Geburtliches Selbstbestimmungsrecht

Die Grenzen der Freiheit

Per Gesetz hat jede Frau die Wahl, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchte. Doch in der Realität sind viele Einschränkungen zu beachten. Eine Bestandsaufnahme. Jürgen Robienski
  • Die Wahlfreiheit wird durch das Risiko­potenzial der Schwangerschaft, das Verhalten der Frau und den Verlauf der Geburt beschränkt.

  • Die freie Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder nicht und über die Umstände der Geburt zu bestimmten, ist verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG garantiert. Zudem ist es ein Menschenrecht. Dieses geburtliche Selbstbestimmungsrecht fällt in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 Var. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK). Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass eine Frau und werdende Mutter (rechts-)sicher sein kann, dass weder ihr noch Dritten Sanktionen drohen, wenn sie ihr Recht, über die Umstände der Geburt zu entscheiden, ausüben will (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 67545/09; EGMR Urteil vom 11. Dezember 2014 – 28859/11 und 28473/12 – beide juris).

    In Deutschland können Schwangere daher aufgrund der einschlägigen gesetzlichen Regelungen grundsätzlich sowohl den Geburtsort als auch die Ausrichtung der Geburt frei wählen. Selbst eine Geburt an ungewöhnlichen Orten wie beispielsweise in der Natur (Wald oder Fluss) wäre der Schwangeren grundsätzlich erlaubt. Die Schwangere kann grundsätzlich auch frei darüber entscheiden, ob sie eine Hebamme oder einen Arzt bei der Geburt hinzuzieht oder das Kind alleine gebärt.

    Grundsätzlich heißt indes nicht absolut. Es gibt – wie bei fast jedem Freiheitsrecht – auch Ausnahmen. Das geburtliche Selbstbestimmungsrecht ist nicht schrankenlos und zwar, weil von der Entscheidung der Schwangeren nicht nur sie selbst, sondern auch Dritte betroffen sind, nämlich die medizinischen Fachkräfte (Hebammen, ÄrztInnen) und zuallererst das ungeborene Kind. Diesen Dritten gegenüber, insbesondere gegenüber dem ungeborenen Kind, obliegt dem Staat eine ebenso ultimative Schutzpflicht. Ausdrücklich stellt das Bundesverfassungsgericht fest: »Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.« (BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90, BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975– 1 BvF 1/74).

     

    Schranken bei der Wahl des Geburtsortes

     

    Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erlaubt den Mitgliedsstaaten des Europarates restriktive Regelungen der Hausgeburt, wenn ein legitimes Ziel, nämlich die Sicherheit und Gesundheit von Mutter und Kind, anders nicht gewährleistet ist. (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 67545/09; EGMR Urteil vom 11. Dezember 2014 – 28859/11 und 28473/12 – beide juris). Die tschechische Regelung, dass Entbindungen durch Hebammen außerhalb einer Klinik nur in speziell ausgestatteten Räumen, nicht aber zu Hause erlaubt sind, wurde daher als zulässig erachtet. Ein Grund war, dass die Tschechische Republik kein System der spezialisierten Notfallunterstützung im Fall von Hausgeburten errichtet hat.

    Das geburtliche Selbstbestimmungsrecht und damit die Wahlfreiheit der Frau hinsichtlich des Ortes und der Ausrichtung der Geburt findet dort seine Grenze, wo Rechte Dritter bedroht sind, insbesondere das Recht des ungeborenen Kindes auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In Deutschland werden diese Grenzen durch verschiedene gesetzliche Regelungen einerseits und durch die Rechtsprechung andererseits gesetzt und konkretisiert.

    Nach § 24 f des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) können gesetzlich krankenversicherte Schwangere frei wählen, ob sie ambulant in einem Krankenhaus, in einer von Hebammen geleiteten Einrichtung (Geburtshaus), in einer ärztlich geleiteten Einrichtung (Geburtsklinik), in einer Hebammenpraxis oder bei einer Hausgeburt ihr Kind zur Welt bringen.

    Die Wahlfreiheit wird konkret durch das Risikopotenzial der Schwangerschaft, deren Verlauf, das vorangegangene Verhalten der Frau und den Verlauf der Geburt beschränkt. Diese Schranken werden durch Berufsausübungsregeln für Hebammen, die Rechtsprechung zu den Pflichten und zur Haftung von Hebammen und GeburtsmedizinerInnen und – mit Blick auf die Schwangere selbst – durch den Bundesgerichtshof konkretisiert.

