bis zu synthetischen Hormonen. Ein wissenschaftlicher Blick auf die verbreiteten Ansätze. Prof. Dr. med. Sven Hildebrandt | Anne Wilkening
  • »Der natürliche Geburtsbeginn ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die Sicherheit der Geburt«

  • Die Betreuung schwangerer Frauen im Geburtszeitraum fordert die Sorgfalt und Kompetenz von Hebammen und Geburtshelfer:innen heraus – und vor allem die Geduld aller Beteiligten. Die Realität der heutigen Geburtshilfe ist jedoch bestimmt von Ungeduld. Diese geht natürlich oft von der Schwangeren und ihrer Umgebung aus. Denn nach wie vor wird das absurde Verständnis eines »Geburtstermins« vermittelt und dessen Überschreiten als »Verspätung« fehlinterpretiert. Aber auch die Geburtseinrichtungen bauen Druck auf das biologische System der Geburt auf. Denn sie halten noch immer an veralteten, unzulänglichen Leitlinien fest und gehen von unbegründeten forensischen Zwängen aus. Die Folge dieser problematischen Entwicklungen ist eine Geburtseinleitungskultur, die inzwischen zu den bedeutsamsten Risikofaktoren der modernen Geburtshilfe zählen dürfte.

    Fast jede vierte Geburt wird mit künstlichen Mitteln herbeigeführt. Somit schwebt über einer Vielzahl von Paaren am Ende der Schwangerschaft das »Damoklesschwert« der Einleitung – und der Versuch liegt nahe, mit möglichst natürlichen Mitteln das Dilemma zu lösen. Aber wie sicher und wie wirksam sind diese Methoden? Was müssen Hebammen bei ihrer Anwendung beachten?

     

    Erstaunliche Kompensationsbreite

     

    Die Geburt ist ein sich selbst regulierendes System, das mit einer erstaunlichen Kompensationsbreite störende Faktoren auszubalancieren vermag. Dies gilt uneingeschränkt auch für die geburtsauslösenden Mechanismen, bei denen fein abgestimmte und äußerst fragile endokrine Trigger zusammenwirken. Im Zentrum steht dabei ein paradoxes Feedback zweier Hormone, die sich – abweichend von der sonst üblichen Selbstregulation – im Moment des Geburtsbeginns in positiver Rückkopplung gegenseitig verstärken: Prostaglandin E2 (PG-E2) und das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH). Am Ende der Schwangerschaft werden durch zunehmenden Druck auf das untere Uterinsegment PG-E2 und durch die kindliche Reife CRH ausgeschüttet – und die Geburt setzt ein.

    Bei Frühgeburten kommt es vorzeitig zu einer pathologischen Stimulation eines der beiden Hormone: Bei Infektionen oder bei Überdehnung der Gebärmutter wird PG-E2 aktiviert, bei Stress oder Plazentainsuffizienz CRH. Genau auf diesen Regelmechanismus zielen auch die meisten Methoden der künstlichen Geburtseinleitung ab. Beim verbreiteten »Portio-Priming« wird zum Beispiel Prostaglandin lokal oder systemisch appliziert und damit das paradoxe Feedback stimuliert.

     

    Das System springt nicht an ...

     

    Die Indikation zur Geburtseinleitung ist ausnahmslos ein Versagen der endokrinen Selbstregulation: Das Kind müsste dringend geboren werden, aus welchen Gründen auch immer. Aber das System springt nicht an. Die Entscheidung zur künstlichen Induktion der geburtsauslösenden Mechanismen setzt immer die Abwägung zwischen den möglichen Gefahren oder Nachteilen bei Fortbestehen der Schwangerschaft und den mit dem Eingriff in die natürlichen Mechanismen verbundenen Risiken voraus. Ein bestimmtes Schwangerschaftsalter ist prinzipiell keine Indikation. Dieser Grundsatz gilt in gleicher Weise für alle alternativen Methoden.

