Deskriptive systematische Übersichtsarbeit

Was macht eine Spontangeburt bei Erstgebärenden wahrscheinlicher?

  • Die Art und Weise, wie die kindlichen Herztöne überwacht werden, spielt eine Rolle, ob eine Spontangeburt wahrscheinlicher wird: Eine kontinuierliche Herztonüberwachung wird bei physiologischen Geburtsverläufen nicht empfohlen.

  • Weltweit sinkt die Anzahl spontaner Vaginalgeburten. Ein Hintergrund dazu umfasst in Industrieländern, dass sich die Anzahl der Geburten per Sectio in den vergangenen zwei Jahrzehnten ungefähr verdoppelt hat (Boerma et al., 2018) und die Rate vaginal-operativer Entbindungen konstant blieb. Diese Veränderungen in Bezug auf den Geburtsmodus zeigten jedoch keine Verbesserung der mütterlichen oder neonatalen Morbidität (American College of et al., 2014).

    Im Gegenteil: Der Geburtsmodus der Sectio Caesarea bedeutet für die Gebärende gerade bei Folgeschwangerschaften ein erhöhtes Risiko einer Uterusruptur, einer abnormen Plazentation oder einer Totgeburt (Sandall et al., 2018). Aus dieser Datenlage heraus wurde kürzlich eine deskriptive systematische Übersichtsarbeit mit einem Fokus auf den Geburtsmodus der spontanen Vaginalgeburt erstellt: Welche Faktoren stehen in Zusammenhang zur spontanen Vaginalgeburt bei Erstgebärenden (Kearney et al., 2023)?

    Eingeschlossen wurden 90 Studien, die zwischen 1991 und 2022 publiziert wurden. Die Einschlusskriterien umfassten, dass erstgebärende Frauen mit einer Einlingsschwangerschaft in Schädellage zwischen 37+0 bis 42+0 Schwangerschaftswochen spontan geboren hatten. Die untersuchten Faktoren wurden mütterlichen, klinischen und fetalen Parametern zugeordnet und in veränderbare und unveränderbare Einflussfaktoren gruppiert.

     

    Ergebnisse

     

    Die Raten der spontanen Vaginalgeburt bei Erstgebärenden lag in den verschiedenen Publikationen zwischen 13 % bis 99 %. Es wurden sechs unveränderbare und neun veränderbare Faktoren mit einen Einfluss auf die Rate der spontanen Vaginalgeburt aufgezeigt.

     

    Unveränderbare Faktoren

     

    Zu den unveränderbaren mütterlichen Parametern zählen die mütterlichen Beckenmaße, der Body-Mass-Index vor und bei Eintreten der Schwangerschaft, das Alter sowie das Herkunftsland der Mutter. Im Bereich der klinischen Parameter gibt es aus Sicht der Autor:innen keine unveränderbaren, sondern nur veränderbare Faktoren. Aus kindlicher Sicht unveränderbare Faktoren sind das kindliche Geburtsgewicht sowie der Umfang des kindlichen Kopfes.

     

    Veränderbare Faktoren

     

    Zu den veränderbaren Parametern im Zusammenhang zur spontanen Vaginalgeburt bei Erstgebärenden zählen die Faktoren der Geburtsvorbereitung mit Übungen zur Gymnastik während der Schwangerschaft sowie die Weitergabe von Informationen. Der Aufnahme und Durchführung einer regelmäßigen Bewegung während der Schwangerschaft kommt eine wichtige Bedeutung zu. Ebenso bewirken mütterliche Intentionen sowie ein positiver Umgang mit ihrer Angst vor der bevorstehenden Geburt einen positiven Einfluss auf die Steigerung der Rate an Spontangeburten.

    Die meisten veränderbaren Faktoren benennen die Autor:innen für den Bereich der klinischen Parameter. Diese umfassen den Einsatz von Bewegung und aufrechter Gebärhaltungen, vor allem während der aktiven Eröffnungsphase der Geburt sowie die Eins-zu-eins-Betreuung durch eine Hebamme oder ein Hebammenteam.

