Alles aus einer Hand

Ein Belegsystem kann für die Hebammen und die betreuten Frauen wie auch für die geburtshilflichen Abteilungen der Kliniken Vorteile haben. Mit der Selbstständigkeit gehen aber auch Kosten und Risiken einher, die den Kolleginnen klar sein müssen. Welche unterschiedlichen Modelle gibt es und wo liegen die Schwierigkeiten? Ursula Jahn-Zöhrens
  • » Auch in der Ausbildung können Beleghebammen durch ihr breites Portfolio wichtige Inhalte in der Praxis vermitteln. «

  • Das Belegsystem ermöglicht Hebammen eine Eins-zu-Eins-Betreuung unter der Geburt und die Betreuung der Frauen im gesamten Betreuungsbogen. Sie können alle Tätigkeiten im Berufsfeld anwenden und Schwangerschaft, Geburt sowie das Wochenbett begleiten. Das Belegsystem in seiner vollen Ausübung von einer Hebamme als Einzelunternehmerin ist das Prinzip der »continuity of carer«.

    Auch niedergelassene FachärztInnen können als BelegärztInnen dank dieses Systems ihre PatientInnen vollumfänglich betreuen, quasi alles aus einer Hand. Die Verzahnung von stationärer und ambulanter Versorgung ist so optimal gewährleistet.

     

    Historische Entwicklung

     

    Mit der Überführung der Geburtshilfe in die Kliniken, wo inzwischen fast alle Kinder geboren werden, kamen auch die Hebammen mit in die Häuser. Entweder sie wurden angestellt oder behielten ihren Status als eigenständig tätige Hebammen bei, kamen also als Begleit-Beleghebamme mit »ihren« Frauen in die Klinik und betreuten dort auch die ersten Tage des Wochenbetts. Das Dienstbelegsystem, das heute häufig zu finden ist, war in den 1950er Jahren mit dem Wandel in der Geburtshilfe hin zur Klinikgeburt absolut nicht üblich. Bei Einführung der diagnoseabhängigen Fallpauschalen (Diagnosis Relatet Groups/DRG) im Jahr 2004 wurden unterschiedliche Gebührenpositionen festgelegt, je nachdem, ob es sich um eine Voll- oder Belegabteilung handelt. Kliniken mit Beleghebammen erhalten eine geringere Fallpauschale pro Geburt als Kliniken mit angestellten Hebammen, denn Beleghebammen stellen ihre erbrachten Leistungen direkt den Krankenkassen in Rechnung.

     

    Begleit- und Dienst-Beleghebammen

     

    Begleit-Beleghebammen knüpfen den Kontakt zu der Schwangeren bereits Wochen vor der Geburt. Mit Einsetzen der Wehen oder zu einer geplanten Geburtseinleitung trifft im Idealfall die Begleit-Beleghebamme mit der Gebärenden zeitnah in der Klinik ein und verlässt diese erst wieder, wenn sie Mutter und Kind gut versorgt auf der Wöchnerinnenstation oder auf dem Nachhauseweg ins häusliche Wochenbett weiß. Nicht wenige Hebammen kombinieren so die außerklinische mit der klinischen Geburtshilfe.

    Dienst-Beleghebammen dagegen teilen sich mit ihren Kolleginnen den Bereitschaftsdienst mit festen Anwesenheitszeiten in der Klinik und gewährleisten damit, dass Gebärende sieben Tage rund um die Uhr Hebammenhilfe im Kreißsaal erhalten. Die Klinik vereinbart mit den Dienst-Beleghebammen vertraglich die Bedingungen, die für die Aufrechterhaltung der geburtshilflichen Versorgung notwendig und von beiden Parteien zu gewährleisten sind. Einen Unterschied zu einer angestellten Hebamme kann die Gebärende nicht sicher feststellen.

     

    Der gesamte Betreuungsbogen

     

    Hebammen, die sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der Klinik ihren Beruf ausüben, haben den großen Vorteil, dass sie kontinuierlich weite Teile des Betreuungsbogens abbilden. Die Kontinuität bezog sich viele Jahre auf eine Person (continuity of carer). Die Bereitschaft, rund um die Uhr bei Haus-, Geburtshaus- oder Beleggeburten zur Verfügung zu stehen, verlangt den Kolleginnen viel ab. Um sich nicht zu überfordern, haben sich inzwischen viele Hebammen zu Teams zusammengeschlossen, die sich zuverlässig vertreten und der jeweiligen Schwangeren bekannt sind (»continuity of care«). Für die Frauen entsteht so ein Netz von Begleitpersonen, die einen sicheren Rahmen schaffen und sie gut unterstützen. Besonders mit kleineren Kliniken und im ländlichen Raum sichern Beleghebammen die ambulante und stationäre Betreuung.