    Das bedeutet, egal von wem, wann und warum in den natürlichen Prozess des Geburtsbeginns eingegriffen wird: Niemals darf dies ohne hinreichende Indikation und ohne sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Ungeduld oder »Terminzwänge« – von wem immer auch ausgeübt – begründen diese in jedem Fall schwerwiegende Intervention nicht. Immerhin greifen wir in ein fragiles Regulationssystem ein, auch mit harmlos erscheinenden Methoden – und letztlich beschneiden wir unter Umständen das kindliche Grundrecht, seine individuelle intrauterine Lebenszeit vollständig auskosten zu dürfen.

     

    Schwangere werden selbst aktiv

     

    Neben den größtenteils unbegründeten medizinischen Bedenken gegen eine verlängerte Schwangerschaftsdauer spielt die Ungeduld aller Beteiligten – sowohl von den Paaren selbst ausgehend oder von außen auf sie übertragen – eine ganz wesentliche Rolle bei den Interventionen im Geburtszeitraum. Ungeduld ist jedoch keine Indikation für ein erzwungenes vorzeitiges Ende einer Schwangerschaft. Etwa die Hälfte aller Schwangeren probiert zumindest eine alternative Methode zur Geburtseinleitung aus (Chaudhry 2011):

    • Laufen, Bewegung (43 %)
    • Sex (29 %)
    • scharfes Essen (11 %)
    • Stimulation der Mamillen (8 %)
    • Abführmittel, Selbstbefriedigung, Akupunktur oder Kräuter.

    Frauen, die alternative Techniken versucht haben, waren eher jünger, hatten weniger Kinder, waren weiter fortgeschritten in der Schwangerschaft und haben schließlich mit größerer Wahrscheinlichkeit vaginal geboren (Chaudhry et al. 2011).

    Die »Selbsttherapie« ist somit ein ernst zu nehmender Faktor bei der Beurteilung des Interventionsgeschehens am Ende der Schwangerschaft. Damit wird die große Bedeutung einer guten Geburtsvorbereitung deutlich, die ausdrücklich die Rolle der Geduld und den verantwortlichen Umgang mit verlängerter Schwangerschaftsdauer und Geburtsprovokationsversuchen beinhalten sollte.

     

    Unterschiedliche Wirkungsweisen der Methoden

     

    Generell greift jede wirksame Einleitungsmethode in das empfindliche endokrine Regelsystem der Geburt ein. Allerdings hängen das Ausmaß, die Bedeutung und damit das Risiko dieser Intervention von mehreren Faktoren ab. So ist es ein Unterschied, ob die körpereigene Prostaglandinsynthese stimuliert oder das Prostaglandin künstlich verabreicht wird. Bei jeder externen Hormonzufuhr kann es zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Down-Regulation der Hormonrezeptoren kommen, mit der sich das System vor einer Überstimulation schützt. Die Folge ist ein »Abstumpfen« der Regulationsmechanismen: Die vorhandene Hormonmenge reicht nicht mehr für eine ausreichende Wirkung aus.

    Gut beschrieben sind beispielsweise die Vorgänge bei der Gabe von künstlichem Oxytocin. Angesichts unphysiologisch hoher Dosen kommt es zur Down-Regulation, was zu einem relativen Oxytocinmangel in der Plazentarperiode mit Atoniegefahr führen kann. Nach dem gleichen Prinzip wirken auch Eingriffe in das Prostaglandinsystem – mit der Folge eines verzögerten Geburtseintrittes und protrahierter Geburtsverläufe. Insofern kann man die verschiedenen Einleitungsmethoden gut hinsichtlich ihres Eingriffs in die Biologie der Geburt einordnen (siehe Kasten).

     

    Einleitungsmethoden

     

    Von Nelkenöl bis Oxytocin

    Einleitungsmethoden – sortiert nach aufsteigendem Belastungspotenzials:

    • zervixreifende Maßnahmen der Naturheilkunde (z.B. Nelkenöl-Tampon)
    • zervixreifende Maßnahmen mechanischer Art (z.B. Ballonkatheter)
    • Oxytocinrezeporreifung aus der Naturheilkunde (z.B. Himbeerblättertee)
    • natürliches Oxytocin (z.B. Mamillenstimulation)
    • natürliches Prostaglandin
    • synthetisches Prostaglandin
    • synthetisches Oxytocin.