     

    Berufsrecht

     

    Hebammen dürfen eine Geburt nur dann alleine betreuen und begleiten, wenn es sich nicht um eine Risikogeburt handelt, beispielsweise aufgrund des Lebensalters, früherer Geburtsverläufe oder Frühgeburten (Artikel 42 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen).

    Damit eine freiberufliche Hebamme ihre Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen kann, muss sie dem Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134a SGB V beitreten. Nach 134a Abs. 1a SGB V sind die VertragspartnerInnen dieses Vertrages, mithin die Hebammenverbände und die Krankenkassenverbände, verpflichtet, für die Leistungen der Hebammenhilfe und somit auch für Hausgeburten qualitätssichernde Maßnahmen zu vereinbaren (Kötter & Maßing 2016: 14 f.).

    Seit dem 1. April vergangenen Jahres gilt ein neuer Kriterienkatalog für Hausgeburten (siehe Link: GKV/DHV/BfHD/Netzwerk der Geburtshäuser). Die Einzelheiten sind in Anlage 3 Beiblatt 1 niedergelegt. Kriterien, die eine Geburt im häuslichen Umfeld ausschließen, sind anamnestische und befundete Risiken, beispielsweise Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Adipositas (BMI vor der Geburt > 35), insulinpflichtiger Diabetes, bestimmte Infektionen in der Schwangerschaft, nachgewiesene Blutgruppen-Inkompatibilität, Placenta praevia und noch einige andere (siehe Link: GKV).

    Das geburtliche Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren ist in diesen Fällen bereits dadurch beschränkt, dass es einer Hebamme aufgrund dieser berufsrechtlichen Regelungen untersagt ist, die Geburt im häuslichen Umfeld oder auch ohne Hinzuziehung eines Arztes oder einer Ärztin in einem Geburtshaus zu begleiten. Verstöße gegen diese Vertragspflichten können nach § 15 Hebammenhilfevertrag zu Sanktionen wie Abmahnung, Vertragsstrafe bis hin zur Vertragskündigung führen.

     

    Pflichten und Haftung

     

    Die folgenden Regelungen spiegeln zum Teil die Rechtsprechung zu den Pflichten von GeburtsmedizinerInnen und Hebammen wider (Kodifizierung der Rechtsprechung). Treten vor oder während der Geburt Komplikationen oder Risiken auf, die es gebieten, dass die Schwangere sich in die Klinik begibt, damit dort die Geburt weitergeführt werden kann, wie dies zum Beispiel bei einem silenten CTG und Reverse Flow in der Nabelschnurarterie der Fall ist, muss die Schwangere veranlasst werden, sich unverzüglich in das nächste Krankenhaus zu begeben (OLG Hamm, Urteil vom 19. März 2018 – I-3 U 63/15 –, juris).

    Will die Schwangere dem nicht folgen, muss die Hebamme (oder der Geburtsmediziner beziehungsweise die Geburtsmedizinerin) rechtzeitig »mit allem Ernst auf die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme, die Folgen eines Verzichts hierauf sowie auf die Entstehung möglicher Schäden und deren Folgen hinweisen« (LG Dortmund, Urteil vom 01. Oktober 2014 – 37 Ks 3/11, OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. April 2007 – I-8 U 37/05 –, beide juris). Notfalls müssen Hebammen oder MedizinerInnen mit maximalem Druck auf die Schwangere einwirken, um deren Widerstand gegen eine Entbindung in der Klinik zu brechen. Unzureichende Überredungsversuche genügen nicht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09. Juni 2011 – I-8 U 154/10 –, juris; Diefenbacher (2017): 72 f.).

