Machen Weichmacher unfruchtbar?

Phthalate machen Kunststoffe biegsam. Die Chemikalien stecken in vielen Produkten, zum Beispiel Plastikflaschen, Lebensmittelverpackungen, Bodenbelägen oder Spielzeug. Auch in Farben, Deodorants, Nagellack und Körperlotionen sind sie enthalten. Manche Medikamentenhersteller verwenden sie sogar als Überzug für ihre Arzneimittel. Wie wirken sie im Körper und welche Gefahren bergen sie? Matthias Bastigkeit
  • Vor allem bei Wärme kann sich das Phthalat BPA aus dem Plastik lösen und aus Verpackungen in Lebensmittel und Getränke übergehen.

  • Die Liste der Gegenstände mit Weichmachern aus der Gruppe der Phthalate ist lang. Jährlich werden in Westeuropa etwa eine Million Tonnen davon produziert. Die Phthalate sind an die Kunststoffe nicht fest gebunden, sondern werden herausgespült oder dünsten aus. So nehmen Verbraucher:innen sie auf. Bei nahezu jedem Menschen sind die Weichmacher und deren Abbauprodukte im Blut und Urin nachweisbar.

     

    EU verhängt Einschränkungen

     

    Die am häufigsten eingesetzten Phthalate sind DIDP (Diisodecylphthalat), DINP (Di-isononylphthalat), DEHP (Di(2-ethylhexylphthalat), DBP (Dibutylphthalat) und BBP (Benzylbutylphthalat), Bisphenol A (BPA). Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) haben die Phthalate DEHP, DBP und BBP als fortpflanzungsgefährdend eingestuft. Ein Risiko für den Menschen oder die Umwelt ergibt sich laut den Risikobewertungen aber nur in wenigen Anwendungsbereichen – zum Beispiel bei Babyartikeln und Kinderspielzeug. Für diese Bereiche erteilte die EU-Kommission mittlerweile ein Anwendungsverbot.

    Die chemische Industrie ersetzt seit einigen Jahren fortpflanzungsgefährdende Phthalate vor allem durch DIDP und DINP, die nicht als gefährliche Stoffe eingestuft sind. Für DIDP – und aus Vorsorgegründen auch für DINP – besteht in Europa dennoch ein Verbot für Babyartikel und Spielzeug, das Kinder in den Mund nehmen können (European Food Safety Authority 2019).

    Die Freisetzung der Phthalate aus Weich-PVC ist nicht zu verhindern. Verbraucher:innen stehen bei einigen Produkten Alternativen zur Verfügung: bei Lebensmitteln beispielsweise Glas- statt Plastikflaschen oder bei der Wahl zwischen Fliesen, Holz oder Teppich.

     

    Gestörte Fruchtbarkeit?

     

    Weichmacher stehen nicht nur im Verdacht, die Zeugungsfähigkeit von Männern zu verringern (Den Hond et al. 2915). Es ist auch denkbar, dass die Chemikalien die Fruchtbarkeit von Frauen beeinträchtigen. Das wurde bisher jedoch nicht in aussagekräftigen Studien untersucht.

    Es existieren derzeit nur zwei Studien dazu. In einer davon ermittelte ein dänisches Wissenschaftsteam die Phthalatbelastung von rund 200 Frauen, die ihre erste Schwangerschaft planten (Thomsen AM et al. 2017). Probleme bei der Messung und etliche fehlende Daten sorgten jedoch dafür, dass die Ergebnisse dieser Studie nicht verlässlich sind. Ob Frauen durch Phthalate größere Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden, können nur strenger durchgeführte Studien mit mehr Teilnehmerinnen belegen.

    In der zweiten Studie untersuchte ein Forschungsteam aus den Vereinigten Staaten, ob es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl an befruchtungsfähigen Eizellen einer Frau und der Menge an Phthalaten in ihrem Körper gibt (Messerlian C et al. 2016). Ob Frauen mit hohen Phthalatwerten größere Probleme hatten, schwanger zu werden, ist jedoch auch aus dieser Studie nicht verlässlich herauszulesen.