    Im Folgenden beschreiben wir die Durchführung der hierzulande üblichen Maßnahmen zur Geburtseinleitung sowie die vorliegenden Evidenzen zu Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Risiken.

     

    Naturheilkundliche Maßnahmen zur Zervixreifung

     

    Nelkenöltampons

    Nelkenöl wird mit Nachtkerzen- oder Mandelöl verdünnt, auf ein Tampon geträufelt und vaginal appliziert. Nelkenöl stimuliert inflammatorische Gewebeprozesse und damit das körpereigene Prostaglandinsystem, wodurch die Zervixreifung provoziert wird. Dies bedingt auch die mit 20 % relativ häufig auftretenden Nebenwirkungen von Gewebereizungen bis hin zu handfesten anaphylaktoiden Reaktionen, zum Beispiel eine generalisierte Haut­rötung. Nelkenöl darf nur verdünnt und niemals innerlich angewendet werden (Leberschädigung).

    Evidenz: Eine Studie (n = 177) verzeichnet bei 32 % einen Wehenbeginn (Dörken 2004).

    Ungeklärt ist die Frage, inwieweit Nelkenöl – wie von vielen aromatischen Ölen bekannt und therapeutisch genutzt – das vaginale Ökosystem beeinflusst und welche Auswirkungen dies auf die für die Entwicklung des kindlichen Mikrobioms essenzielle Beimpfung des Kindes mit dem mütterlichen Vaginom bei der Geburt haben könnte.

    Rizinusöl

    Rizinusöl wird in unterschiedlicher Dosierung und Mixtur verabreicht, zum Beispiel mit Mandelmus, Aprikosensaft, Bockshornkleesamen und Eisenkraut als orale Anwendung. Traditionell gab es Beimengungen von vergorenem Traubensaft oder neuzeitlich auch Sekt.

    Der wirksame Bestandteil des Öls ist Rizinolsäure, die die Prostaglandinrezeptoren am Myometrium und am Darm aktiviert. Dies erklärt auch die relativ häufig auftretenden Nebenwirkungen, etwa Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.

    Evidenz: Die Datenlage zur Wirksamkeit von Rizinusöl in oraler Anwendung ist unzureichend und uneinheitlich. Eine abschließende Beurteilung ist daher nicht möglich. Generell muss von einer analogen Wirkung zum synthetischen Prostaglandin ausgegangen werden – mit durchaus ähnlicher Effektivität und damit ernst zu nehmendem Risikoprofil (Gefahr uteriner Überstimulation).

    Deshalb sollte der verbreitete lockere Umgang mit dem »Wehencocktail« kritisch hinterfragt werden. Keinesfalls darf er als Selbstmedikation angewendet oder der Schwangeren mit nach Hause gegeben werden. Die S2k-Leitlinie zur Geburtseinleitung lehnt die Gabe im »ambulanten Setting« und außerhalb klinischer Studien generell ab (AWMF 2021).

    Entschließt sich eine Hebamme dennoch, der Schwangeren einen Rizinuscocktail zu empfehlen, sollte sie folgende Regeln einhalten:

    • sorgfältige Indikationsstellung: Ungeduld und Erreichen eines Schwangerschaftsalters ist keine Indikation! Allerdings könnte die »drohende« Prostaglandineinleitung durchaus einen Versuch begründen – aber nur, wenn dieser Intervention die gleiche Ernsthaftigkeit und Sorgfalt entgegengebracht wird.
    • Aufklärung der Schwangeren über Risiken und Nebenwirkungen – und insbesondere über die abweichenden Empfehlungen der aktuellen Leitlinie: Es empfiehlt sich ein standardisierter Aufklärungstext. Eine Unterschrift ist nicht nötig, erhöht aber die forensische Sicherheit.
    • Einnahme des Cocktails in der Geburtseinrichtung: Bei geplanter Hausgeburt muss die Hebamme die entsprechende Zeit bei der Schwangeren verweilen.
    • engmaschige CTG-Kontrollen: mindestens bis zum vollständigen Abklingen der körperlichen Reaktion (Darm).