    Bei Dienst-Beleghebammen kann dies ähnlich sein – je nachdem, wie sich die einzelnen Kolleginnen organisieren. Meist begegnen sich die Gebärende und die Hebamme allerdings zum ersten Mal an der Kreißsaaltür. Je höher die Geburtenzahl einer Klinik und je weniger Beleghebammen im Verhältnis für die Begleitung dieser Gebärenden zur Verfügung stehen, desto schwieriger wird es vermutlich für die Kolleginnen, ihren ambulanten Tätigkeitsbereich aufrechtzuerhalten.

    Dienst-Beleghebammenteams organisieren sich komplett eigenständig als Unternehmerinnen, bilden Partnerschaften und unterliegen weder den Vereinbarungen der Arbeitnehmervertretung in der Klinik noch denen der Tarifpartner oder dem Arbeitszeitgesetz. Sie tragen alle Kosten der Sozialversicherungen selbst und auch das unternehmerische Risiko.

    Dass es heute eine ganze Reihe von Dienst-Beleghebammenteams gibt, liegt auch daran, dass unter dem Kostendruck im Gesundheitssystem Anfang der 2000er Jahre Hebammenteams von den Klinikverwaltungen aufgefordert wurden, vom Angestelltenverhältnis ins Belegsystem zu wechseln, wenn die Geburtenzahl unter 500 pro Jahr lag. Damit wurden Kosten aus dem klinischen in den ambulanten Bereich verschoben. Heute erleben wir eine neue Welle von Systemwechseln. Der Wunsch kommt diesmal aus den Teams der angestellten Kolleginnen und nicht von außen. Hebammen versprechen sich davon mehr Autonomie, flexible Arbeitszeiten und dass sie die Höhe ihres Verdienstes in den eigenen Händen haben.

    In Bayern liegt der Anteil von geburtshilflichen Abteilungen mit Dienst-Beleghebammen bei über 50 % aller Kliniken. Auch in anderen Bundesländern finden Bestrebungen statt, Angestelltenteams ins Belegsystem umzuwandeln. Hebammenteams, die lange unterbesetzt waren, gelingt es dann manchmal leichter, neue Kolleginnen zu gewinnen oder die Dienstzeiten anders zu gestalten.

     

    Verdienst hängt von Nachfrage ab

     

    Mit dem Hintergrund, dass etwa 98 % aller Kinder in Deutschland im Krankenhaus geboren werden, bietet das Beleghebammensystem eine Kontinuität in der Begleitung in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett für fast alle Frauen möglich. Voraussetzung hierfür ist eine passende Zahl an Hebammen zur Geburtenzahl der geburtshilflichen Abteilung. Bei angestellten Hebammen wissen wir, dass circa 70 % in Teilzeit in der Klinik arbeiten (IGES 2019). Allerdings können wir nicht sagen, wie viele davon parallel in der aufsuchenden Betreuung tätigen sind. Und genauso unbekannt ist die Zahl bei den Dienst-Beleghebammen.

    Unabhängig, ob eine Hebamme im Belegsystem oder als Angestellte die Gebärende begleitet, wird es schwierig, wenn zu wenige Kolleginnen zu viele Geburten gleichzeitig betreuen müssen. Die Eins-zu-eins-Betreuung ist in jedem Setting als Standard anzustreben (AWMF 2020). Jede Gebärende hat ein Recht auf die ungeteilte Aufmerksamkeit einer Hebamme in der aktiven Geburtsphase. Und diesen Anspruch umzusetzen ist für eine Dienst-Beleghebamme, die als Unternehmerin ihre gesamten Kosten allein trägt, bei der derzeitigen Vergütung einer Geburt von 165,60 Euro in einem Zeitfenster von einer Stunde vor der Geburt und bis zu drei Stunden nach der Geburt schwer zu leisten. Sie ist auf parallele Leistungserbringung angewiesen.