    Welches konkrete Maß an Druck erforderlich ist und wie weit die Druckausübung gehen darf, wird von der Rechtsprechung bislang nicht definiert. Im Urteil vom 26. April 2007 verlangt das OLG Düsseldorf »laute drastische Intervention bis hin zum Eklat«. Letztlich wird dies von der konkreten Situation im Einzelfall abhängen. Wenn noch genügend Zeit ist, kann zunächst versucht werden, etwaig anwesende Angehörige einzubeziehen und zu veranlassen, auf die Schwangere einzuwirken. Je größer die Gefahren für das ungeborene Kind sind und je weniger Zeit für die notwendigen, lebensrettenden Maßnahmen bleibt, desto intensiver muss auf die Schwangere eingewirkt werden. Notfalls muss ihr laut und drastisch deutlich gemacht werden, dass ihr Kind droht zu sterben und sie sich strafbar machen kann, wenn sie den Transport in das Krankenhaus nicht zulässt. Parallel dazu sollte schon der Rettungsdienst gerufen werden.

    Zu beachten ist allerdings, dass diese Art der Eskalation und Druckausübung als Gewalt unter der Geburt angesehen werden und für die Schwangere traumatisierend wirken kann (Grieschat 2019). Dieser Konflikt zwischen der von der Rechtsprechung geforderten Eskalation und dem subjektiven (Gewalt-)Erleben der Schwangeren sollte gegebenenfalls durch traumatherapeutische Maßnahmen aufgearbeitet werden.

    Befindet sich die Schwangere bereits in der Geburtsklinik, muss bei Auftreten von Komplikationen, wie beispielsweise kindlichen Tachykardien oder erkennbarer Sauerstoffunterversorgung, der diensthabende Gynäkologe oder die Gynäkologin hinzugezogen werden (LG Dortmund, Urteil vom 16. Januar 2020 – 4 O 430/16; OLG Frankfurt, Urteil vom 24. Mai 2016 – 8 U 159/14; OLG Köln, Beschluss vom 11. August 2014 – I-5 U 36/14; OLG Hamm, Urteil vom 14. September 2009 – I-3 U 9/08 –, alle juris).

    Ebenso muss ein Geburtsmediziner beziehungsweise eine -medizinerin eine Einweisung in ein Perinatalzentrum veranlassen, wenn dies aus medizinischen Gründen und nach den einschlägigen Leitlinien geboten ist. Ein Krankenhaus, das nur die Voraussetzungen der neonatologischen Versorgungsstufe »Perinataler Schwerpunkt« erfüllt, darf beispielsweise bei einem zu erwartenden Geburtsgewicht von 1.000 g eine Schwangere nicht behandeln, sondern muss diese in ein Krankenhaus überweisen, das als »Perinatalzentrum Level 2« zugelassen ist (SG Düsseldorf, Urteil vom 30. November 2016 – S 47 KR 196/13, nachgehend: BSG, Beschluss vom 04. September 2020 – B 1 KR 36/19 B –, juris). Derartige Pflichtverstöße führen nicht nur zur zivilrechtlichen Haftung von Hebamme und GeburtsmedizinerIn, sondern auch zu einem Verlust des Vergütungsanspruchs und gegebenenfalls straf- und berufsrechtlichen Konsequenzen. Diese gravierenden Folgen für Hebammen und GeburtsmedizinerInnen führen daher zu faktischen Einschränkungen des geburtlichen Selbstbestimmungsrechts über die Wahl des Geburtsortes.

     

    Verantwortung gegenüber dem Kind

     

    Die Frau könnte sich den Beschränkungen entziehen und entscheiden, die Geburt ohne Hilfe einer Hebamme, eines Geburtsmediziners oder einer Geburtsmedizinerin durchzuführen. Auch diese Entscheidung findet indes ihre Grenzen im Strafrecht, da die Frau während Schwangerschaft und Geburt Pflichten zu erfüllen hat, wie der BGH im folgenden Fall festgestellt hat.

    Eine Frau hat insgesamt sechs Kinder lebend zur Welt gebracht. Drei Geburten erfolgten im Krankenhaus und drei heimlich zu Hause, ohne fremde Hilfe im Badezimmer. Die lebensfähigen Kinder verstarben jedoch kurz nach der Geburt. Ein Kind erstickte, weil nach der Geburt Duschwasser in seine Lunge gelangt war. Ein Kind erstickte, weil die alkoholisierte Frau in der Duschwanne hinfiel und anschließend das gerade geborene Kind so fest an sich drückte, dass es erstickte. Bei der dritten Alleingeburt war die Frau wieder alkoholisiert, weshalb sie nach der in der Badewanne erfolgten Geburt das Bewusstsein verlor. Als sie erwachte, war das auf ihrem Bauch liegende Neugeborene erstickt, weil es Fruchtwasser eingeatmet hatte und wegen der Blutalkoholkonzentration unter einer Anpassungsstörung litt, die bei sofortiger, adäquater Versorgung gut beherrschbar gewesen wäre.