     

    Mechanische Maßnahmen zur Zervixreifung

     

    Zervix-Dilatatoren

    Bereits im 18. Jahrhundert erweiterte man den Muttermund künstlich mit Ballons, Spekulablättern (Smellie 1752) oder eigens angefertigten Dilatatoren, zum Beispiel um 1900 mit dem Zervix-Dilatator nach Sims. Bis weit ins letzte Jahrhundert hinein war diese Methode trotz ihrer starken Invasivität sehr beliebt: Binnen weniger Minuten wurde der Muttermund auf 10 cm dilatiert! Heute ist diese Methode wegen der großen Verletzungs- und damit Blutungsgefahr obsolet.

    Eipollösung

    Dagegen wird die so genannte »Eipollösung« nach wie vor von Hebammen und Gynäkollog:innen angewendet. Letztlich handelt es sich dabei um eine ziemlich heftige mechanische Manipulation an der Portio, mit der das endogene Prostaglandinsystem aktiviert wird.

    Für die Schwangere ist die Maßnahme unangenehm und schmerzhaft. Und sie birgt eine erhebliche Verletzungsgefahr (Zervixriss).

    Evidenz: Ein Cochrane-Review aus 44 Studien (n = 6.940) bescheinigt der Methode eine unerwartet hohe Effektivität. Demnach führt sie zu einer erhöhten Rate von spontanem Wehenbeginn, verkürzt die Schwangerschaftsdauer signifikant und reduziert damit die Notwendigkeit anderer Einleitungsmethoden (Finucaine 2020). Die neue 2k-Leitlinie zur Geburtseinleitung akzeptiert deshalb die Eipollösung als mögliche Einleitungsoption (AWMF 2021).

    Dennoch darf nicht vergessen werden: Die Schwangere empfindet die Anwendung oft als gewaltvoll und übergriffig.

    Moderne Zervix-Ballon-Katheter

    Auch hier wird das endogene Prostaglandinsystem mechanisch stimuliert. Dies gelingt mit den modernen Ballonsystemen wie Foley-Katheter (de Vaan et al. 2019), Attad-Katheter oder Doppel-Ballon-Katheter deutlich schonender als mit den Fingern oder mit Dilatatoren. Denn die Hauptwirkung ist der prostaglandinaktivierende Reiz, nicht die mechanische Erweiterung.

    Evidenz: Mehrere Reviews und Metaanalysen bescheinigen der Methode im Vergleich zur direkten Prostaglandinanwendung die gleiche Effektivität bei geringeren Risiken (seltenere Überstimulation) (AWMF 2021).

    In der Gesamtschau scheint das Risiko-Nutzen-Verhältnis bei modernen Ballonkathetern gegenüber allen anderen Methoden günstiger zu sein.

    Amniotomie

    Auch die künstliche Eröffnung der Fruchtblase führt über eine akute Erhöhung des mechanischen Drucks auf das untere Uterinsegment zu einer indirekten Stimulation des endogenen Prostaglandinsystems. Es handelt sich allerdings um einen schwerwiegenden Eingriff in das System der Geburt mit erheblichen Unwägbarkeiten für die Geburtsmechanik und Risiken wie Nabelschnurvorfall oder Infektion. Eine Amniotomie sollte niemals bei unreifem Befund oder als alleiniges Einleitungsverfahren angewendet werden. Sie verlangt eine strenge Indikation.

    Evidenz: Die Datenlage zur Anwendung als isolierte Einleitungsmethode ist unzureichend und unsicher. Auch für die kombinierte Anwendung beispielsweise mit synthetischem Oxytocin gibt es keine zufriedenstellende Evidenz. Die alleinige Durchführung einer Amniotomie wird in mehreren Leitlinien nicht empfohlen (AWMF 2021).