    In einer Studie wurde an männliche Studenten am Campus einer chinesischen Universität die Auswirkung von Weichmachern untersucht. Das Trinkwasser an diesem Campus war stark mit Phthalaten belastet. Einen Monat nach Studienbeginn zogen die Teilnehmer an einen neuen Campus um, wo die Phthalatmenge im Trinkwasser geringer war. Das Team ermittelte Phthalatwerte und Samenqualität der Teilnehmer vor und nach dem Umzug. Dabei stellte es fest, dass die Qualität der Samenzellen von Teilnehmern mit hohen Phthalatwerten im Durchschnitt geringer war. Nach dem Umzug besserte sich die Qualität der Samenzellen, und die Phthalatbelastung sank (Chen et al. 2017).

     

    Das PCO-Syndrom

     

    Vor allem bei Wärme kann sich das Phthalat BPA aus dem Plastik lösen und aus Verpackungen in Lebensmittel und Getränke übergehen. Studien deuten immer wieder an, dass BPA das hormonelle Gleichgewicht im Körper negativ beeinflussen kann. Eine Studie aus China untersuchte jetzt den Zusammenhang von BPA und Polyzystischem Ovarialsyndrom (PCO).

    Das Polyzystische Ovarialsyndrom ist eine Hormonstörung, durch die es bei Frauen zu einem erhöhten Spiegel männlicher Geschlechtshormone und damit verbundenen Zyklusstörungen und Veränderungen der Eierstöcke kommt. Durch diese Geschlechtshormone kann auch eine Vermännlichung (Hyperandrogenismus) mit Akne und männlicher Körperbehaarung auftreten. Darüber hinaus ist häufig der Fett- und Zuckerstoffwechsel gestört, was zu Diabetes und Übergewicht führen kann. Das PCO-Syndrom kann auch ein Grund für Unfruchtbarkeit sein.

    BPA kann das hormonelle Gleichgewicht stören und die männlichen Geschlechtshormone beeinflussen. Schon seit einigen Jahren wird der Einfluss von BPA auf Unfruchtbarkeit diskutiert, aber auch auf Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Fettleibigkeit. Babyflaschen mit BPA sind mittlerweile in Deutschland verboten. BPA kann in Blut und Urin nachgewiesen werden.

    Die Wissenschaftler:innen werteten die Daten von 9 Studien mit insgesamt 493 PCOS-Patientinnen und 440 Kontrollpersonen aus. Bei PCOS-Patientinnen wurde eine erhöhte BPA-Konzentration im Blut festgestellt im Vergleich zu Frauen aus der Kontrollgruppe. Diese erhöhte Konzentration war auch mit einem erhöhten Gewicht und einer erhöhten Insulinresistenz verbunden (Hu et al. 2017). Um die genauen Mechanismen der BPA-Wirkung und den Zusammenhang zwischen BPA- und PCO-Syndrom weiter aufzuklären, sind weitere Studien erforderlich.

     

    Risiko: Frühgeburt

     

    Schwangere mit einer erhöhten Phthalat-konzentration im Urin haben ein drei- bis fünffach erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt im Vergleich zu Frauen mit normalen Urin-Konzentrationen (Ferguson et al. 2014). Das Forscher:innenteam um Kelly Ferguson von der University of Michigan School of Public Health verglich die Urin-konzentrationen einzelner Phthalate und deren Abbauprodukte von 130 Schwangeren, die später eine Frühgeburt hatten, mit denen von Schwangeren, die ihr Kind am Termin geboren haben. Im Urin der Schwangeren mit einer Frühgeburt fanden sich erhöhte Werte von Monoethylhexylphthalat (MEHP), Monoethylcarbo­xypentylphthalat (MECPP), Diethylhexylphthalat (DEHP) und Monobutylphthalat (MBP). Je höher die Urinbelastung, desto größer war das Risiko für eine Frühgeburt.

    Nun müssten weitere Studien folgen, so die Wissenschaftler:innen. Der genaue Mechanismus, wie die Weichmacher eine Frühgeburt auslösen könnten, sei unbekannt. Die Forscher:innen vermuten, dass die Substanzen bei der Mutter oxidativen Stress oder entzündliche Prozesse auslösen. Völlig unklar sei auch, ob Schwangere durch Verzicht auf Parfüm, Deo oder abgepackte Nahrungsmittel das Frühgeburtsrisiko reduzieren könnten.