    Der Bundesgerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die Stellung als Mutter eine Garantenstellung gegenüber dem Kind begründet, welche die Pflicht der Frau beschreibt, vom Einsetzen der Geburtswehen an (vgl. Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 26) diejenigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um das Leben des Kindes zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1955 – 2 StR 102/55; Urteil vom 29. April 1969 – 1 StR 49/69, GA 1970, 86).

    Bei problemlos verlaufender Schwangerschaft und wenn nicht mit einem erhöhten Risiko während der Geburt für das Kind zu rechnen sei, spräche zwar nichts gegen eine Hausgeburt. Es bestünde auch keine grundsätzliche Pflicht, sich für die Geburt fremder Hilfe zu vergewissern (siehe Kasten zur Alleingeburt). Eine solche Pflicht besteht aber immer dann, wenn für die Schwangere aufgrund bekannter Vorerkrankungen oder sonstiger Risiken absehbar ist, dass bei der Geburt Gefahren für Leib oder Leben des Kindes entstehen können. Aus der Pflicht, für das Kind einen möglichst sicheren Geburtsverlauf und die erforderliche Erstversorgung sicherzustellen, folge aber, dass es in schützender Umgebung zur Welt zu bringen ist, etwa im Bett. Ein Badezimmer sei aufgrund des harten oder rutschigen Bodens und harter Kanten keine solche Umgebung.

    Wegen der Alkoholisierung stellte der BGH für zwei der Schwangerschaften fest, dass aus der Garantenstellung der Mutter und der Garantenstellung von Hebamme und GeburtsmedizinerIn sowohl gegenüber der schwangeren Frau als auch dem ungeborenen Kind folgt, dass sogar eine Sectio gegen den Willen der Schwangeren zulässig sei, wenn das Leben des Kindes andernfalls gefährdet wäre. Dies folge nicht nur aus der Eigenschaft der Frau als Mutter, sondern auch aus ihrem schädigendem Vorverhalten. Da der Frau bewusst war, dass wegen des erheblichen und regelmäßigen Alkoholkonsums während der Schwangerschaft und unmittelbar vor der Geburt besondere gesundheitliche Risiken für das Kind bestanden, war sie auch aus diesem Grund verpflichtet, die Geburt nicht ohne ärztlichen Beistand durchzuführen. Da es sich um Risikogeburten handelte (Alkoholabhängigkeit), genügte die Begleitung einer Hebamme nicht. Zudem war die Geburt in einer Klinik geboten.

    Nur wenige solcher Fälle sind Gegenstand der strafrechtlichen Rechtsprechung. In der Praxis kommen sie indes häufiger vor, verlaufen oft aber glücklicherweise für Mutter und Kind gut. Das zeigen die von der Hebamme und Sachverständigen Regine Knobloch und dem Rechtsanwalt Dr. Sebastian Almer beschriebenen Fälle in der DHZ (Almer & Knobloch 2016).

     

    Grenzen des Selbstbestimmungsrechts

     

    Weitere Schranken des geburtlichen Selbstbestimmungsrechts bestehen auch für die Ausrichtung der Geburt. Grundsätzlich kann die Schwangere zwar selbst darüber entscheiden, wie die Geburt erfolgen soll, also als natürliche (Vaginal-)Geburt oder als Kaiserschnitt. Die neue S3-Leitlinie zur Sectio stärkt insoweit das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Die Schwangere kann auch eine – medizinisch nicht indizierte – Wunschsectio verlangen, wobei kein Geburtsmediziner und keine Geburtsmedizinerin verpflichtet ist, diese durchzuführen (Magnus 2012). Denn wenn eine medizinisch nicht indizierte Wunschsectio vorgenommen wird, bestehen erhöhte Aufklärungspflichten und vor allem nicht selten auch erhöhte Risiken für die Schwangere und das Ungeborene.

