Scham beiseite!
Als höhergradige Dammrisse werden hier Dammrisse III. und IV. Grades bezeichnet. Sie sind die häufigste Ursache für die Stuhlinkontinenz bei Frauen. Sie können aber auch Flatusinkontinenz, Stuhldrang oder Narbenschmerzen verursachen.
Höhergradige Dammrisse (DR) zu vermeiden, ist ein in der Geburtshilfe stets angestrebtes Ziel. Leider wurden sie in der Vergangenheit daher nicht selten vertuscht oder absichtlich unterbewertet, was in ungenügender Versorgung dieser Risse resultieren konnte. Insbesondere bei stetig älter werdenden Erstgebärenden und steigenden Geburtsgewichten sollte der höhergradige Dammriss als eine mögliche Geburtsfolge anerkannt und nicht als Versagen der GeburtshelferInnen verurteilt werden. Nur so ist eine optimale Versorgung und verantwortungsbewusste Nachsorge zu erreichen. Andererseits sollten auch weiter Anstrengungen unternommen werden, die Anzahl der höhergradigen Dammrisse gering zu halten. Komplett vermeidbar sind sie jedoch nicht.
Nicht eine besondere Häufigkeit der höhergradigen Dammrisse ist es, weshalb die Versorgung und Nachsorge ein besonderes Augenmerk verdient, sondern die möglicherweise gravierenden Folgen: Stuhlinkontinenz, Flatusinkontinenz, Stuhldrang, Narbenschmerzen und Dyspareunie. Damit ist eine schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität verbunden.
Bedeutung für die Frau
Anfänglich sind die Beschwerden häufig noch zu kompensieren. Doch mit steigendem Lebensalter nehmen sie zu, wenn die Muskelmasse des M. sphincter ani sich reduziert und der Östrogenspiegel perimenopausal sinkt. Dass diese Beschwerden eine enorme Auswirkung auf alle Aspekte des sozialen Lebens haben, muss zu einem gewissenhaften Umgang in der Betreuung der Patientinnen nach höhergradigen Dammrissen führen.
Epidemiologie
Die Häufigkeit von klinisch erkannten Dammrissen III. und IV. Grades bei vaginalen Geburten schwankt je nach Studie zwischen 0,6 Prozent (Sultan et al.1994) und 20 Prozent (Crawford et al. 1993). Die Anzahl steigt bei vaginal operativen Geburtsverfahren. Laut Statistischem Bundesamt betrug 2012 im Rahmen von vaginalen Geburten die Häufigkeit eines Dammrisses III. Grades 0,95 Prozent und eines Dammrisses IV. Grades 0,09 Prozent in Deutschland. In einem Review von 2008 wird die Inzidenz von Läsionen des M. sphincter ani mit 11 Prozent angegeben (Dudding et al 2008).
In den letzten Jahren wurden in den Statistiken in Deutschland, besonders in den neuen Bundesländern, immer mehr höhergradige Dammrisse verzeichnet, was zum einen auf die erwünschte verbesserte Erkennungsrate und auch Sensibilität für das Thema zurückgeführt wird (Statistisches Bundesamt). Zum anderen ist die ansteigende Inzidenz sicher auch zu verzeichnen, weil der Dammriss IIIa (siehe Tabelle 1), bei dem der M. sphincter ani externus zu weniger als 50 Prozent verletzt wird, häufiger beschrieben wird. Inhaltlich ist dieser Aspekt sehr anstrebenswert, da auch in diesem Falle eine Narbe des M. sphincter ani besteht, die zu einer optimalen Versorgung und Nachsorge führen soll. Die früher häufig übliche Bezeichnung des Dammrisses II. Grades mit Sphinkteranriss könnte dies verhindern. Nur sollte auch in den Statistiken nach Dammriss Grad III a, b oder c unterschieden werden, um akribisch detektierende Kliniken nicht mit einem nur scheinbaren Qualitätsmangel zu „bestrafen". Die Einteilung der Dammrisse III. und IV. Grades erfolgt wie in Tabelle 1 aufgeführt.
Risikobewertung
In der AWMF-Leitlinie zum Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt wurden in der Literaturrecherche die verschiedenen Faktoren in Bezug auf ihr Risiko für einen höhergradigen Dammriss unter der Geburt bewertet (awmf.org). Tabelle 2 fasst diese zusammen.