    Dienst-Beleghebammen können parallel maximal zwei Leistungen im gleichen Zeitraum abrechnen. So kommt ein kleiner Spielraum beim Verdienst zustande, der schwer einzuschätzen ist. Suchen an einem Tag wenige Schwangere diesen Kreißsaal auf, ist der Verdienst deutlich geringer, denn die Hebamme ist an den Ort gebunden und kann keine außerklinischen Leistungen erbringen. Kommen aber an einem Tag weitaus mehr Schwangere in diesen Kreißsaal, ist das Kontingent von zwei Leistungen parallel schnell erschöpft, und die Hebammen müssen Kolleginnen aus der Bereitschaft oder dem Frei dazu holen, um Gebärende nicht wegschicken zu müssen.

     

    Hürden bei der Umstellung

     

    Innerhalb des Teams muss Klarheit herrschen, ob jede Kollegin ihre Leistungen als Beleghebamme selbst abrechnet oder eine gemeinsame Abrechnung im Poolsystem gewünscht ist. Nutzungsbedingungen und Bereitschaftszeiten müssen mit der Klinik verhandelt werden. Darüber hinaus müssen freiberufliche Hebammen ihre Sozialversicherungen selbst tragen. Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsversicherung kommen dazu. Bei den beiden letztgenannten Punkten erleben vor allem ältere Kolleginnen immer wieder, dass auf Grund des Risikos «Alter« ein Einstieg teuer wird.

    Das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger prüfen, ob die Hebammen wirklich als Freiberuflerinnen ihre Arbeit in den Räumen der Klinik verrichten und nicht in Abhängigkeit der Regeln des Krankenhauses ihren Dienst ableisten und damit in den Verdacht der Scheinselbstständigkeit geraten (siehe auch Seite 30ff.). Der Deutsche Hebammenverband (DHV) empfiehlt in diesem Zusammenhang ausdrücklich eine qualifizierte juristische Beratung während des Umstrukturierungsprozesses und bei der Vertragsgestaltung.

    Die Berufshaftpflichtversicherung muss jede freiberufliche Hebamme persönlich abschließen. Zur Entlastung bei der Prämie erhält sie unterstützend den Sicherstellungszuschlag über den GKV-Spitzenverband.

     

    Forderungen für die Zukunft

     

    Aus Befragungen wird deutlich, dass die Verzahnung von klinischer und häuslicher Betreuung zur Berufszufriedenheit einer Hebamme beiträgt und damit die Verweildauer im Beruf erhöht (IGES 2019).

    Das ganze Belegsystem steht und fällt aber mit dem wirtschaftlichen Auskommen. Dienst-Beleghebammen haben mit dem Schiedsspruch zum Hebammenhilfe-Vertrag im September 2017 eine Einschränkung in der Menge der Leistungserbringung erfahren, ohne dass die finanziellen Konsequenzen mitbedacht wurden, indem sie ab 2018 maximal zwei Leistungen im gleichen Zeitraum abrechnen können. Hiervon sind alle Leistungen im Kreißsaal betroffen: Hilfe bei Beschwerden, CTG-Kontrolle etc. Die Beleghebammen bemängeln, dass durch diese Einschränkung zum einen die Versorgung nicht aufrechterhalten werden kann, da zu wenig Hebammen im Team sind, und zum anderen, dass sie dadurch Verdiensteinbußen haben. In dem Schiedsstellenverfahren 2017 konnte sich der DHV nicht gegen die Stimmenmehrheit aus dem Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) und dem GKV-Spitzenverband durchsetzen (siehe auch Seite 23ff.).

    Kliniken mit niedriger Geburtenzahl haben oft eine große Amplitude in der Anzahl der zu betreuenden Gebärenden. Die Wartezeiten, wenn der Kreißsaal leer ist, werden den Beleghebammen nicht bezahlt. Bei großen Abteilungen mit einem großen Personalpool und hohen Geburtenzahlen lässt sich die Betreuung der Frauen besser verteilen und ist damit wirtschaftlicher für die Kolleginnen. Der DHV begrüßt es sehr, wenn die Eins-zu-zwei-Betreuung übergangsweise, besser aber die Eins-zu-eins-Betreuung der Gebärenden sichergestellt wird. Allerdings muss dann die Vergütung entsprechend für die freiberuflichen Hebammen in der Klinik angepasst werden.

    Der DHV ermittelt derzeit, in welcher Höhe sich die Anpassung der Gebühr entwickeln muss, und sucht hierbei das Gespräch mit Beleghebammenteams. Verhandlungen zum Hebammenhilfe-Vertrag werden im Laufe des Jahres 2021 geführt. Es ist nicht das erste Mal, dass Personalkosten im Gesundheitswesen nicht so veranschlagt werden, wie der tatsächliche Aufwand es erfordert. Wir brauchen eine angepasste Vergütung der geburtshilflichen Leistung der Dienst-Beleghebammen, um auch in diesen Kliniken die Eins-zu-eins-Betreuung und einen angemessenen Verdienst für die Kolleginnen sicherzustellen.