    Die Grenzen dieses Selbstbestimmungsrechts zur Ausrichtung der Geburt ergeben sich aus dem Verlauf von Schwangerschaft und Geburt und den daraus abgeleiteten Risiken für das ungeborene Kind. Bleibt zum Beispiel ein CTG pathologisch und ist eine Fetalblutgasanalyse nicht möglich, ist die Geburt mittels Sectio zu beenden (OLG Hamm, Urteil vom 04. April 2017 – I-26 U 88/16 –, juris). Grundsätzlich bedarf es hierfür der Einwilligung der Schwangeren. Diese ist bereits zu einem Zeitpunkt einzuholen, zu dem sich die Schwangere noch in einem Zustand befindet, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden kann. Sobald deutliche Anzeichen bestehen, dass im weiteren Verlauf der Geburt eine Situation eintreten kann, in der eine normale vaginale Geburt kaum noch in Betracht kommt, sondern eine Schnittentbindung notwendig oder zur echten Alternative der vaginalen Entbindung wird, muss die Schwangere hierüber aufgeklärt und ihre Entscheidung eingeholt werden (BGH Urteil vom 16.2.1993, VI ZR 300/91, VersR 1993, 703 ff; zuletzt noch bestätigt in BGH Urteil vom 28.8.2018, VI ZR 509/17, VersR 2018, 1510 ff). Dies kann beispielsweise bei der Geburt eines makrosomalen Kindes oder bei Verdacht auf ein Amnioninfektionssyndrom der Fall sein (OLG Karlsruhe, Urteil vom 15. Februar 2018 – 7 U 182/16 –, juris).

    Weigert sich die Schwangere, in die Schnittentbindung einzuwilligen, besteht auch in diesem Fall die Pflicht, mit maximalem Druck auf sie einzuwirken, damit sie in die Sectio einwilligt (OLG Düsseldorf, Urt. vom 26.04.2007, 8 U 37/05 – juris; Diefenbacher aaO). Dies gilt im Übrigen auch in anderen Fällen, wenn die Schwangere sich weigert, den medizinisch gebotenen Anweisungen der Hebamme nachzukommen, wie beispielsweise aus der Wanne herauszukommen, wenn die Herztöne des Kindes eine zügige Geburtsbeendigung erfordern (Diefenbacher (2017): 118 f.).

    Weigert sich die Schwangere indes trotz massiven Einwirkens, führt dies aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Schutzanspruchs des ungeborenen Lebens, das auch gegenüber der Mutter besteht, zu einer Pflichtenkollision für Hebamme beziehungsweise GeburtsmedizinerIn. Denn sie haben sowohl gegenüber der Kindesmutter als auch dem ungeborenen Kind eine Garantenpflicht. Zugleich hat aber auch die Frau eine Garantenpflicht gegenüber ihrem ungeborenen Kind.

    Tritt ein Szenario ein, dass das Unterlassen des Kaiserschnitts eine Gefahr für das Leben des ungeborenen Kindes begründet, kann es nach Ansicht des Autors (die nicht der herrschenden Ansicht entspricht!) ausnahmsweise vertretbar sein, die Sectio sogar gegen den Willen der Schwangeren vorzunehmen (Robienski 2019: Deutsche Hebammenzeitschrift: 18–22). Die Begründung liegt darin, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass »der Lebensschutz der Leibesfrucht grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren genießt und nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden darf« (BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90, BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975 – 1 BvF 1/74). Die in der Sectio gegen den Willen der Schwangeren liegende Körperverletzung zu ihren Lasten wäre nach § 34 StGB gerechtfertigt (siehe auch Lyng et. al. 2005: 42).

     

    Schädigendes Verhalten ge­­gen das Ungeborene

     

    Insgesamt stellt sich die Frage, ob und wenn ja, welche Pflichten aus der Garantenstellung der Frau gegenüber dem ungeborenen Kind abzuleiten sind. Während der oder die Behandelnde eine Entwicklungsstörung des Kindes im Mutterleib aufgrund eines Nikotinmissbrauchs der schwangeren Frau ab der 33. Schwangerschaftswoche feststellt, erfordert die Schwangerenbetreuung ein verstärktes Risikomanagement (OLG München Urt. V. 25.01.2001, 24 U 170/98). Dieser Grundsatz dürfte auch auf andere Fallkonstellationen wie Drogen- und Alkoholmissbrauch übertragbar sein. Fraglich ist, ob dies auch im Falle einer Adipositas oder bei schädlicher Fehl- und Mangelernährung gilt.