Insbesondere wird immer wieder die Rolle der Episiotomie diskutiert. Leider ist die Evidenz für die Episiotomie zur Prophylaxe eines DR III. Grades widersprüchlich (De Leuen et al 2001; Eskandar et al 2009; Baumann et al. 2007). Einheitlich mit einem erhöhten Risiko geht die mediane Episiotomie einher, was nicht erstaunt.
Aber auch die mediolaterale Episiotomie soll restriktiv eingesetzt werden, da auch sie nicht eindeutig als schützend gewertet werden kann (Caprioli 2012; Murphy et al 2008).
Nach der Geburt
Nach jeder vaginalen Entbindung sollte eine sorgfältige vaginale Inspektion und Palpation durch den Geburtshelfer und die Hebamme erfolgen. Ab einem Dammriss II. Grades wird neben der vaginalen auch eine rektale Untersuchung empfohlen, um einen möglichen höhergradigen Dammriss sicher zu diagnostizieren oder auszuschließen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt eine rektale Untersuchung kaum schmerzhaft ist, aber sehr aussagekräftig – insbesondere wenn man bedenkt, welche Folgen ein Nichterkennen des eventuellen höhergradigen Dammrisses für die Frau haben kann.
Ist es zu einem Dammriss III. oder IV. Grades gekommen, ist die operative Versorgung durch den Arzt oder die Ärztin mit der höchsten Fachkompetenz anzustreben, meist werden das gynäkologische FachärztInnen sein. Ein höhergradiger Dammriss kann aber auch bis zu zwölf Stunden nach der Geburt sinnvoll operativ versorgt werden, wenn die Blutungs- und Kreislaufsituation der Mutter dies zulässt. So kann unter Umständen auf den Arzt mit der höchsten Fachkompetenz gewartet werden (Nordenstam 2008).
Die Versorgung eines Dammrisses III. oder IV. Grades sollte in Steinschnittlage mit Assistenz unter guten Lichtverhältnissen in ausreichender Anästhesie erfolgen, also unter OP-Saal-vergleichbaren Bedingungen. Eine Lokalanästhesie ist unzureichend, da sich die Sphinkter-Enden in die ischioanalen Gruben retrahieren und nur mit ausreichender Relaxation adaptiert werden können. Wenngleich der Anspruch sein muss, den Dammriss gut zu versorgen, soll dadurch das Bonding und die gerade entstandene Familiensituation nicht unterbrochen werden. Ein gutes Vorbild dafür gibt die Praxis der Sectio caesarea: Die Naht des DR III. oder IV. Grades in Peridural-/Spinalanästhesie im Kreißsaal-OP ermöglicht der Patientin, auch während der Versorgung des Dammrisses ihr Kind und familiäre Begleitung bei sich zu haben.
Die Versorgung eines höhergradigen Dammrisses erfolgt in einer standardisierten Nahttechnik, entweder als Overlapping oder in einer End-zu-End-Technik. Bei der Overlapping-Technik werden die Enden des M. sphincter ani externus übereinandergelegt, bei der End-zu-End-Technik werden die Enden des M. sphincter ani externus gegeneinandergelegt und so jeweils miteinander vernäht (Abbildungen 1 und 2). Für das Erlernen dieser Nahttechnik stehen mittlerweile spezielle Nahtkurse zur Verfügung. Die Rahmenbedingungen hat die Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion der DGGG (AGUB) festgelegt. Die Anlage eines Anus praeter ist auch nach Dammriss IV. Grades oder beim buttonhole tear (intakter M. sphincter ani, Rectum verletzt) in der primären Versorgung nicht zwingend erforderlich. In der aktuellen Leitlinie wird eine perioperative Antibiotikaprophylaxe empfohlen.
Abbildung 1: Bei der Overlapping-Technik werden die Enden des M. sphincter ani externus übereinandergelegt und miteinander vernäht.
Abbildung 2: Bei der End-zu-End-Technik werden die Enden des M. sphincter ani externus gegeneinandergelegt und miteinander vernäht.
Nachsorge
Es besteht keine Evidenz, die Antibiotikatherapie postoperativ fortzuführen. In der aktuellen AWMF-Leitlinie empfehlen die Autoren aufgrund der schwerwiegenden Folgen einer Wundheilungsstörung dennoch auch die postoperative Gabe eines Antibiotikums.