     

    Naturheilkundliche Oxytocinrezeporreifung

     

    Geburtseinleitende Tränke wurden bereits im Alten Ägypten aus Mischungen von Rizinusöl mit anderen Kräutern und Essenzen hergestellt (Reif 2012). Im Mittelalter gab es ganze Bücher mit Rezepturen für Bäder, Wickel oder einen Sud zum Trinken. Verwendung fanden kriechender Günsel, Mistel, Engelsüß, Anis, Fenchel und Sennesblätter, Haselnuss mit Zucker in Wein zum Einnehmen oder weiße Nesseln und Blüten, weißer Klee zum Sieden und Dämpfen (Mandach 2009).

    Letztlich scheinen alle pflanzlichen Methoden auf eine Reifung des Oxytocin-Rezeptor-Systems hinzuwirken. Da der Geburtsbeginn in erster Linie durch die Prostaglandine gesteuert wird, könnte so der begrenzte Einleitungserfolg erklärbar sein.

    Himbeerblatt-Tee

    Himbeerblättertee soll sich günstig auf die Durchblutung der Gebärmutter auswirken, Verkrampfungen im Beckenbereich vorbeugen und den Muttermund weich machen. Allerdings soll die Wirkung nur eintreten, wenn die Schwangere den Tee über Wochen vor der Geburt trinkt.

    Evidenz: Im Tierversuch gab es unterschiedliche Effekte am Oxytocin-Rezeptor. Die Wirkung war dabei abhängig von der Art der Aufbereitung und der Schwangerschaftsphase (Zheng 2010).

    Andere Tees

    In der traditionellen Hebammenkunde werden Teemischungen aus Beifuß, Brombeerblättern, Eisenkraut (Verbena), Frauenmantel, Kreuzkümmel, Scharfgarbe und/oder Wermutkraut zur Wehenanregung verwendet.

    Evidenz: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass Kräutertees tatsächlich die Wehentätigkeit anregen. Andererseits werden bei Überdosierung oder durch Verunreinigung nachteilige Effekte beschrieben. Die Risiken dieser Kräuter sind noch nicht ausreichend erforscht. Beifuß, Spitzwegerich und Ambrosia können Allergien auslösen. In der Gesamtschau scheinen Kräutertees eher ungeeignet zur Geburtseinleitung.

    Nachtkerzenöl, Raponitikawurzelöl

    Aromatische Öle werden oral oder transdermal verabreicht. In keiner einzigen Publikation wird ein positiver Effekt auf die Geburtseinleitung nachgewiesen. Die orale Anwendung kann zu Kopfschmerzen und Gelenkbeschwerden führen (Reif 2012).

    Darmspülung, Einläufe

    Schon der Geburtshelfer Ernst Bumm empfahl Anfang des letzten Jahrhunderts: »Der Einlauf ist oft das beste Wehenmittel!« (Pschyrembel 1964). Spülungen in Kombination mit ätherischen Ölen wie Muskatellersalbei waren verbreitet und sollten hormonell unterstützend wirken.

    Evidenz: Es gibt keinen nachweisbaren Effekt auf die Geburtsdauer. Wegen der nicht unbedeutenden Belastungen für die Schwangere (und auch für deren Mineralhaushalt) gelten Einläufe und Darmspülungen heute als obsolet.

    Akupunktur

    Akupunktur ist trotz ihrer weiten Verbreitung in der Hebammenkunde keine effektive Methode zur Geburtseinleitung, unabhängig von der Art, Dauer und Häufigkeit der Anwendung. Akupunktur kann aber bei ängstlichen Müttern entspannen und angstlösend wirken.

    Evidenz: Die wissenschaftliche Datenlage ist allein wegen der Vielfalt verwendeter Akupunkturpunkte inhomogen und widersprüchlich. Zusammengefasst kann man sagen: Es gibt keinen nachweisbaren Nutzen, aber auch keine Nachteile.

