Prolaktin und Serotonin

Sensibles Wechselspiel

Zwei Hormone passen die Milchmenge an den jeweiligen Bedarf an. Prolaktin als Milchbildungshormon und Serotonin als Hemmstoff der Milchbildung steuern die Aktivitäten in den Brustdrüsen. Birgit Heimbach
  • Schwangere bilden zwar mehr Brustdrüsengewebe aus – mehr »Holz vor der Hütte«. Doch entscheidend ist die Ausbildung von genügend Rezeptoren für das Prolaktin. Zwischen den Stillmahlzeiten (Bouts of Nursing) drosselt Serotonin lokal in jeder Brust die Milchproduktion.

  • Das Drüsengewebe, das sich im vorderen Teil der Brust direkt hinter der Mamille ausbreitet, ist bei einer großen Brust nicht naturgemäß größer. Der Fettgewebeanteil der Mamma variiert von Frau zu Frau beträchtlich, während der des Drüsengewebes relativ konstant ist. In der Schwangerschaft jedoch werden bei allen Frauen die Brüste größer: In den laktotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens wird 10 bis 20 Mal mehr Prolaktin gebildet. Es bewirkt eine Zunahme des Brustdrüsengewebes, etwas Fett- und Bindegewebe wird dabei verdrängt. Eine individuelle Speicherkapazität bildet sich aus. Als sogenanntes Milchbildungshormon regt Prolaktin ab der 20. Schwangerschaftswoche die Produktion kleiner Mengen Kolostrum an.

     

    Rezeptoren bilden sich

     

    Nach der Geburt wird noch mehr Prolaktin ins Blut ausgeschüttet. Das bringt die milchbildenden Zellen (Laktozyten) der Alveolen dazu, außen an ihrer Membran Rezeptoren auszubilden, an denen Prolaktin als Proteinhormon andocken und in die Zelle vordringen kann, um diese in eine aktive Drüsenzelle umzuwandeln. Etwa 30 bis 40 Stunden dauert dieser Prozess. Dann sind die Laktozyten in der Lage, Proteine, Lactose und andere Milchkomponenten aus Bestandteilen im Blut zu produzieren sowie die Speicherung von Wasser und Mineralien zu regeln. Mehr Rezeptor-Stellen bedeuten, dass mehr Prolaktin in die Laktozyten gelangen kann, um die Milchproduktion zu steigern.

    Die Prolaktin-Menge in der Milch entspricht der durchschnittlich zirkulierenden Menge im Blut. So befindet sich bereits im Kolostrum sehr viel Prolaktin. Zwei bis drei Tage nach der Geburt sind die Werte am höchsten und die Milch schießt wahrnehmbar ein. Ein paar Tage später sinken sie, bleiben aber über dem Basiswert, wenn die Frau weiter stillt. Wenn das Kind saugt, wird schnell mehr Prolaktin freigesetzt.

     

    Drei Formen von Prolaktin

     

    Das Hormon Prolaktin gibt es in drei Formen: Zu 85 %, wie es die Hypophyse produziert. Dieses einfache meist glykolisierte Mikroprolaktin (Monomer) ist am aktivsten und agiert am stärksten mit den Rezeptoren. 10 % sind an ein anderes Prolaktinmolekül gebunden und dadurch nahezu inaktiv (Dimer oder Big ). Die 5 % Makroprolaktin bestehen aus vier identischen Prolaktinmolekülen und einem Molekül Immunglobulin G (Tetramer oder Big Big) und sind auch kaum aktiv.

    Beim Standard-Bluttest lassen sich diese Formen nicht unterscheiden. Dr. Thomas Hale vom Infant Risk Center in Texas, ein Spezialist in perinataler Pharmakologie, vermutet, dass Frauen, die zu wenig Milch produzieren, zu viel Makroprolaktin im Blut haben. Er rät zu einem speziellen Bluttest und führt dazu eine Studie durch. Beeinflussen lässt sich das Auftreten von Makroprolaktin derzeit nicht.

