Retrospektive Vergleichsstudie aus Australien

Wie effektiv ist das »Perineal Protection Bundle« wirklich?

  • Die Bündelung verschiedener evidenzbasierter Maßnahmen hat zum Ziel, dadurch besonders effektiv zu handeln. Was jedoch, wenn, wie im Fall des »Perineal Protection Bundle«, lediglich eine Maßnahme ein hohes Evidenzlevel aufweist?

  • In vielen australischen Kliniken wird das »Perineal Protection Bundle« umgesetzt: Es handelt sich hierbei um ein Maßnahmenpaket, um schwere mütterliche Geburtsverletzungen zu vermeiden.

    Das »Perineal Protection Bundle« wurde 2018 eingeführt und umfasst fünf Interventionen: Warme Kompressen während der Geburt auf das mütterliche Perineum, Durchführung eines Hands-on-Dammschutzes mit einer Hand auf dem kindlichen Kopf und einer Hand auf dem mütterlichen Perineum, bei Durchführung einer Episiotomie eine mediolaterale Schnittführung mit einem Winkel von mindestens 60°, anale Untersuchung aller Gebärenden post partum sowie Beurteilung der Geburtsverletzung durch mindestens zwei Fachpersonen.

    Die Bündelung verschiedener evidenzbasierter Maßnahmen hat zum Ziel, dadurch besonders effektiv zu handeln und ein negatives Outcome zu vermeiden. Was jedoch, wenn ein Maßnahmen-Paket in seiner Gesamtheit hinterfragt werden muss, beispielsweise, weil, wie im Fall des »Perineal Protection Bundle«, lediglich eine Maßnahme (warme Kompressen) ein hohes Evidenzlevel (Cochrane Review) aufweist?

     

    Blick auf die Outcome-Parameter

     

    Eine Forschungsgruppe untersuchte kürzlich in Australien, wie sich die Outcome-Parameter vor und nach der Einführung des Perineal Protection Bundle bei hebammengeleiteten Geburten verändert haben. Für die Outcome-Parameter vor der Einführung des Maßnahmenpakets wurden Daten von Frauen evaluiert, die zwischen Januar 2011 bis November 2017 geboren hatten (n=20.155). Um die Outcome-Parameter nach der Einführung des Maßnahmenpakets zu erhalten, wurden Daten von Frauen evaluiert, deren Kinder zwischen August 2018 und August 2020 geboren wurden (n=6.273).

    Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich schwerer Geburtsverletzungen. Jedoch hatten erstgebärende Frauen häufiger eine Episiotomie und mehrgebärende Frauen häufiger einen Dammriss zweiten Grades nach der Einführung des Maßnahmenpakets. Die Autor:innen hinterfragen in Zusammenhang mit existierenden Daten den Sinn und die Effektivität des Pakets zur Vermeidung schwerer mütterlicher Geburtsverletzungen. Sie führen hierzu an: Vor der Einführung lag der Anteil schwerer mütterlicher Geburtsverletzungen bei 4,1 % im Jahr 2012, der auf 1,9 % im Jahr 2017 zurückging. Nach der Einführung kam es zum Anstieg auf 2,9 % im Jahr 2020.

     

    Kritische Fragen zur Paketlösung

     

    Sie hinterfragen, warum und wie das Paket in seiner jetzigen Form ohne begleitende Forschung eingeführt werden konnte – beispielsweise konkret die Empfehlung zur Durchführung einer mediolateralen Episiotomie, da dabei das Risiko der Verletzung perinealer Nerven sowie des Musculus bulbospongiosus erhöht ist.

    Sie geben zu bedenken, ob es möglich sein könnte, dass das derzeit empfohlene »Bundle« mehr Schaden als Nutzen bewirke, und empfehlen vor der Einführung eines komplexen Maßnahmenpakets die sorgfältige Prüfung jeder einzelnen Empfehlung sowie die Durchführung und Planung umfassender und passender begleitender Forschung.

    Quelle: Lee, N., Allen, J., Jenkinson, B., Hurst, C., Gao, Y., & Kildea, S. (2024). A pre-post implementation study of a care bundle to reduce perineal trauma in unassisted births conducted by midwives. Women and birth : journal of the Australian College of Midwives, 37(1), 159–165. https://doi.org/10.1016/j.wombi.2023.08.003 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 27.05.2024