Luft zum Atmen
Die Beschwerden mehren sich im Schutze der Vertraulichkeit, dass Frauen in diversen Kliniken unter Wehen und bis zum Ende der Geburt Masken tragen müssen, selbst wenn sie dadurch große Beschwerden und Atemnot haben. Hierbei handelt es sich zunehmend sogar um FFP2-Masken. Dies wird auch nach negativen Tests auf Sars-CoV-2 verlangt. Dieser Vorgehensweise ist auf Basis der Evidenzlage zu widersprechen, sie entspricht in keiner Weise der Forderung nach Best Practice unter der Geburt.
Das Wohlbefinden der Gebärenden zu wahren und zu fördern, hat unter der Geburt oberste Priorität (WHO 2018). Hierbei spielt die freie Atmung eine entscheidende Rolle, da ein physiologischer Gebärprozess dadurch unterstützt wird.
Die Notwendigkeit einer freien und ungehinderten Atmung für die Gebärende ist gut belegt. Atemarbeit gehört zu den wichtigsten Aspekten einer physiologischen Geburt. Eine ungehinderte, freie und ruhige Atmung ist erforderlich, um ausreichend Sauerstoff aus der Umgebungsluft aufnehmen und um das überschüssige Kohlendioxid ebenfalls ungehindert abgeben zu können (Peate & Muralitharan 2016; Stables Ranking 2017).
Ein akkumulierender Kohlendioxidüberschuss unter der Geburt kann in kurzfristiger Folge zu einer respiratorischen Azidämie führen, also einer Ansammlung von Kohlendioxid im kindlichen Blut. Bei weiterer Akkumulation von Kohlendioxid und Sauerstoffmangel geht der Organismus des Kindes in einen anaeroben Stoffwechsel über. Daraus kann eine metabolische Azidose folgen, die zum Schaden des Kindes führt, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhält (Gruber et al. 2019; Peate & Gormley-Fleming 2015).
Die ungehinderte Versorgung mit Sauerstoff der Gebärenden unter der Geburt ist elementar für das mütterliche und kindliche Wohlergehen. Alles, was eine freie Atmung einschränkt, ist deshalb abzulehnen. Deshalb sollte unter der Geburt nicht leichtfertig mit der Anordnung von atemwegsbehindernden Maßnahmen umgegangen werden.
Empfehlungen und Evidenzen
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) empfiehlt kein Tragen jeglichen Mund-Nasen-Schutzes unter der Geburt für negativ getestete Frauen. Bei positivem oder unklarem Status gibt sie eine Empfehlung mit der Einschränkung, dass sowohl Oxygenierungsstatus als auch subjektives Wohlbefinden der Gebärenden zu berücksichtigen seien (DGGG 2020). Hieraus lässt sich schließen, dass der Zustand der Gebärenden und des Kindes unter der Geburt als oberste Priorität handlungsleitend zu werten sind.
Evidenzen für diese Empfehlung liegen vor. So zeigten beispielsweise Pearl Shuang Ye Tong und KollegInnen, dass FFP2-Masken bei Schwangeren zu erschwerter Atmung und einem reduzierten mittleren Atemvolumen führen sowie den aeroben Stoffwechsel belasten (Tong et al. 2015). Die CO2-Belastung im Kreislauf stieg bereits nach kurzer Tragezeit bei Schwangeren bei mäßiger körperlicher Anstrengung signifikant an. Zudem sank der Sauerstoffgehalt. Dies kann allerdings nicht mit Geburtsarbeit verglichen werden, die eine deutlich höhere körperliche Belastung darstellt.
Auch die GynäkologInnen Erzat Toprak und Ayça Nazlı Bulut zeigten in ihrer prospektiven Beobachtungsstudie eine signifikant reduzierte Sauerstoffsättigungen im Blut von Schwangeren, die normale OP-Masken oder FFP2-Masken trugen (Toprak & Bulut 2020). Dies wurde im letzten Drittel der Schwangerschaft bei 297 Frauen untersucht, wobei die Effekte bei FFP2-Masken stärker ausfielen. Solange keine gegenteiligen validen Daten vorliegen, ist davon auszugehen, dass derartige Effekte unter der Geburt mindestens gleich oder wahrscheinlich höher ausfallen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaften (DGHWI) empfiehlt in ihrem Standpunktepapier »Sichere und respektvolle geburtshilfliche Versorgung während der COVID-19 Pandemie«: »Von einer pauschalen Maskenpflicht für Gebärende ohne nachgewiesene Infektion mit SARS-CoV-2 sollte abgesehen werden.« Sowie: »Auch beim Vorliegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 haben Frauen das Recht, ihre Geburt sicher und positiv zu erleben. Die erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen sollten dabei immer unter Berücksichtigung der evidenzbasierten Prinzipien einer sicheren, effektiven, gerechten und respektvollen Betreuung mit der Gebärenden und dem betreuenden Fachpersonal abgestimmt werden.« (DGHWI 2021)
Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) rät prinzipiell nicht davon ab, dass Schwangere eine FFP2-Maske tragen. Sie weist jedoch auf die dünne Datenlage hin. Auf das Tragen von Masken unter der Geburt wird nicht eingegangen. Darüber hinaus räumt die OEGGG zwei einschränkende Aspekte ein. Zum einen: »Die Ergebnisse bisher vorliegender Untersuchungen haben, sogar bei moderater körperlicher Anstrengung, keinen Hinweis auf eine gesundheitliche Gefährdung schwangerer Frauen und deren Feten durch das Tragen einer FFP2-Maske ergeben.« (OEGGG 2021)
Geburtsarbeit geht jedoch deutlich über das Maß einer moderaten Anstrengung hinaus. Zum Tragen von FFP2-Masken bei mehr als moderater Anstrengung sowie über viele Stunden in der Schwangerschaft oder gar unter der Geburt liegen keine Daten vor. Die zugrunde liegenden Studien weisen explizit darauf hin, dass sie nur eine kurze Tragedauer bei Low-Risk-Schwangeren untersuchten und deshalb keine Aussagen zu einer längeren Einsatzdauer oder anderen Klientelen treffen können (Roeckner et al. 2020). Es handelt sich um Tragezeiträume von bis zu einer Stunde. Eine mehrfach längere Dauer ergibt sich jedoch durch eine stationäre Klinikaufnahme und durch eine Geburt.