    Einzelne Studien bescheinigen der Akupunktur zwar teils nicht signifikante Tendenzen einer bis zu 21 Stunden verkürzten Zeit bis zum Einsetzen der Geburt. Die große Mehrzahl der Studien kann jedoch keinen Effekt zeigen (Ajori 2012; Asher 2009).

     

    Homöopathische Maßnahmen

     

    Auch Homöopathie wird von vielen Hebammen mit dem Ziel angewendet, den Geburtsprozess einzuleiten. Die Arzneien, Potenzen und Applikationsformen sind dabei vielfältig.

    Evidenz: Es gibt keine Evidenz, dass homöopathische Methoden eine Geburtseinleitung bewirken (Smith 2001).

    Natürliches Oxytocin

    Das Oxytocin steuert die Austrittsperiode, während der Geburtsbeginn eher durch Prostaglandine ausgelöst wird. Entsprechend wirken alle Stimulationen des endogenen Oxytocinsystems in erster Linie auf die Wehendynamik im Geburtsverlauf – dort aber erstaunlich effektiv.

    Die Stimulation der Mamillen erhöht die Oxytocinausschüttung signifikant (Schröcksnadel 1990). Sie kann effektiv zum Auslösen von Wehen führen und die Wehen länger und intensiver machen. Allerdings sollte sie nur im geburtshilflichen Setting und unter CTG-Kontrolle stattfinden, weil sie zu einer Überstimulation der Wehentätigkeit (10 %) und zu pathologischen Herzfrequenzmustern (1 %) insbesondere bei gefährdeten Kindern (1 %) führen kann.

    Evidenz: Im Vergleich zu synthetischem Oxytocin gleichwertig – ohne Hinweise auf Down-Regulation im Sinne einer Atonie (Schröcksnadel 1990).

    Natürliches Prostaglandin

    Ein verbreiteter Mythos besagt, im männlichen Ejakulat befinde sich natürliches Prostaglandin, mit dem man eine Geburt einleiten könnte. In Wahrheit sind die Prostaglandinmengen so gering, dass erst nach 96 Ejakulationen die Wirkdosis einer Gabe Dinoproston erreicht würde (Reif 2012; Kainer 2021).

    Sexualität könnte dennoch über zwei Mechanismen einen positiven Effekt auf die Geburtsdynamik haben: Die mechanische Stimulation der Portio beeinflusst die endogenen Prostaglandinmechanismen, lustvoll erlebte Sexualität und insbesondere der Orgasmus stimulieren das endogene Oxytocinsystem.

    Evidenz: Kein Effekt auf den Geburtsbeginn nachweisbar (Tan 2007).

    Synthetische Hormone

    Eine Applikation von synthetischem Prostaglandin stellt einen erheblichen Eingriff in die natürlichen Regulationsmechanismen dar und ist – insbesondere bei unreifer Portio – immer an eine sehr sorgfältige Indikationsstellung gebunden.

    Prostaglandin E2 (Dinoproston)

    Dinoproston gilt bei unreifem Muttermundsbefund derzeit als »Priming-Methode« der Wahl. Es ist in verschiedenen Applikationsformen erhältlich, als Intrazervikal-Gel, Vaginaltablette, Vaginalgel oder Vaginal-Insert. Die vaginale Applikation gilt wegen des geringen Nebenwirkungsprofils und der relativ unkomplizierte Applikation bei gleicher Effektivität als die geeignetste Methode.

    Prostaglandin E1 (Misoprostol – Cyprostol®, Cytotec®)

    Misoprostol ist hoch effektiv und kostengünstig – und daher verbreitet und beliebt. Es bleibt bei Raumtemperatur stabil, was in Entwicklungsländern besondere Relevanz hat. Laut WHO gilt es als »dringend empfohlen« (WHO 2011).

