Niedersachsen

MHH-Notaufnahme jetzt Anlaufstelle des Netzwerks ProBeweis

  • Professor Dr. Stephan Sehmisch (links) und Professorin Dr. Anette S. Debertin halten Material zur Untersuchung und Spurensicherung in den Händen.

  • Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal im Leben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. Doch nur selten kommt es direkt nach der Tat zu einer Anzeige bei der Polizei. Das Netzwerk ProBeweis kann den Betroffenen trotzdem helfen. In den Anlaufstellen sichern und dokumentieren geschulte Ärzt:innen die Spuren der Gewalt – auch wenn zunächst keine Anzeige erfolgt. 39 dieser Anlaufstellen gab es bisher in ganz Niedersachsen. Jetzt kommt eine weitere hinzu: die Zentrale Notaufnahme (ZNA) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die ZNA gehört zur Klinik für Unfallchirurgie. Neben dem Institut für Rechtsmedizin und der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie der Außenstelle der Rechtsmedizin in Oldenburg ist in der Zentralen Notaufnahme nun die vierte Anlaufstelle der MHH zu finden.  

    »Die stetig steigenden Fallzahlen häuslicher Gewalt im Hellfeld unterstreichen den Bedarf an Unterstützung für Betroffene«, stellt Professorin Dr. Anette S. Debertin vom Institut für Rechtsmedizin fest. Sie leitet das Netzwerk ProBeweis. 2020 registrierte die Polizei in Niedersachsen rund 21.500 häusliche Gewalttaten. In den meisten Fällen werden diese vom (Ex)-Partner ausgeübt.

    »Viele Betroffene kommen nach erlebter Gewalt zuerst in die Notaufnahme einer Klinik, um ihre Verletzungen behandeln zu lassen«, berichtet Professor Dr. Stephan Sehmisch, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie. Oft sprechen die betroffenen Frauen und Männer die erlittene Gewalt nicht von sich aus an. »Wir sehen aber, dass die beschriebenen Unfallhergänge nicht zu den Verletzungen passen«, erklärt der Unfallchirurg. »Die Grauzone häuslicher Gewalt ist groß. Als Anlaufstelle des Netzwerks ProBeweis möchten wir den Betroffenen hier in der Zentralen Notaufnahme professionell helfen.«

    Viele Frauen und Männer erstatten direkt nach der Tat keine Anzeige, weil sie sich schämen, bedroht werden oder Angst haben, das belastende Gerichtsverfahren eventuell nicht durchstehen zu können. »Für ein mögliches späteres Gerichtsverfahren ist es aber wichtig, sofort nach der Tat fachgerecht und gerichtsfest Spuren wie Würgemale, Hämatome oder DNA-Material zu sichern und medizinische Befunde exakt zu dokumentieren«, erklärt Professorin Debertin. In der MHH-Notaufnahme ist das ab sofort möglich. Auf die neue Aufgabe wurden die Ärzt:innen in rechtsmedizinischen Schulungen vorbereitet.

    Die Beweismittel werden mindestens drei Jahre aufbewahrt. Die schriftliche Dokumentation wird 30 Jahre archiviert. Das Vorgehen im Netzwerk ProBeweis ist vertraulich. »Erst wenn eine Anzeige erstattet wird und wir von unserer Schweigepflicht entbunden werden, werden der Polizei Befunde ausgehändigt und bei Beauftragung ein prozessrelevantes Gutachten erstellt«, erläutert Rechtsmedizinerin Sarah Stockhausen vom ProBeweis-Team.

    Im vergangenen Jahr dokumentierte das Netzwerk ProBeweis in seinen Anlaufstellen in Kliniken in ganz Niedersachsen insgesamt 215 Fälle von häuslicher und/oder sexueller Gewalt. In etwa 50 % der Fälle wurde körperliche und in 40 % sexuelle Gewalt ausgeübt, bei den restlichen Fällen handelte es sich um kombinierte Taten. Von den 215 Gesamtfällen wurden etwa 80 in den Anlaufstellen der MHH untersucht und dokumentiert.

    Quelle: Medizinische Hochschule Hannover, 18.3.2022 · DHZ

    Rubrik: Regionales

    Erscheinungsdatum: 18.03.2022