    Fraglich ist ferner, ob die Schwangere verpflichtet ist, Schädigungen des ungeborenen Kindes durch Missbrauch von Drogen oder andere schädigende Handlungen zu unterlassen und sich das verstärkte Risikomanagement und die damit verbunden häufigeren Untersuchungen gefallen lassen muss.

    Der Verzehr von Alkohol durch Schwangere wird als unmittelbare physische Einwirkung eines schädlichen Stoffes auf das ungeborene Leben und damit als unmittelbare Gewaltanwendung gegenüber dem ungeborenen Kind angesehen (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2017, L 7 VE 10/15; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. Dezember 2017, L 10 VE 45/15; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Januar 2017, L 13 VG 11/16; BSG, Beschluss vom 16. Juni 2017 – B 9 V 20/17 B – alle juris.). Aber strafrechtliche Sanktion hat die Schwangere nicht zu fürchten, da das ungeborene Leben nicht als »taugliches Schutzobjekt eines Körperverletzungsdeliktes nach §§ 223 ff. StGB« angesehen wird. Zum Menschen, der in den Schutzbereich des Strafgesetzbuches fällt, wird die Leibesfrucht erst mit Beginn des Geburtsvorganges (BGH, Urteil vom 07. Dezember 1983 – 1 StR 665/83; BGH, Urteil vom 22. April 1983 – 3 StR 25/83 – beide juris). Damit ist das Einsetzen der Eröffnungswehen oder das Eröffnen des Uterus zum Zwecke der dauerhaften Trennung vom Mutterleib gemeint (BGH, Beschluss vom 11. November 2020 – 5 StR 256/20 – juris).

    Möglich ist aber eine zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtung der Mutter gegenüber ihrem Kind nach §§ 823 I BGB. Denn der zivilrechtliche Deliktschutz des Menschen ist an keinen zeitlichen Anfangstermin gebunden und deshalb fällt bereits die Leibesfrucht in den Schutzbereich (BGH, Urt. v. 11.01.1972 – VI ZR 46/71 – juris). Das bedeutet, dass das Kind wegen der Schädigung im Mutterleib zwar keinen strafrechtlichen Schutz erfährt, aber nach der Geburt einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch gegen die Mutter oder Dritte (auch die Hebamme) haben kann.

    Zudem ist in einem solchen Fall denkbar, dass für das ungeborene Kind vom Familiengericht Schutzmaßnahmen angeordnet werden und beispielsweise ein Verfahrensbeistand bestellt wird (AG Bad Iburg, Beschluss vom 18. Juli 2017 – 5 F 379/17 SO – juris ). In dem konkreten Fall hatte die »unter umfassender Betreuung stehende werdende Mutter trotz Senkwehen im siebten Schwangerschaftsmonat gegen ärztlichen Rat das Krankenhaus verlassen«. Es sei zu befürchten, dass das Kind als Frühgeburt zur Welt komme, was Gefahren für Leib und Leben des Embryos bedeuteten. Das Gericht hatte daher entschieden, dass »gerade dann, wenn sich möglicherweise schädigende Verhaltensweisen einer werdenden Mutter massiv auf Leib oder Leben des ungeborenen Kindes auswirken können, es eines Interessenvertreters des ungeborenen Kindes, um dessen Schutzbedürftigkeit im notwendigen Abwägungsprozess Kinderschutz gegen Lebensgestaltungsfreiheit der Schwangeren ausreichend zur Geltung zu bringen, bedürfe« (AG Bad Iburg, Beschluss vom 18. Juli 2017 – 5 F 379/17 SO – juris). Bislang handelt es sich allerdings um eine Einzelfallentscheidung eines einzigen Amtsgerichts. Zudem sind die Möglichkeiten des Verfahrenspflegers begrenzt. Er kann zwar versuchen, auf die Schwangere einzuwirken, schädigende Verhaltensweisen zu unterlassen, aber selbst keinen Zwang ausüben. Er kann auch nicht zum Wohle des Kindes gegen den Willen der Schwangeren in eine medizinische Maßnahme einwilligen. Insoweit ist allenfalls denkbar, dass er analog §§ 165, 157 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) einen Antrag auf Vermittlung und Erörterung beim Familiengericht stellt. Sofern Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung der Schwangeren vorliegen, kann er beim Vormundschaftsgericht Maßnahmen gegen die Schwangere beantragen (Unterbringung, Bestellung eines Betreuers).