    Wie Prolaktin auf Neugeborene wirkt, ist nicht umfassend erforscht. Bei rund 5 % der Kinder verursacht das Hormon, das sie auch selbst produzieren, in den ersten zwei bis drei Wochen nach der Geburt harmlose Schwellungen der Brustdüsen, die mitunter etwas kolostrumähnliche Milch absondern. Diese Milch und das Kolostrum weden auch Hexenmilch genannt.

     

    Stimulieren oder hemmen?

     

    Die Ausschüttung von Prolaktin wird phasenhaft durch das Saugen am Brustwarzen-Areola-Komplex provoziert: Nervenenden schicken Impulse über Rückenmark und Mittelhirn zum Hypothalamus. Diese Prolaktinspitzen (25–200 ng/ml) sichern die Milchproduktion. Die biologische Halbwertzeit für Prolaktin beträgt 20 bis 50 Minuten, danach wirkt es kaum mehr auf die Rezeptoren ein. Diese würden sich ohne das Stillen zurückbilden.

    Stimulierend auf die Ausschüttung wirken Stoffe aus dem Hypothalamus, wie Oxtocin, Vasopressin, Neurotensin und vasoaktive intestinale Peptide (VIP), etwa bei Stress, Non-REM-Schlaf, Wärme und Unterzuckerung. Es gibt offenbar keinen Stoff, der direkt als Prolaktin-Releasing-Faktor die Milchbildung auslöst, noch nicht ganz geklärt ist allerdings die Bedeutung vom Thyrotropin-Releasing-Hormon (TRH). Hemmend auf Prolaktin wirkt beim Stillen Dopamin als Prolaktin-Inhibiting-Hormon (PIH). Dafür gibt es Dopamin-Rezeptoren auf den laktotropen Zellen in der Hypophyse. Gedrosselt wird Prolaktin auch durch Neurotransmitter und das Wachstumshormon Somatostatin.

     

    Den »Füllzustand« regeln

     

    Prolaktin wirkt systemisch und löst neben der Milchproduktion auch das Brutpflegeverhalten aus. Seine Menge im Serum ist jedoch nicht entscheidend für die tatsächliche jeweilige Milchmenge in den Brüsten. Das wird lokal geregelt. So versiegt die Milch in einer Brust, wenn die Frau nur mit der anderen stillt.

    Kontrollierend ist zunächst einmal die Zahl der Rezeptoren der milchbildenden Zellen in den Alveolen. Sie sorgen für die ausreichende Milchproduktion – individuell für jede Brust. Das liegt daran, dass die Rezeptoren auf mechanische Reize reagieren: Füllen sich die Alveolen mit Milch, dehnen sich die Wände, worauf die Rezeptoren ihre Form verändern, so dass Prolaktin nicht mehr in die Zelle gelangt. Die Milchsynthese wird dann reduziert. Wenn sich die Alveolen leeren, gelangen die Rezeptoren zu ihrer normalen Form zurück und erlauben dem Prolaktin einzutreten, das regt die Milchsynthese wieder an.

    Dies allein reicht nicht aus, um die Milchsekretion je nach Bedarf zu stoppen. Schon vor Jahren ging man davon aus (Peaker et al. 1998), dass auch ein chemisches Signal-System für den Füllzustand mitverantwortlich ist. Man konstruierte als These einen Feedback Inhibitor of Lactation (FIL), der als lokaler Hemmstoff die Synthese und Sekretion von Lactose und anderen Stoffe reguliert und Angebot und Nachfrage regelt: Wird die Brust geleert, verschwindet FIL. Das regt die Prolaktin-Bildung an, die Brustdrüse füllt sich mit Milch und mit FIL. Ist die Brust voll, ist auch sehr viel von dem FIL vorhanden, das den Stoff-Austausch in der Membran stoppt.

    Dann entdeckte man im Brustdrüsengewebe Serotonin und dachte zunächst, dass es mit diesem FIL agiert (Peaker et al. 1998). Später hieß es, auch FIL sei serotoninähnlich. Inzwischen weiß man, dass Serotonin selbst der entscheidende FIL ist (Chiba 2017).