Der zweite Punkt, den die OEGGG zu FFP2-Masken einräumt, lautet: »Die Folgen des Tragens einer FFP2-Maske während der Schwangerschaft über einen längeren Zeitraum können aus Mangel an Evidenz derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Solange beim Tragen einer Maske subjektives Wohlbefinden besteht, erscheint das Risiko für gesundheitliche Nachteile allerdings gering.« Im Umkehrschluss ist nicht von einem geringen Risiko auszugehen, sobald das subjektive Wohlbefinden einer Schwangeren beim Tragen der FFP2-Maske beeinträchtigt ist. Für die Darstellung des subjektiven Wohlbefindens ist die Aussage der Frau heranzuziehen.
Das britische Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) gibt unter Einbeziehung der NICE Guidelines keine Empfehlung zum Tragen jedweder Atemwegsbedeckung für Frauen unter der Geburt (RCOG 2020). Relevante Fachgesellschaften zeigen sich also einig darin, dass Best Practice in der Geburtshilfe das Wohlergehen der Frau unter der Geburt auch in der Pandemie hoch priorisieren muss, um Mutter und Kind keinen Schaden zuzufügen.
Vor FFP2-Masken wird gewarnt
Auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts ist eindeutig zu lesen: »Beim korrekten Einsatz von FFP2-Masken besteht ein erhöhter Atemwiderstand, der die Atmung erschwert. Deswegen sollte vor dem Tragen eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung angeboten werden, um Risiken für den Anwender individuell medizinisch zu bewerten.« (RKI 2021) Während der Geburt schafft dieser Atemwiderstand ein nicht zu vertretendes Geburtshindernis.
Selbst nicht schwangere Menschen sollen laut Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) FFP2-Masken ohne Ausatemventil maximal 75 Minuten am Stück tragen und sich anschließend mindestens 30 Minuten davon erholen. Unter steigender Belastung sind Tragezeiten ausdrücklich zu reduzieren (BGW 2020). Laut Evelyn Weis und KollegInnen dürfen Schwangere im beruflichen Kontext maximal 30 Minuten am Tag mit FFP-Masken arbeiten (Weis et al. 2020).
Wenn man vergleicht, dass Supermarktmitarbeitende von der FFP-Maskenpflicht ausgenommen sind, da ihnen dies über Stunden nicht zumutbar ist, erscheint es umso absurder, es gebärenden Frauen zuzumuten, zudem für unbegrenzte Zeit.
Zwangsmaßnahmen unter der Geburt sind Zeichen von Respektlosigkeit und Gewalt (Bohren et al. 2016). Die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) schreibt in ihrem evidenzbasierten Positionspapier »Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe«: »Erfahrungen von Respektlosigkeit und Gewalt in der geburtshilflichen Betreuung können dazu führen, dass die Geburt als traumatisch erlebt wird. Eine traumatische Geburtserfahrung kann mit schwerwiegenden und lang anhaltenden gesundheitlichen Belastungen und Folgen für die Frau, ihre Beziehung zu dem Neugeborenen und für ihre Familie einhergehen.« (DGHWI 2020)
Der Frau gegen ihren Willen unter der Geburt eine Atemwegsbedeckung aufzuzwingen und damit essenzielle Atemübungen zur Entspannung zu behindern, erhöht das Stresslevel der Gebärenden. Diese Anspannung wiederum führt zu erhöhter Ausschüttung von Adrenalin, hemmt in Folge die Oxytocinausschüttung und stört den Geburtsfortschritt.
Das Tragen von FFP2-Atemwegsbedeckungen kann bei Schwangeren außerhalb des Gebärprozesses ebenfalls nicht als unbedenklich angenommen werden. Auch hierfür liegen keine validen Daten vor.
Fazit
Nach Evidenzlage ist für Frauen eine positive Geburtserfahrung sowohl in medizinischer Sicht als auch aus psychosozialen Aspekten anzustreben (Downe et al. 2018). Von jeglicher Behinderung der Atmung Gebärender ist zum Schutz des Ungeborenen abzusehen. Gebärende benötigen Luft zum Atmen und Kinder benötigen die freie Atmung der Mutter, um gesund geboren zu werden. Daher sollten Frauen weder zum Tragen einer Atemwegsbedeckung noch insbesondere einer FFP2-Maske unter der Geburt gezwungen werden. Dies sollte ihnen auch nicht nahegelegt werden. Gebärende, die keine Atemwegsbedeckung tragen, dürfen dadurch keine Behandlungsnachteile erfahren.
Literatur
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