Kreatives Kreatin

Kreatin wird unter anderem in der Niere gebildet und wirkt organ- und zellschützend. Die Körpersubstanz kann beispielsweise bei einem Sauerstoffmangel unter der Geburt für das Kind wichtig werden. In Studien mit Stachelmäusen zeigte sich, dass eine gute Kreatin-Versorgung in der Schwangerschaft auch Zellen und Organe des Kindes schützt. Weitere Forschung ist notwendig. Dr. Theo Wallimann
  • Wenn Schwangere Fisch essen, erhöht dies ihren Kreatin-Wert. Dieser wiederum schützt das Kind vor den Folgen von Sauerstoffmangel unter der Geburt.

  • Das Kreatin ist eine natürliche Körpersubstanz. Bei Menschen, die sich omnivor ernähren (Allesfresser), kommt es mit rund 120 bis 140 Gramm pro 75 Kilogramm Körpergewicht vor. Kreatin wird zu rund 50 Prozent im Körper selbst hergestellt und zwar in den Nieren, der Bauchspeicheldrüse und in der Leber. Als Grundbausteine für die endogene, körpereigene Synthese von Kreatin werden Aminosäuren, Glycin, Arginin und S-Adenosin-Methionin benötigt. Die restlichen 50 Prozent Kreatin werden über die Nahrung aufgenommen, vorwiegend mit Fleisch und Fisch. Das hat zur Folge, dass VegetarierInnen und VeganerInnen im Allgemeinen weniger Kreatin in den Muskeln und anderen Organen aufweisen.

     

    Was ist und macht Kreatin?

     

    Die energetisch aufgeladene Form von Kreatin, nämlich das Phospho-Kreatin, funktioniert zusammen mit dem Enzym Kreatin-Kinase (CK) als Energiespeicher und Energie-Transportform besonders in denjenigen Körperzellen, die viel Energie benötigen, damit sie physiologisch optimal funktionieren. Rund 1,5 bis 2 Prozent der im Körper vorhandenen Menge des Kreatins werden täglich in das natürliche zyklisierte Abbauprodukt Kreatinin umgewandelt und über die Nieren mit dem Urin ausgeschieden. Wie viel Kreatinin genau ausgeschieden wird, ist in erster Linie gegeben durch die Muskelmasse, worin rund 80 bis 90 Prozent des Kreatins enthalten sind. Der durchschnittliche Kreatinin-Wert im Blut ist bei gesunden Menschen relativ konstant. Wenn aber die Nierenfunktion beeinträchtigt ist, wird weniger Kreatinin aus dem Blut über die Nieren ausgeschieden und der Kreatinin-Wert steigt somit im Blutserum an. Weil Kreatinin leicht und kostengünstig zu messen ist, hat sich dieser Wert als erster diagnostischer Marker für die Nierenfunktion etabliert.

    Oft sind sogar NephrologInnen der Meinung, dass es sich beim Kreatinin, das ja ein natürliches Abbauprodukt vom Kreatin darstellt, um eine schädliche Substanz handelt, was aber nicht zutrifft. Und da Kreatinin oft mit Kreatin verwechselt wird, wird dann argumentiert, dass auch Kreatin schlecht für die Nieren sei. Das stimmt ebenfalls nicht, weil die Nieren selbst an der Kreatin-Synthese direkt beteiligt sind und auch Kreatin und Phospho-Kreatin für eine optimale Nierenfunktion benötigen (Wallimann & Möddel 2013).

    Organe und Zellen des Körpers sind bei gut gefüllten Kreatin- und Phospho-Kreatin-Energie-Speichern gegen zelluläre Stresssituationen geschützt. Zu denken ist dabei zum Beispiel an Sauerstoffmangel bei hypoxischen Ereignissen unter der Geburt. Das heißt, dass Kreatin und Phospho-Kreatin nicht nur für die Zell-Energetik wichtig sind, sondern auch eine generell zellschützende Wirkung mitbringen.

     

    Forschung an der Stachelmaus

     

    Eine die Organe und Zellen schützende Wirkung konnten australische Forscher bei der afrikanischen beziehungsweise ägyptischen Wüstenmaus im Tiermodell zeigen. Wer hätte gedacht, dass diese Wüstenmaus, die viele relativ steife Sensor-Haare auf dem Rücken trägt und deshalb den Namen Stachelmaus (Spiny Mouse) erhalten hat, als Modell-Organismus für Schwangerschaft und Fortpflanzung beim Menschen dienen könnte? Im Gegensatz zur gewöhnlichen Maus hat sie auch einen Menstruationszyklus und eine doppelt so lange Schwangerschaft von rund 40 Tagen. Deshalb werden die zwei bis drei Jungen der Stachelmaus als frühreife Jungtiere mit offenen Augen und voll behaart geboren und sie verlassen das Nest bereits drei Tage nach der Geburt. Nun gibt es neue Ergebnisse einer australischen ForscherInnengruppe um Prof. David M. Walker von der Monash Universität in Melbourne: Wenn Kreatin ab Mitte der Schwangerschaft an die Stachelmäusemütter verfüttert wird, wird dieses nicht nur von der Mutter, sondern über die Plazenta auch von den Embryonen aufgenommen. Die Erhöhung des Kreatin- und Phospho-Kreatin-Spiegels im Gehirn, in den Zwerchfell- und Skelettmuskeln sowie auch in den Nieren der Embryonen bewirkt, dass diese Organe bei neugeborenen Mäusen von den schädlichen Folgen einer Geburt unter peripartalem Sauerstoffmangel (Ischämie, Hypoxie) signifikant geschützt sind (Ellery, Dickinson et al. 2016; Ellery, LaRosa et al. 2016).