     

    Umstrittene Fragen

     

    Umstritten ist in der Rechtsprechung, ob wegen schädigenden Fehlverhaltens der Schwangeren bereits vorgeburtlich das Sorgerecht entzogen werden kann. Nach herrschender Ansicht ist dies nicht der Fall (Dafür: OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2020 – II-11 UF 253/19 –, juris; Dagegen: OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2020 – II-11 UF 253/19; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Januar 2020 – 12 E 882/19; VG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2017 – 7 K 18365/17 – alle juris).

    Ob andere Zwangsmaßnahmen oder Zwangsbehandlungen angeordnet werden können, ist fraglich. Möglich ist die Bestellung eines Betreuers oder einer Betreuerin zur Einwilligung in einen Schwangerschaftsabbruch einer krankheitsbedingt einwilligungsunfähigen Frau (OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. September 2008 – 20 W 354/08 – juris). Daraus könnte man ableiten, dass im Falle der krankheitsbedingt einwilligungsunfähigen Schwangeren auch andere Zwangsbehandlungen angeordnet werden könnten. Dies wird für zulässig gehalten, um einen erheblichen gesundheitlichen Schaden von der Schwangeren abzuwenden (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. Februar 2008 – 19 Wx 44/07 –, juris).

    Ob eine solche Zwangsbehandlung auch zum Wohle des noch nicht geborenen Kindes zulässig ist, wurde bislang in Deutschland noch nicht entschieden. Wenn überhaupt, dürfte dies erst nach Beginn der Geburtswehen genehmigungsfähig sein und nur, wenn das ungeborene Kind andernfalls sterben würde.

    Fazit: viele faktische Einschränkungen. Aus dem verfassungsrechtlich garantierten geburtlichen Selbstbestimmungsrecht der Frau resultiert in Deutschland ein Wahlrecht der Frau über den Ort und die Ausführung der Geburt. Dieses Wahlrecht ist indes nicht absolut. Es gibt viele Einschränkungen durch gesetzliche Regelungen, die Rechtsprechung und medizinische Notwendigkeiten. So kann man letztlich nur von einem relativen beziehungsweise eingeschränkten Wahlrecht sprechen.

     

    Alleingeburt: Erlaubt, aber ein Strafbarkeitsrisiko bleibt!

     

    Die stärkste Ausprägung des geburtlichen Selbstbestimmungsrechts ist das Recht der Schwangeren auf eine Alleingeburt. In Deutschland kann eine Schwangere nach geltender Rechtslage eine Geburt grundsätzlich allein durchführen, ohne jede professionelle Hilfe von Hebammen oder GeburtsmedizinerInnen. Dies war nicht immer so. Nach § 3 Abs. 1 HebG von 1938 war jede Schwangere »verpflichtet, frühzeitig eine Hebamme zu ihrer Entbindung zuzuziehen«. Diese Regelung wurde am 1. April 1984 mit dem Inkrafttreten des ersten bundesdeutschen Hebammengesetzes gestrichen, aber nicht aufgehoben (§ 34 Abs. 1 HebG 1984). Die Streichung erfolgte, weil dem Bundesgesetzgeber seinerzeit die Gesetzgebungszuständigkeit zur Regelung dieser Frage fehlte. In der Gesetzesbegründung wird indes die erhebliche gesundheitspolitische Bedeutung der Hinzuziehungspflicht hervorgehoben und darauf verwiesen, dass es Sache der Länder sein werde, diese Verpflichtung, die weder erzwingbar noch strafbewehrt sei, als eigene Rechtsnorm auszugestalten (Gesetzesentwurf zum Hebammengesetz 1984, BT-Ds 10/1064, S. 13., > http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/10/010/1001064.pdf).

    Die Alleingeburt ist indes mit einem erheblichen Strafbarkeitsrisiko für die Schwangere verbunden – nicht nur in Deutschland. Bereits das Reichsgericht in den 1920er Jahren hat eine Schwangere, deren Kind anlässlich einer Alleingeburt verstorben war, nach § 217 StGB aF (in der bis zum 01.04.1998 geltenden Fassung) wegen Kindstötung verurteilt, da »eine Rechtspflicht der Schwangeren bestehe, die zur Erhaltung des Lebens des Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen und demgemäß eine sich etwaig nötig machende Hilfeleistung zu ermöglichen« (RG JW 1927, 2696 f.).