     

    Brücken und Barrieren

     

    Serotonin wird in den Brustdrüsenzellen hergestellt, nachdem Prolaktin sie aktiviert hat (Matsuda 2004). Entscheidend ist: Es steuert das Öffnen der Verbindungen zwischen den Zellen, die Tight Junctions. Diese brückenartigen Bänder heften die Epithelzellen an der außen gelegenen (basolateralen) Seite aneinander. Ihre volle Funktion erhalten sie nach der Geburt des Kindes. Sie bleiben während der Laktation geschlossen und verhindern wie eine Barriere, dass Moleküle eindringen und austreten. Nur wenn sie gut geschlossen sind, können die Rezeptoren an den Zellen Substanzen aufnehmen und durch die Zellen schleusen. Und nur dadurch ist die Milchsynthese in den Laktozyten möglich (Stull 2007).

    Füllen sich die Alveolen mit Milch, synthetisieren die Laktationszellen Tryptophan zu Serotonin. Durch einen Transportstoff wird es in die Gewebsflüssigkeit zwischen den Zellen und in die Milch auf der apikalen Seite (die dem Lumen zugewandt ist) abgegeben. Serotonin lockert nun etwas die Bänder und Wasser kann ab einem gewissen Druck durch deren winzigen Kanäle diffundieren. Das ermöglicht die Homöostase in den Alveolen. Zudem wird eine weitere Milchsynthese verhindert: Serotonin wird von speziellen Rezeptoren der Zellen wiedererkannt und deren Wiederaufnahmeprotein gibt ein negatives Feedback-Signal an die Rezeptoren (Stull 2007). Serotonin funktioniert autokrin-parakrin: Nach der Sekretion aus der Drüsenzelle wirkt es auf sich selbst in einer negativen Feedbackschleife – biosynthetisch und funktional. Beim Leeren während des Saugens reduziert sich Serotonin wieder in der Gewebsflüssigkeit und in der Milch, so ziehen sich Bänder zwischen den Zellen wieder zusammen.

    Die Menge an Serotonin in der Milch pendelt etwa zwischen 11,1 und 51,1 ng/ml (Chiba 2017). Auch enthalten ist die Aminosäure Trytophan, die Vorstufe von Serotonin, nachts am meisten. Tryptophan wird vom Kind auch zu Serotonin und weiter zu dem Hormon Melatonin verstoffwechselt, die beide an der Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt sind.

     

    Das Glückshormon Serotonin

     

    Seinen Namen erhielt Serotonin daher, dass es als Komponente des Serums den Tonus der Blutgefäße reguliert. Es hat viele Aufgaben: Es hilft peripartal bei der Entwicklung der Brustdrüse mit, beeinflusst Herz-Kreislauf-System und Muskulatur. Als Neurotransmitter vermittelt es Botschaften im Gehirn, etwa um Appetit, Schlaf, Gedächtnis, Lernen, Temperatur sowie soziales Verhalten zu steuern. Ein defektes Serotoninnetzwerk könnte eine Ursache für den Plötzlichen Kindstod (SIDS) sein. Und als sogenanntes Glückshormon macht Serotin Säuglinge beim Stillen rundum zufrieden.

    Rubrik: Ausgabe 12/2019

    Erscheinungsdatum: 12.12.2019

    Literatur

    Chiba T et al.: Analysis of serotonin concentrations in human milk by high-performance liquid chromatography with fluorescence detection. Biochem Biophys Res Commun 2017. Mar 25; 485(1):102-106. doi: 10.1016/j.bbrc.2017.02.027. Epub 2017 Feb 9. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28189675

    Chiba T: Endogenous Serotonin and Milk Production Regulation in the Mammary Gland. Yakugaku zasshi journal of the Pharmaceutical Society of Japan 2018. 138(6): 829–836. DOI: 10.1248/yakushi.18-00003

    Collier RJ, Hernandez LL, Horseman ND: Serotonin as a homeostatic regulator of lactation. Domest Anim Endocrinol 2012. 43(2):161–70. doi: 10.1016/j.domaniend.2012.03.006. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22608139

    Hale T: Presence of Macroprolactinemia in mothers with insufficient milk syndrome. www.infantrisk.com/content/presence-macroprolactinemia-mothers-insufficient-milk-syndrome

    Matsuda M: Serotonin Regulates Mammary Gland Development via an Autocrine-Paracrine Loop. Developmental...

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