     

    Verbote von Weichmachern

     

    Phthalate stehen schon länger in Verdacht, gesundheitliche Schäden auszulösen. Erst kürzlich empfahl die europäische Arzneimittelbehörde EMA für bestimmte Phthalate, die als Hilfsmittel in Arzneimitteln verwendet werden, Obergrenzen für die tägliche Aufnahme einzuführen.

    Zuständig für die Bewertung der Risiken in der EU ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Trotz zahlreicher Studien, die die Gesundheitsgefährdung durch BPA belegen, passt die EFSA ihren viel zu hohen Grenzwert nicht an. Sie ignoriert, dass die Wirkungsweise von hormonellen Schadstoffen wie BPA dem traditionellen toxikologischen Grundsatz »Die Dosis macht das Gift« widerspricht: Ganz andere Faktoren können stattdessen von Bedeutung sein, wie das Zeitfenster der Belastung. Auch gibt es Interessenkonflikte bei Mitgliedern der EFSA. So wurde in der Vergangenheit häufig kritisiert, dass manche der Wissenschaftler:innen gleichzeitig für Lobby-Organisationen der Industrie tätig sind.

    Mit Epoxidharzen, die BPA enthalten, werden die Innenflächen von Wasserrohren, Lebensmittelkonserven und Getränkedosen beschichtet, um die Haltbarkeit der Lebensmittel zu verlängern und um zu verhindern, dass sie einen metallischen Geschmack annehmen. Es wird auch bei der Beschichtung von Kassenbons eingesetzt. BPA wurde als endokriner Disruptor eingestuft. Dieser »Unterbrecher« hat toxische Auswirkungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit.

    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert chemische Substanzen als endokrine Disruptoren, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt werden (WHO 2002):

    • Der Stoff hat eine schädigende Wirkung für die menschliche Gesundheit.
    • Er weist eine endokrine Wirkung auf.
    • Es besteht eine Kausalbeziehung zwischen der schädigenden Wirkung und der endokrinen Wirkungsweise.

     

    Die Welt wird femininer

     

    »Die Welt wird weiblicher« titelte das Magazin der Süddeutschen Zeitung und fuhr fort »Und das ist keine gute Nachricht« (Stürmer 2009).

    Es bezog sich auf Untersuchungen, nach denen Fortpflanzungs- und Entwicklungsstörungen vor allem bei Männern und männlichen Tieren zu beobachten sind. Als Ursache werden bestimmte Chemikalien vermutet, die das Hormonsystem beeinflussen können und die wir mit der Nahrung und über die Luft aufnehmen. Solche endokrinen Disruptoren stehen im Verdacht, die Entstehung bestimmter Tumore zu fördern, die Entwicklung des menschlichen Organismus zu stören oder die Fortpflanzungsfähigkeit zu mindern. In der Öffentlichkeit diskutierte Stoffe, die im Verdacht stehen endokrin zu wirken, sind Bisphenol A und bestimmte Weichmacher, die zur Herstellung von Kunststoffen eingesetzt werden.

    Doch nicht nur synthetisch hergestellte Chemikalien können das Hormonsystem beeinflussen, sondern auch bestimmte Pflanzeninhaltsstoffe, die Bestandteil unserer Nahrung sind. So enthält beispielsweise Soja sogenannte Isoflavone, die sich an den Rezeptor für das weibliche Sexualhormon Östrogen binden können. Solche Stoffe mit der Nahrung aufzunehmen, ist jedoch nicht automatisch ein Gesundheitsrisiko. Bei den endokrinen Disruptoren handelt es sich nicht um eine einheitliche Stoffgruppe. Die einzelnen Stoffe können strukturell und mechanistisch sehr unterschiedlich sein. Sie müssen daher toxikologisch differenziert betrachtet werden, um ein gesundheitliches Risiko abzuschätzen (Bundesinstitut für Risikobewertung 2010).