    Dem folgte der Bundesgerichtshof zunächst noch in mehreren Entscheidungen zum HebG 1938 (BGH Urt. v. 29.04.1969, 1 StR 49/69: https://research.wolterskluwer-online.de/document/c66f7ab0–9f2c-4e01- a3b1-f3717ebe0369; Urt. v. 14.06.1955, 2 StR 102/55: https://research.wolterskluwer-online.de/document/3d519295–1f26–4abb-83f2-e6f0b36fe940). Auch noch nach Inkrafttreten des HebG 1984 gab es entsprechende Urteile (BGH, Urteil vom 12. November 2009 – 4 StR 227/09 –, juris). Die Unterlassungen der Schwangeren, noch vor der Geburt Hilfe hinzuzuziehen, wurden dabei als Anzeichen für den Vorsatz der Kindstötung gewertet (BGH Urt. v. 29.04.1969 aaO). Diese Rechtspflicht zur Hinzuziehung professioneller Hilfe trifft die Schwangere nach der neueren Rechtsprechung erst ab dem Einsetzen der Geburtswehen(BGH Urt. v. 12.11.2009, aaO).

    Der Entscheidung des BGH von 2009 kann entnommen werden, dass keine Pflicht der werdenden Mutter besteht, sich bei jeder Geburt fremder Hilfe zu vergewissern, ohne Bezug zu einer konkreten Gefahr. Die Hinzuziehungspflicht besteht aber immer dann, wenn schon die Schwangerschaft nicht problemlos verlief oder wegen Vorerkrankungen oder sonstiger Risiken absehbar sei, dass bei der Geburt Gefahren für Leib oder Leben des Kindes entstehen könnten. Der BGH bestimmt diese »sonstigen Risiken« indes nicht näher.

    Der Autor teilt die Auffassung, dass hierunter zumindest alle Risiken zu fassen sind, die auch gegen eine Hausgeburt oder allein hebammengeleitete Geburt sprechen. Die Schwangere muss nicht nur einen möglichst sicheren Geburtsverlauf, sondern auch die erforderliche Erstversorgung des Neugeborenen sicherstellen. Daher ist jede Alleingeburt ohne jegliche Vorkehrungen, die sicherstellen, dass im Notfall in kürzester Zeit notfallmedizinische Hilfe gerufen und geleistet werden kann, zumindest als leichtfertig anzusehen. Die Schwangere muss zwar keine Hebamme oder GeburtsmedizinerIn zur Geburt hinzuziehen, aber zumindest von einer weiteren Person begleitet werden, die im Notfall den Rettungsdienst rufen kann und fähig ist, an dem Neugeborenen lebensrettende Sofortmaßnahmen vorzunehmen.

    Glücklicherweise gibt es in der deutschen Rechtsprechung bisher nur sehr wenige Fälle dieser Art.

    Rubrik: Ausgabe 04/2021

    Erscheinungsdatum: 25.03.2021

    Literatur

    Diefenbacher M: Praxisratgeber Recht für Hebammen. Hippokrates Verlag 2017

    Grieschat M: »… oder wollen Sie, dass Ihr Kind stirbt?« In: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin 2019. 3, 17–19

    Knobloch R, Almer S: Alleingeburt: Das letzte Abenteuer. Deutsche Hebammen Zeitschrift 2016. 52–56

    Kötter C, Maßing E: Qualitätsanforderungen versus Wahlfreiheit bei Hausgeburten. In: Gesundheits- und Sozialpolitik. 70, 3. Ökonomisierung der Geburt. 14–19. Nomos Verlag 2016

    Lyng K, Syse A, Bordahl P: Can cesarean section be performed without the woman’s consens? Acta Obstet Gynecol Scandinavica 2005. 84: 39–42. https://obgyn.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/j.0001-6349.2005.00613.x

    Magnus D: Fürsorge oder Selbstbestimmung? Deutsches Ärzteblatt 2012. 109 (18): A 913–8

    Robienski J: Notsecio gegen den Willen der Frau? In: Deutsche Hebammen Zeitschrift 2019. 01: 18–22

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