    Dem »Model of Care« kommt dabei als grundlegende Betreuungsform eine zentrale Rolle zu. Zudem gelten die Gebärumgebung sowie das PDA-Management als veränderbare Einflussfaktoren. Die Rate der spontanen Vaginalgeburt bei Erstgebärenden verringerte sich, wenn eine PDA während der Geburt zur Schmerzlinderung angewendet wurde. Unklar bleibt, wie sich eine routinemäßige Geburtseinleitung auf die Rate der spontanen Vaginalgeburt bei Erstgebärenden auswirkt.

    Die veränderbaren fetalen Parameter umfassen die Art und Weise, wie die kindlichen Herztöne überwacht werden sowie die Art und Weise, wie sich das kindliche Köpfchen ins mütterliche Becken rotiert. Eine kontinuierliche Herztonüberwachung wird bei physiologischen Geburtsverläufen nicht empfohlen, da diese die Rate spontaner Vaginalgeburten bei gesunden Kindern verringern kann.

     

    Fazit

     

    Die Autor:innnen stufen die Thematik der Rate an spontanen Vaginalgeburten bei Erstgebärenden sehr komplex ein, was sie anhand der Variabilität der verschiedenen Publikationen mit stark unterschiedlichen Ergebnissen aufzeigen.

    Sie resümieren, dass die Rate spontaner Vaginalgeburten bei Erstgebärenden durch multifaktorielle Ansätze verbessert werden könne. Hierzu zählen, mit einem Fokus auf die Schwangerschaft, die Geburtsvorbereitung mit leichtem Sport und Gymnastik, Informationen und Aufklärung zur Geburt sowie das Aufzeigen eines positiven Umgangs mit Ängsten vor der Geburt.

    Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass intrapartale Strategien zur Optimierung des Wehenverlaufs vielversprechende Bereiche für weitere Forschung sind: Die Gebärende solle Unterstützung erfahren, die Latenzphase daheim zu verbringen. Der Zugang zu nicht-pharmakologischen Methoden der Schmerzlinderung solle erleichtert werden, ein Entspannungsbad während der Eröffnungsphase solle ermöglicht werden. Überflüssige geburtshilfliche Interventionen sollten vermieden werden.

    American College of Obstetricians and Gynecologists (College), Society for Maternal-Fetal Medicine, Caughey, A. B., Cahill, A. G., Guise, J. M., & Rouse, D. J. (2014). Safe prevention of the primary cesarean delivery. American journal of obstetrics and gynecology, 210(3), 179–193. https://doi.org/10.1016/j.ajog.2014.01.026

    Quellen:

    Boerma, T., Ronsmans, C., Melesse, D. Y., Barros, A. J. D., Barros, F. C., Juan, L., Moller, A. B., Say, L., Hosseinpoor, A. R., Yi, M., de Lyra Rabello Neto, D., & Temmerman, M. (2018). Global epidemiology of use of and disparities in caesarean sections. Lancet (London, England), 392(10155), 1341–1348. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31928-7

    Kearney, L., Nugent, R., Maher, J., Shipstone, R., Thompson, J. M., Boulton, R., George, K., Robins, A. & Bogossian, F. (2023). Factors associated with spontaneous vaginal birth in nulliparous women: A descriptive systematic review. Women Birth.

    Sandall, J., Tribe, R. M., Avery, L., Mola, G., Visser, G. H., Homer, C. S., Gibbons, D., Kelly, N. M., Kennedy, H. P., Kidanto, H., Taylor, P., & Temmerman, M. (2018). Short-term and long-term effects of caesarean section on the health of women and children. Lancet (London, England), 392(10155), 1349–1357. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31930-5

    Beate Ramsayer/DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 28.09.2023