    Die Verhandlungen der Gebührenverordnung sind ein wichtiger Faktor für die Wirtschaftlichkeit des Beleghebammensystems. Eine Garantie für steigende Gebührenpositionen gibt es aufgrund der Zusammensetzung der Verhandlungspartner allerdings nicht. Die Verbände BfHD, Netzwerk der Geburtshäuser und DHV haben keine Stimmenmehrheit.

     

    Beleghebammen in der Ausbildung

     

    In der Ausbildung des Hebammennachwuchses können Beleghebammen durch ihr breites Portfolio wichtige Inhalte in der Praxis vermitteln. Neben dem Hebammenkreißsaal ist die selbstständige Arbeit einer Beleghebamme eine große Bereicherung für Hebammenstudierende. Dafür müssen verbindliche Absprachen mit der praxisverantwortlichen Klinik oder der Hochschule getroffen werden für den Fall, dass die geburtshilfliche Abteilung von Dienst-Beleghebammen betreut wird. Der berufspraktische Teil der Ausbildung setzt qualifizierte Praxisanleitung in einem Anteil von 25 % voraus, die das Team gewährleisten muss.

    Die Kooperationspartner legen in ihrem Vertrag verbindlich Ausbildungszeiten und -inhalte gemäß der Hebammenstudien- und Prüfungsordnung fest. Der DHV empfiehlt dringend, eine Praxisverantwortliche aus dem Team der Dienst-Beleghebammen zu benennen. Es ist auch möglich, dass die Klinik eine Kollegin als hauptamtliche Praxisanleiterin anstellt. Prüfungsleistungen und Praxisanleitung müssen in jedem Fall verbindlich geregelt und gewährleistet sein. Wie diese Aufwendung vergütet wird, ist Inhalt des Kooperationsvertrags, den das Team mit der Klinik schließt. Der DHV stellt Muster-Kooperationsverträge zur Verfügung.

     

    Vielversprechendes System

     

    Das Belegsystem ist eine gute Möglichkeit, vor allem auch kleinere geburtshilfliche Abteilungen zu führen und damit die wohnortnahe Versorgung von Schwangeren, Gebärenden, deren Neugeborenen und Familien zu unterstützen und den Frauen eine kontinuierliche Begleitung zu ermöglichen.

    Die Verzahnung von ambulanter und stationärer Hebammenarbeit, wie es zum Beispiel in Großbritannien möglich ist, könnte in Deutschland mit Hilfe des Belegsystems als Versorgungsmodell zukünftig ausgebaut werden. Die angestrebte Eins-zu-eins-Betreuung während der aktiven Geburtsphase im Kreißsaal setzt im Belegsystem eine Anpassung der Vergütung voraus und ist ein unerlässliches Qualitätsmerkmal. Und nicht zuletzt sind die Beleghebammen eine wichtige Gruppe in der Ausbildung der Studierenden, da sie den Betreuungsbogen von Eintritt der Schwangerschaft bis zur aufsuchenden Wochenbettbetreuung abbilden können.

    Rubrik: Ausgabe 3/2021

    Erscheinungsdatum: 22.02.2021

    Hinweis

    Deutscher Hebammenverband Beleghebammen im Austausch

    Am 27. April 2021 findet von 14–17 Uhr ein kollegialer Austausch mit dem Schwerpunkt »Auswirkungen der Corona-Pandemie, zeitgleiche Leistungserbringung bei mehr als zwei Versicherten, Eins-zu-zwei Betreuung« statt.

    Am 20. Mai 2021 wird von 14–17 Uhr das Thema, »Umstellung von Angestellt- in Belegsystem: Wie kann es gut gehen und was ist zu beachten?«, angeboten.

    Anmeldung unter: info@hebammenverband.de. Stichwort: »kollegialer Austausch Beleghebammen«.

    Literatur

    AWMF: Die vaginale Geburt am Termin. AWMF 2020. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-083k_S3_Vaginale-Geburt-am-Termin_2021-01_1.pdf

    IGES Institut: Stationäre Hebammenversorgung: Gutachten für das Bundesministerium für Gesundheit. IGES 2019. www.iges.com/sites/iges.de/myzms/content/e6/e1621/e10211/e24893/e24894/e24895/ e24897/attr_objs24976/IGES_stationaere_Hebammenversorgung_092019_ger.pdf

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