Schwere Blutungen mit kalibriertem Entbindungstuch erkennen?
Eine frühzeitige Diagnose mit einem sogenannten Entbindungstuch und die konsequente Behandlung einer postpartalen Blutung haben in einer randomisierten Studie in mehreren afrikanischen Ländern die Zahl der schweren Komplikationen deutlich gesenkt. Die Ergebnisse der »E-Motive«-Studie wurden auf einer Tagung in Kapstadt vorgestellt und im New England Journal of Medicine publiziert.
Was bedeutet »E-Motive«?
Die Studie »E-Motive« (deren Name sich durch das im folgenden erklärte Akronym ableitet) hat untersucht, ob ein schnelles und konsequentes Handeln die Zahl der Komplikationen senken kann. Ein Kernstück ist die frühe Diagnose (»E« steht für »early detection and trigger criteria«) mit einem kalibrierten Entbindungstuch, das unter das Gesäß der Wöchnerin gelegt wird.
Das Blut fließt in einen Beutel. Dort zeigen aufgezeichnete Linien den Blutverlust an. Bei mehr als 500 ml (oder 300 ml und zusätzlichen Verdachtsmomenten) wird mit einer Reihe von Gegenmaßnahmen begonnen. Der erste Schritt ist eine äußere Massage (»M«) des Uterus bis zu einer spürbaren Kontraktion oder über eine Minute.
Dem schließt sich die intravenöse Injektion von 10 IU Oxytocin (»O«) an und später eine Infusion von 20 IU über 4 Stunden in 1.000 ml Flüssigkeit. »T« steht für die intravenöse Gabe von 1 g Tranexamsäure, »IV« für die intravenöse Flüssigkeit und »E« für eine anschließende gynäkologische Examination (einschließlich eines kompletten Ausstoßes der Plazenta), um im Notfall eine weitere Eskalation der Behandlung einzuleiten.
Zahlen im Vergleich
Für die Studie wurden 80 Krankenhäuser der sekundären Versorgungsstufe in Kenia, Nigeria, Südafrika und Tansania auf die »E-Motive«-Strategie oder die bisher durchgeführte Versorgung randomisiert. Der primäre Endpunkt war eine schwere postpartale Blutung mit einem Verlust von mindestens 1.000 ml Blut beziehungsweise eine Notfall-Laparotomie oder der Tod der Mutter.
Wie das Team um Arri Coomarasamy von der Universität Birmingham berichtet, kam es in der »E-Motive«-Gruppe bei 794 von 48.678 Frauen (1,6 %) nach der vaginalen Entbindung zu einem schweren Blutverlust gegenüber 2.139 von 50.044 Frauen (4,3 %) in der Vergleichsgruppe. Die Rate Ratio (Ratenverhältnis) von 0,40 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,32 bis 0,50 signifikant.
In der »E-Motive«-Gruppe wurde die postpartale Blutung bei 93,1 % der Frauen erkannt gegenüber 51,1 % der Frauen in der Normalversorgungsgruppe (Rate Ratio 1,58; 1,41-1,76). Eine adäquate Behandlung war bei 91,2 % versus 19,4 % erfolgt (Rate Ratio 4,94; 3,88-6,28).
In der »E-Motive«-Gruppe war mit 12 versus 7 Fällen häufiger eine Laparotomie durchgeführt worden. Die Zahl der blutungsbedingten Todesfälle (12 versus 18 Fälle) und der mütterlichen Todesfälle (17 versus 28 Fälle) war geringer.
Resümee
Wegen der geringen Gesamtzahl waren die Rate Ratios von 0,80 (0,38-1,68) bei den blutungsbedingten Todesfällen und von 0,73 (0,40-1,31) bei den Gesamttodesfällen jedoch nicht signifikant. Für Coomarasamy steht jedoch fest, dass die »E-Motive«-Strategie einen Beitrag zur Senkung der Müttersterblichkeit leisten kann.
Quelle: Gallos, I., Devall, A., Martin, J., Middleton, L., Beeson, L., Galadanci, H., Alwy Al-Beity, F., Qureshi, Z., Hofmeyr, G. J., Moran, N., Fawcus, S., Sheikh, L., Gwako, G., Osoti, A., Aswat, A., Mammoliti, K. M., Sindhu, K. N., Podesek, M., Horne, I., Timms, R., … Coomarasamy, A. (2023). Randomized Trial of Early Detection and Treatment of Postpartum Hemorrhage. The New England journal of medicine, 10.1056/NEJMoa2303966. Advance online publication. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2303966 ∙ aerzteblatt.de, 10.5.2023 ∙ DHZ