Alleingeburt als gelebte Selbstfürsorge?
Bei einer Alleingeburt entscheidet sich die Gebärende bewusst dafür, ihr Kind außerklinisch allein zur Welt zu bringen. Die Entscheidung umfasst dabei den bewussten Verzicht auf die Begleitung durch eine Hebamme und ohne medizinische Hilfe.
Die Alleingeburt wird kontrovers diskutiert, da einerseits hinsichtlich möglicher Notfallsituationen bewusst Risiken in Kauf genommen werden, andererseits jedoch selbstbestimmtes Gebären zu einem besonders positiven Geburtserlebnis beitragen kann. Unterschwellig berührt die Debatte zur Alleingeburt die Frage, wie weit die Autonomie der Gebärenden reicht oder reichen sollte und welcher Schutz des ungeborenen Kindes notwendig ist oder als wie notwendig dieser erachtet wird.
Beobachtet wird in den vergangenen Jahrzehnten ein Anstieg der Zahl der Frauen, die sich für eine Alleingeburt entscheiden. Kürzlich wurde in diesem Kontext eine qualitative Evidenzsynthese durchgeführt, in der die Motivation Gebärender sowie deren Erfahrungen mit einer Alleingeburt, einer sogenannten »Freebirth«, evaluiert wurden.
Methode
In die qualitative Evidenzsynthese wurden 22 Publikationen aus verschiedenen Ländern eingeschlossen, die zwischen 2008 und 2023 veröffentlicht wurden. Diese wurden thematisch analysiert und mit einer ergänzenden feministischen Herangehensweise interpretiert.
Ergebnisse
Die meisten Studien trugen zum Verständnis der zugrundeliegenden Motivation bei, warum sich eine Gebärende für eine Alleingeburt entscheidet (n=16). Identifiziert wurden drei Themen:
- Suche nach einer sicheren Geburt
- Starke und schwache Hebammen
- Selbstschutz.
Suche nach einer sicheren Geburt
Die meisten Frauen entschieden sich aufgrund negativer Erfahrungen bei vorausgehenden Geburten für eine Alleingeburt. Die negativen Erfahrungen machten sie dabei sowohl im klinischen als auch außerklinischen Setting.
»Starke« und »schwache« Hebammen
Frauen erlebten, dass Hebammen wie Geburtshelfer:innen eine Position der Autorität während der Geburt einnehmen können, die ihnen zu dominant erscheint. Eine Frau erlebte es, »keine Argumente dagegen« setzen zu können, sowie eine daraus resultierende Kraftlosigkeit.
Eine andere Frau beschrieb in diesem Zusammenhang eine Verlegungssituation: »Die Hebamme wollte mich verlegen und ich sagte ›Nein‹. Hör mir zu, ich kenne meinen Körper, ich kenne mein Baby ...«.
Kritisiert wurde Hebammenarbeit im klinischen Setting als übermedikalisiert – aus Sicht der Frauen trugen hier »schwache« Hebammen dazu bei, dass klinische Betreuungskonzepte größtenteils alternativlos umgesetzt wurden.
Selbstschutz
Je nach gewählter Art der Alleingeburt, nahmen die Frauen verschiedene Formen der Schwangerenvorsorge in Anspruch. Manche Frauen erhoben Untersuchungsbefunde selbst, andere verzichteten darauf. Für viele Frauen bedeutete Selbstschutz, über die Risikoerkennung hinauszugehen und sich positiv auf die Alleingeburt einzulassen.
Eine Gebärende erlebte dies als überwältigende Erfahrung: »Es war absolut perfekt; es war die unglaublichste, wunderbarste Erfahrung meines ganzen Lebens – eine Erfahrung, die mich veränderte.«
Fazit
Aus Sicht der Autorinnen stellt eine Alleingeburt selten die primäre Entscheidung der Gebärenden dar, sondern resultierte in den meisten Fällen aus vorangegangenen frustrierenden Erfahrungen, bei denen ihre Bedürfnisse übergangen wurden.
Frauen empfinden Alleingeburten meist als positives Geburtserlebnis und Umsetzung ihrer reproduktiven Selbstbestimmung. Die Autorinnen schlagen vor, eine neue Definition der Alleingeburt zu formulieren: Gelebte Selbstfürsorge während der Geburt.
Quelle: Higueras, M. V., Douglas, F., & Kennedy, C. (2024). Exploring women's motivations to freebirth and their experience of maternity care: a systematic qualitative evidence synthesis. Midwifery, 104022. https://doi.org/10.1016/j.midw.2024.104022 ∙ Beate Ramsayer/DHZ