Qualitative Studie aus Jordanien

Gebären ohne Schutz und Würde

  • Gebärende in Jordanien haben häufig keine Wahl, wie sie gebären möchten, und erhalten wenig Schutz und Privatsphäre. Eine hohe Interventionsrate ist die Folge.

  • Jordanien liegt als arabisches Land im Nordwesten der arabischen Halbinsel und Gebären findet in dieser Region unter ganz anderen Bedingungen als in westlichen Ländern statt: So liegt beispielsweise die Müttersterblichkeit deutlich höher. Die Maternal Mortality Rate im Jahr 2021 betrug 85,2 pro 100.000 Lebendgeburten. Im Vergleich zu anderen Ländern ist sie im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen und die Ursachen hierfür werden diskutiert. Die Diskussion umfasst beispielsweise ein Hinterfragen einer Vielzahl überflüssiger geburtshilflicher Interventionen, die mehr Schaden als Nutzen bewirken, da in Jordanien eine sehr interventionsreiche Geburtshilfe durchgeführt wird.

    Empfohlen wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit eine interventionsarme intrapartale Betreuung physiologischer Geburten sowie die Umsetzung einer respektvollen und würdevollen Geburtshilfe. Wie erfolgt dies in Jordanien? Welche Erfahrungen machen Frauen beim Gebären? Um die aktuelle Situation zu erfassen, wurde eine qualitative Studie durchgeführt.

    Zwischen Mai und Juni 2021 wurden halbstrukturierte Interviews unter 20 Frauen eine Woche nach der Geburt ihres Kindes durchgeführt. Die Einschlusskriterien umfassten, dass die Teilnehmerin eine unkomplizierte Schwangerschaft und eine spontane Geburt in einer jordanischen Klinik erlebt hatte. Die Daten wurden anhand einer thematischen Inhaltsanalyse evaluiert. Drei zentrale Themen wurden identifiziert.

     

    Mangelnde Würde während der Geburt

     

    Die Teilnehmerinnen erlebten Stress und Ängste verschiedenster Art und beschrieben eine Würdelosigkeit während der Geburt. Mehrere Teilnehmerinnen berichteten, dass sie während der Geburt angeschrien wurden, Bedrohungen erlebten sowie schlecht behandelt wurden. Eine Frau erlebte: »Sie zwickte mich und sagte laut: Drück jetzt mit, sonst wirst du dein Kind verlieren.« (P17, Q21) Eine andere Teilnehmerin berichtete über verschiedene entwürdigende Äußerungen, mit der sie konfrontiert wurde. Diese waren: »Das einzige, was du kannst ist Sex haben mit deinem Mann«, oder: »Warum bist du überhaupt hergekommen, wenn du nicht pressen willst?« (P9, Q12)

    Eine Gebärende teilte dem Arzt mit, dass dies ihre erste Schwangerschaft war und sie Hilfe benötige. Daraufhin antwortete der Arzt: »Wenn du Angst hast, warum bist du dann schwanger geworden?« (P1, Q25).

     

    Mangelnde Privatsphäre beim Gebären

     

    Die Teilnehmerinnen berichteten zudem, dass jederzeit Personen den Gebärraum betraten und verließen. Sie erlebten, dass ihre Privatsphäre nicht geachtet wurde. Es war den Mitarbeiter:innen des Krankenhauses, den Studierenden sowie den Reinigungsfachkräften uneingeschränkt erlaubt, den Gebärraum ohne Erlaubnis zu betreten. Eine Frau berichtete zudem, dass keinerlei Rücksicht auf sie genommen wurde, während sie darauf zu warten hatte, nach der Geburt genäht zu werden: »Ich war unbedeckt für über zehn Minuten, als ich auf den Arzt warten sollte, um genäht zu werden.« (P12, Q27)

     

    Fragliche Geburtspraktiken

     

    Mehrere Gebärende wurden von einer Hebamme betreut. Die Frauen berichteten, dass viele vaginale Untersuchungen erfolgten. Den Gebärenden wurde verboten, umherzugehen oder den Raum zu verlasen. Essen und Trinken unter der Geburt wurde ihnen untersagt.

    Es gab keine Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Gebärhaltung, alle Teilnehmerinnen der Studie mussten in Rückenlage gebären. Routinemäßig wurden Episiotomien durchgeführt sowie ohne Nachfrage und Erklärung die Fruchtblase eröffnet. Eine Frau berichtete: »Sie untersuchten die Eröffnung des Muttermundes fast alle 15 Minuten. Es war schmerzhaft und wurde durch verschiedene Personen durchgeführt.« (P20, Q7)

     

    Mehr Respekt

     

    Die Autor:innen zeigen anhand der Erfahrungen der Frauen auf, dass deren Erfahrungen beim Gebären nicht zufriedenstellend waren. Sie kritisieren eine Anwendung vieler veralteter Gebärpraktiken sowie eine respektlose Behandlung gebärender Frauen ohne Wahrung der Privatsphäre. Die Durchführung überflüssiger geburtshilflicher Interventionen müsse vermieden werden. Die Autor:innen empfehlen, die Betreuungs- und Versorgungsqualität beim Gebären in Jordanien zu überprüfen und zu verbessern.

    Quelle: Mrayan, L., Abuidhail, J., Abujilban, S. and Al-Modallal, H. (2023) 'Exploring Jordanian mothers' experiences of childbirth', Midwifery, 127, pp. 103859. https://doi.org/10.1016/j.midw.2023.103859 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 05.12.2023