Kultureller Wandel und Sprache

Ist Stillen „normal“?

Im Bereich der Kinderernährung kann das, was biologisch als "normal" anzusehen ist, nicht mit der kulturellen Normierung gleichgesetzt werden. In Island wurden, wie in anderen Regionen Europas, Kinder sehr lange gestillt. Ihr Gedeihen war vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit des 19. Jahrhunderts davon abhängig. Damit war es normal. In anderen Regionen war das Stillen historisch nicht so verankert. So ist die Fütterung eines Kindes heute auch nicht zwingend mit dem Stillen verbunden.

Frauen in Irland, England und in den USA haben relativ früh im 20. Jahrhundert damit begonnen, ihre Kinder nicht mehr so lange beziehungsweise nicht selbst zu stillen. Die Rolle der Wissenschaft, die Unterstützung der Frauen beim Stillen und der kulturelle Wandel, nicht zuletzt die Frauenbewegung, haben zu Verschiebungen der Norm geführt und sie in Frage gestellt. Das bedeutet, dass die Sichtweisen auf das Stillen durch kulturelle Einflüsse geprägt sind. Und erklärt auch, warum bestimmte Maßnahmen nur in einigen Gegenden wirksam sind, in anderen dagegen nicht.

Wichtig ist es daher, alle Maßnahmen zur Steigerung der Stillraten und -dauer als Interventionen zu bezeichnen. Sie sind Eingriffe in die jeweilige Normalität einer Gemeinschaft oder eines Paares, die gut auf deren persönlichen Bedarf abgestimmt sein sollten.

Quelle: Thorley V: Is breastfeeding ‚normal‘? Using the right language for breastfeeding. Midwifery Journal. Im Druck. Oktober 2018. https://www.midwiferyjournal.com/article/S0266-6138(18)30312-7/fulltext ∙ DHZ

Rubrik: 1. Lebensjahr

Erscheinungsdatum: 17.12.2018