    Die Kehrseite des Präparates besteht im vermehrten Auftreten uteriner Überstimulationen und pathologischer CTGs. Auch ist in Deutschland die Zulassungsfrage nach wie vor ungeklärt, weil kein Präparat mit der empfohlenen Einzeldosis von 25 µg zur Verfügung steht. Die Anwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung ist deshalb umstritten. Die Herstellerfirma Pfizer gab am 13. Februar 2020 bekannt, dass der Off-Label-Use des Medikaments Cytotec® »ausdrücklich nicht unterstützt oder gar beworben« werde. Unabhängig von jeglicher Dosierung und Verabreichungsform sei Cytotec® nicht für die Anwendung zur Einleitung einer Geburt zugelassen. Die Gefahr einer uterinen Überstimulation sei unbedingt ernstzunehmen (Pfizer 2020).

    Trotz der Bedenken wurde Misoprostol in die neue S2k-Leitlinie Geburtseinleitung als »wirksamstes Medikament bei unreifem Zervixbefund« aufgenommen (vorzugsweise 50 µg oral, alternativ 25 µg vaginal).

    Die Zulassung eines entsprechend dosierten Präparates ist in Vorbereitung.

    Synthetisches Oxytocin

    Die Anwendung von synthetischem Oxytocin zur Geburtseinleitung bedeutet aus zwei Gründen den größten Eingriff in das biologische System der Geburt:

    • Oxytocin wird in kleinen Hormonpulsen ausgeschüttet. Am Höhepunkt der Wehentätigkeit in der Austrittsperiode gibt das Gehirn über die Hirnanhangsdrüse alle 100 Sekunden einen Impuls ab (Mack 2010). Dieses Verhalten ist künstlich nicht nachzuahmen. Angesichts der ungepulsten Applikationsweise in unphysiologisch hohen Dosen besteht die Gefahr der Down-Regulation der Oxytocinrezeptoren bei der Mutter (Atoniegefahr) und beim Kind (Bindungs- und Stillprobleme).
    • Oxytocin ist in hohen Dosen kardiotoxisch. Die kritische Dosis wird bei 3 IE binnen 15 Minuten erreicht. 3 IE i.m. überschreiten die kritische Dosis um den Faktor 10, 3 IE i.V. um den Faktor 75.

     

    Andere Methoden – Mythen und Fakten

     

    Für die folgenden Methoden gibt es keine Evidenzen zur Wirksamkeit:

    Bewegung, Hausarbeit, Laufen

    Der Volksmund sagt: »Bewegung bringt Wehen in Gang.« Dies gilt aber streng genommen nur, wenn sie schon da sind! Laufen gilt als die am häufigsten angewendete Methode zur Wehenstimulation (43 %). Es kann die Frequenz und Stärke von Übungswehen anregen und bereits vorhandene Geburtswehen unterstützen. Außerdem sind die geburtsmechanischen Aspekte der Bewegung für den Geburtsfortschritt bedeutsam.

    Solange die moderate Bewegung der Mutter guttut, ist nichts dagegen einzuwenden. Sie bringt jedoch allenfalls indirekten Nutzen.

    Alkohol

    Das Histamin in Rotwein soll Wehen anregen. Allerdings sind die enthaltenen Histamindosen so gering und die Abbauraten bei Schwangeren so hoch, dass die Nachteile der Alkoholexposition des Kindes eindeutig überwiegen.

    Abgesehen davon gilt Alkohol als Oxytocinhemmer und dürfte sich eher negativ auf die Geburtsdynamik auswirken. Alkohol sollte in der Praxis einer Hebamme keine Rolle spielen.

    Scharfes Essen

    Ein verbreiteter Mythos besagt, scharf gewürzte Speisen würden Wehen anregen. Hierfür gibt es keinerlei Evidenz.

    Heißes Bad

    Warmes Wasser mit Badezusätzen wie Campher, Nelken, Ingwer, Eukalyptus, Eisenkraut, Zedernholz, Ysop, Rosmarin oder Zimt sollen die Gebärmutteraktivität stimulieren.

    Zweifelsfrei wirken Bäder entspannend und erhöhen das Wohlbefinden. Auf Wehen wirken sie jedoch außerhalb der Geburt eher bremsend. Hebammen verwenden das warme Bad oft als »Entscheidungsbad« zur Abgrenzung von Übungs- und Geburtswehen.

