Randomisiert-kontrollierte Studie

Sind die Kriterien für die Diagnose eines Gestationsdiabetes noch gültig?

  • Die Anwendung der gängigen Blutzucker-Grenzwerte zur Diagnose eines Gestationsdiabetes sind zu hinterfragen.

  • Gestationsdiabetes gilt weltweit als Gesundheitsproblem mit möglichen schwerwiegenden Gesundheitsproblemen für die Mutter und ihr Neugeborenes. In Deutschland wird die Diagnose eines Gestationsdiabetes anhand der Blutzuckerwerte eines oralen Glukose-Toleranz-Tests (oGTT) gestellt (AWMF, 2018). Demnach liegt ein Gestationsdiabetes vor, wenn einer der folgenden Werte im 75-g-oGTT erreicht ist:

    • nüchtern: >/= 92 mg/dl
    • 1-Stunde: >/= 180 mg/dl
    • 2-Stunden: >/= 153 mg/dl

     

    Glykämische Kriterien hinterfragen

     

    Diese glykämischen Kriterien zur Diagnose eines Gestationsdiabetes werden auch in den USA zugrunde gelegt und wurden kürzlich hinterfragt: Machen diese Grenzwerte Sinn oder können großzügigere Grenzwerte verwendet werden? Hierzu wurde eine randomisiert-kontrollierte Studie unter 4.061 Frauen im New England Journal of Medicine veröffentlicht (Crowther et al., 2022).

    Die Studie wurde zwischen April 2015 und August 2020 durchgeführt. Frauen wurden zwischen der 24.–32. Schwangerschaftswoche bei Vorliegen einer Einlingsschwangerschaft in die Studie eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Frauen mit präexistentem Diabetes mellitus. Die Studiengruppe bestand aus Frauen, deren Gestationsdiabetes anhand der gängigen Richtwerte (siehe oben) diagnostiziert wurde. Bei der Kontrollgruppe wurden folgende Grenzwerte zugrunde gelegt: Nüchternblutzucker >/= 99 mg/dl, Blutzucker nach 2-Stunden >/= 162 mg/dl. Erst bei Überschreiten dieser großzügigeren Grenzwerte wurde bei den Frauen ein Gestationsdiabetes diagnostiziert.

     

    Outcome-Parameter

     

    Als primärer Outcome-Parameter wurde die Geburt eines Kindes mit einem Geburtsgewicht über der 90. Perzentile untersucht (large for gestational age/LGA). Sekundäre Outcome-Parameter waren Parameter der mütterlichen und kindlichen Gesundheit.

    In der Studiengruppe (n=2.022) wurde bei 15,3 % der Frauen ein Gestationsdiabetes diagnostiziert (n=310). In der Kontrollgruppe (n=2039) wurde bei 6,1 % der Frauen ein Gestationsdiabetes diagnostiziert (n=124). 178 LGA-Neugeborene wurden in der Studiengruppe geboren (8,8 %), wohingegen der Anteil in der Kontrollgruppe bei 181 (8,9 %) lag.  Bei Frauen der Studiengruppe wurde häufiger als in der Kontrollgruppe die Geburt eingeleitet (681 im Vergleich zu 613 Frauen) und Medikamente zur Behandlung des Gestationsdiabetes verwendet (221 im Vergleich zu 94 Frauen), zudem zeigten Neugeborene von Frauen der Studiengruppe häufiger eine Hyperglykämie als Neugeborene der Kontrollgruppe (53 im Vergleich zu 16 Neugeborene). Die sekundären Outcome-Parameter unterschieden sich sonst nicht. Bei Frauen, deren Blutzuckerwerte bei der Diagnose zwischen den beiden Vergleichsgruppen lagen, hatten diejenigen Frauen seltener ein LGA-Baby, deren Gestationsdiabetes behandelt wurde.

     

    Schlussfolgerungen

     

    Die Autor:innen resümieren aus ihren Ergebnissen, dass die Anwendung der gängigen Blutzucker-Grenzwerte zur Diagnose eines Gestationsdiabetes im Vergleich zu großzügigeren Diagnose-Grenzwerten nicht darin resultiert, dass weniger LGA-Babys geboren werden.

    Quelle: AWMF (2018). Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften: S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge, 2. Auflage. AWMF-Registriernummer 057-008. ∙ Crowther, C. A., Samuel, D., McCowan, L. M. E., Edlin, R., Tran, T. & McKinley, C. J. (2022). Lower versus Higher Glycemic Criteria for Diagnosis of Gstational Diabetes. New England Journal of Medicine, 387, 587-598. DOI: 10.1056/NEJMoa2204091 ∙ DHZ

    Rubrik: Schwangerschaft

    Erscheinungsdatum: 30.08.2022