    Mit anderen Worten: Wenn die Phospho-Kreatin- und Kreatin-Speicher in den Organen der Embryonen gut aufgefüllt sind, werden die verschiedenen Zellen dieser Organe signifikant resistenter gegen zelluläre Stressoren wie Sauerstoffmangel und gegen die Spätfolgen von gebildeten Sauerstoffradikalen geschützt, die sich nach Perfusion mit Sauerstoff nach einer Ischämie bilden (Dickinson et al. 2014). Wenn schwangeren Mäusemüttern Kreatin verabreicht wird, erhöht sich die Überlebenschance der Embryonen nach einer peripartalen Ischämie deutlich. Zudem werden die durch ein solches Ereignis ausgelösten negativen Spätfolgen auf die Nierenfunktion, die sich normalerweise bei jungen erwachsenen Mäusen manifestieren, durch Kreatin verhindert (Ellery, LaRosa et al. 2016). Gleichzeitig werden auch Gehirn, Zwerchfell- und Skelettmuskeln dieser Mäuse vor den schädlichen Auswirkungen und Spätfolgeschäden einer peripartalen Ischämie geschützt (Ellery, Dickinson et al. 2016).

     

    Resümee und Ausblick

     

    Die eindeutig positiven Ergebnisse mit der Stachelmaus lassen aufhorchen. Es ist wahrscheinlich, dass Kreatin auch menschliche Embryonen vor den Folgen einer Risikogeburt schützen könnte, obwohl bis heute noch keine vergleichbaren Studien mit schwangeren Frauen gemacht worden sind. Aufhorchen lässt aber eine prospektive Studie an Schwangeren und ihren Babys. Dieselbe australische Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass die Kreatin-Konzentrationen (nicht Kreatinin) in Blut und Urin der Schwangeren direkt mit dem Gewicht, der Körperlänge und dem Kopfumfang der Neugeborenen positiv korreliert sind (Dickinson et al. 2016). Das heißt, dass die Embryonen von Müttern, die mit Kreatin gut versorgt sind und deshalb höhere Kreatin-Werte in Blut und Urin aufweisen, besser gedeihen. Bemerkenswert ist, dass Mütter, die rauchen, niedrigere Kreatin-Werte in Blut und Urin aufweisen und dass deren Feten im Vergleich weniger gut gedeihen.

    Chemisch reinstes Kreatin wurde von der European Food Safety Agency (EFSA) bei einer täglichen Dosis von drei Gramm für Erwachsene als sicheres Nahrungsergänzungsmittel eingestuft. Daher scheint es auch auf Empfehlung der australischen ForscherInnen sinnvoll, dass Schwangere mit bekannten Geburtsrisiken im letzten Trimenon mit Kreatin supplementieren (Dickinson et al. 2014). Das gilt insbesondere für Frauen, die sich ausschließlich vegan oder vegetarisch ernähren. Detaillierte Studien in diese Richtung sind zu erwarten.

    Rubrik: Ausgabe 05/2017

    Erscheinungsdatum: 21.04.2017

    Literatur

    Dickinson H, Davies-Tuck M, Ellery SJ, Grieger JA, Wallace EM, Snow RJ, Walker DW, Clifton VL: Maternal creatine in pregnancy: a retrospective cohort study. BJOG 2016. Oct; 123(11):1830–1838

    Dickinson H, Ellery S, Ireland Z, LaRosa D, Snow R, Walker DW: Creatine supplementation during pregnancy: summary of experimental studies suggesting a treatment to improve fetal and neonatal morbidity and reduce mortality in high-risk human pregnancy. BMC Pregnancy Childbirth 2014. Apr 27; 14: 150–162

    Ellery SJ, Dickinson H, McKenzie M, Walker DW: Dietary interventions designed to protect the perinatal brain from hypoxic-ischemic encephalopathy: Creatine prophylaxis and the need for multi-organ protection. Neurochem Int 2016. May; 95: 15–23

    Ellery SJ, LaRosa DA, Cullen-McEwen L, Brown RD, Snow RJ, Walker DW, Kett MM, Dickinson H: Renal Dysfunction in Early Adulthood Following Birth Asphyxia in Male Spiny Mice, and its Amelioration by Maternal Creatine Supplementation...

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