    Koffein und Chinin

    1 Liter Kaffee, schwarzer oder grüner Tee, Cola, Energydrinks, Bitter Lemon oder Tonicwater sollen Wehen begünstigen.

    Koffein kann – besonders in größeren Mengen – ungünstige Einflüsse bei Mutter und Kind haben (Erregungszustände, Schlafprobleme, Herzrasen).

    Fußreflexzonenmassage

    Die professionelle Massage von Körperregionen, die auf die Eierstöcke, Gebärmutter und Hypophyse aktivierend wirken, soll Wehen anregen. Die Verwendung von Eisenkrautöl als Massageöl soll zudem die Durchblutung anregen.

    Die Massage kann für die Schwangere genussvoll und entspannend sein, sie ablenken und das Wohlbefinden steigern – indirekt sind diese Effekte günstig für die Einstimmung auf die Geburt.

    Bauchmassage

    Bauchmassage im Uhrzeigersinn mit Ölen aus Zimt, Nelken, Eisenwurz oder Ingwer soll eine Gebärmutterkontraktion auslösen und die Verdauung anregen. Aber auch für die Bauchmassage gelten die möglichen indirekten Auswirkungen auf die Entspannung, das Wohlbefinden und die für die Geburt so wichtigen positiven Gedanken.

     

    Fazit

     

    Der natürliche Geburtsbeginn ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die Sicherheit der Geburt. Der Schutz dieses fragilen, fein abgestimmten Regulationssystems steht ganz im Zentrum der Betreuung im Geburtszeitraum. Die Aufgabe von Hebammen und Geburtshelfer:innen besteht in erster Linie darin, Blockaden dieser Prozesse zu erkennen und zu beheben. Dann und nur dann ist es notwendig, die Geburt künstlich einzuleiten. Ungeduld oder das Erreichen eines Schwangerschaftsalters sollten keine Indikationen für derartige Interventionen sein.

    Alternative Methoden zur Geburtseinleitung sind im Vergleich zu synthetischen Prostaglandinen nur begrenzt effektiv, richten aber auch weitgehend keinen Schaden an. Dennoch und gerade deshalb muss jede Anwendung sorgfältig abgewogen, der Schwangeren gut erklärt und der Beratungsprozess ausführlich dokumentiert werden.

    Richtig angewandt können einige der alternativen Methoden entspannend wirken, das Wohlbefinden der Mutter steigern und angstlösend sein. Ungeduldige Eltern werden möglicherweise abgelenkt, bis das Kind von allein bereit ist, den Geburtsprozess anzutriggern.

    Schwangeren sollte dringend davon abgeraten werden, allein zu experimentieren. Alternative Methoden zur Geburtseinleitung sollten nur nach Absprache mit der Hebamme und/oder Geburtshelfer:innen angewendet werden, da nachteilige Effekte nicht auszuschließen sind.

    Im Vordergrund steht die kompetente Begleitung der Eltern, die sich auf den unter Umständen zögerlichen Beginn der Geburt, auf das Einschwingen in das Gebären und auf ein geduldiges, demütiges Staunen über das große Wunder dieses Geschehens einlassen sollen.

    Rubrik: Ausgabe 10/2021

    Erscheinungsdatum: 28.09.2021

    Literatur

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    Asher GN, Coeytaux RR et al. : »Acupuncture to initiate labor (Acumoms 2): a randomized, sham-controlled clinical trial.« J Matern Fetal Neonatal Med 2009. 22(10): 843–848

    AWMF: S2k-Leitlinie 015–088 Geburtseinleitung. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-088.html

    Chaudhry Z, Fischer J, Schaffir J: Women‘s use of nonprescribed methods to induce labor: a brief report. Birth 2011. 38 (2), S. 168–171. DOI: 10.1111/j. 1523–536X.2010.00465.x

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    Dörken B, Frey C, Golz N: Geburtseinleitung mit Nelkenöltampons – erste...

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