    Auch wenn ein Kind genetisch zum Mann bestimmt ist, hat es nicht von Beginn an Penis und Hoden. Sie entwickeln sich erst ab der sechsten Schwangerschaftswoche. Bis dahin könnte der Fötus theoretisch sowohl Eierstöcke als auch Hoden ausbilden. Wenn in diesem entscheidenden Zeitraum etwas die Wirkung der männlichen Hormone schwächt oder blockiert, kommt ein »verweiblichter« Junge zur Welt.

    Infolge dessen können Jungen einen vergleichsweise kurzen Penis haben und Hoden nicht im Skrotum, sondern im Unterleib. Vor einigen Jahren veröffentlichte die Umwelt- und Reproduktionsepidemiologin Shanna eine Studie, die ihre Kolleg:innen noch heute als »bahnbrechend« bezeichnen: Sie vermaß bei männlichen Babys den anogenitalen Abstand, das Stück zwischen After und Geschlechtsteil. War es kürzer als bei den meisten anderen Jungen gleichen Alters, war das ein Zeichen für »Verweiblichung«.

    Untersuchte Mütter, deren Blut während der Schwangerschaft in höherer Konzentration als üblich mit Chemikalien verseucht war, hatten deutlich öfter Söhne mit verkürztem anogenitalen Abstand, kürzerem Penis und Hodenhochstand als Mütter mit weniger belastetem Blut. Forscher:innen vermuten, dass Männer mit diesen Symptomen eine deutlich schlechtere Spermienqualität haben können. So schlecht, dass es mit der Zeugung länger dauert oder gar nicht klappt (Stürmer 2009).

     

    Soja als Gegenspieler

     

    Hohe BPA-Belastung hat bei gleichzeitigem Sojaverzehr keine nachteiligen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit. Unter den Frauen, die keine Sojaprodukte aßen, hatten diejenigen mit hohen BPA-Werten im Urin niedrigere Chancen, schwanger zu werden als Frauen mit geringen BPA-Werten. Die Frauen mit hoher BPA-Belastung konnten außerdem seltener ihr Baby austragen, hatten also öfter Fehlgeburten als Frauen mit einer geringen BPA-Belastung. Bei den Frauen jedoch, die regelmäßig Sojaprodukte aßen, hatte die BPA-Belastung keinen Einfluss auf die Erfolgsquote ihrer In-Vitro-Fertilisation. Soja schien hier die negativen Wirkungen des BPA kompensieren zu können (Chavarro et al. 2016).

     

    Was kann eine Hebamme raten?

     

    Der beste Rat: auf Plastikflaschen und -verpackungen verzichten! Ein Wassersprudler mit Glasflasche ist eine sinnvolle Alternative. Wurst und Käse von der Frischetheke anstatt einzeln in Kunststoff verpackt. Auch beim Kinderspielzeug sollte darauf geachtet werden, dass es frei von Weichmachern ist.

    Rubrik: Ausgabe 09/2021

    Erscheinungsdatum: 25.08.2021

    Literatur

    Bundesinstitut für Risikobewertung: Endokrine Disruptoren: Substanzen mit schädlichen Wirkungen auf das Hormonsystem. 2010. https://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2010/A/endokrine_disruptoren__substanzen_mit_schaedlichen_wirkungen_auf_das_hormonsystem-50488.html

    Cai H, Zheng W: Human urinary/seminal phthalates or their metabolite levels and semen quality: A meta-analysis. Environ Res. 2015. 142:486–94

    Chavarro JE, Mínguez-Alarcón L, Chiu YH, Gaskins AJ, Souter I, Williams PL, Calafat AM, Hauser R; EARTH Study Team. Soy Intake Modifies the Relation Between Urinary Bisphenol A Concentrations and Pregnancy Outcomes Among Women Undergoing Assisted Reproduction. J Clin Endocrinol Metab. 2016. 101(3):1082–90. doi: 10.1210/jc.2015–3473

    Chen Q, Yang H: Phthalate exposure, even below US EPA reference doses, was associated with semen quality and reproductive hormones: Prospective MARHCS study in general population. Environ Int. 2017. 104:58–68

    Den Hond E,...

    »