Für eine schmerzarme Defäkation und irritationsfreie Wundheilung der Dammriss-Naht haben sich Stuhlregulantien als sinnvoller erwiesen als die gezielte Obstipation, da diese starke Schmerzen bei der ersten Defäkation verursacht (Mahony 2004). In Betracht kommen Präparate wie Macrogol oder Flohsamenschalen, die die Frauen auch während der Stillzeit einnehmen dürfen, da sie weder absorbiert noch metabolisiert werden. Oft reicht es aus, wenn die Frau durch Ernährung mit Buttermilch, Vollkornprodukten und Tee sowie eine ausreichende Trinkmenge den Stuhl weich halten kann. Die Stuhlregulation sollte sie bis zum Abschluss der Wundheilung beibehalten, also etwa vier bis sechs Wochen.
Die ungestörte Wundheilung sollte durch regelmäßige Inspektion sorgfältig kontrolliert werden, um bei einer auftretenden Wundheilungsstörung oder Infektion frühzeitig reagieren zu können. Natürlich spricht nichts gegen eine begleitende Therapie mit Arnika oder arnikahaltigen Produkten zur Förderung der Wundheilung. In der klinischen Erfahrung hat sich dazu auch die Substitution von Vitamin D bei einem Mangel als sehr hilfreich erwiesen.
Eine rektale Untersuchung im Wochenbett – beispielsweise vor Entlassung aus der Klinik, also circa dritter bis vierter postpartaler Tag – bei soweit ungestörter Wundheilung ist nicht erforderlich. Denn zu diesem Zeitpunkt kann aufgrund der Schwellung keine Aussage zu Sphincterfunktion getroffen werden, aber die Untersuchung ist sehr schmerzhaft.
Sehr wünschenswert ist ein nochmaliges Gespräch zu den Geburtsverletzungen und zu eventuellen Spätfolgen. Zudem braucht die Patientin ausreichend Informationen über die erforderliche Nachsorge und mögliche Ansprechpartner und Anlaufstellen bei Beschwerden.
Nach dem Wochenbett
Nach dem Wochenbett sollten Frauen nach Dammriss III. und IV. Grades zu einer Kontrolluntersuchung kommen. Diese können niedergelassene FrauenärztInnen oder die Geburtsklinik übernehmen. Im Rahmen dieser Nachuntersuchung sollten aktiv Beschwerden durch Schmerzen am Damm, Dyspareunie, Stuhldrang, Stuhl- oder Flatusinkontinenz erfragt werden. Es ist nicht zu unterschätzen, wie schambehaftet eine Stuhl- oder Flatusinkontinenz ist. Viele Frauen würden diese von selbst nicht ansprechen. Eine vaginale und bei Beschwerden auch eine rektale Untersuchung sind empfehlenswert.
Bei Problemen ist ein Beckenbodenzentrum der richtige Ansprechpartner. Dort ist eine weiterführende Diagnostik möglich. Die Endoanalsonografie zum Beispiel zeigt eventuelle Defekte des M. sphincter ani und/oder der Levatormuskulatur. Entsprechend der Diagnose können therapeutische Optionen angeboten werden.
Erster Schritt ist sowohl für Frauen mit Beschwerden, aber auch für alle Frauen nach höhergradigen Dammrissen ohne Beschwerden eine physiotherapeutische Behandlung mit Elektrostimulation (siehe Artikel "Fehlfunktionen des Beckenbodens: Alles ganz locker?"). Diese kann die Reparaturmechanismen unterstützen, einem bindegewebigen Umbau des M. sphincter ani vorbeugen und die Funktionalität dieses für die Kontinenz so wichtigen Muskels erhalten.
Physiotherapie, Elektrostimulation
Die Physiotherapiepraxen, die mit einem Beckenbodenzentrum zusammenarbeiten, sind meist so spezialisiert, dass dort durch vaginale Untersuchungen die Beckenbodenkraft nach Oxford beurteilt werden kann (Grading nach Laycock: digitales Abschätzen der Beckenbodenkraft während des Anspannens der Beckenbodenmuskulatur von 0 bis 5) und dementsprechend trainiert wird. Außerdem werden dort Schmerzen durch Therapie von Triggerpunkten und Faszienverklebungen im Beckenbodenbereich physiotherapeutisch wirksam behandelt.
Zum weiterführenden Training des M. sphincter ani steht die Elektrostimulation zur Verfügung. Auch die Elektrostimulation sollte allen Frauen nach höhergradigen Dammrissen angeboten werden, egal ob sie Symptome haben oder nicht. Der Grund dafür liegt im Aufbau des M. sphincter ani, der aus mehreren Schichten besteht: Der M. sphincter ani internus, die verstärkte Fortsetzung der Tunica muscularis des Rektums, kann nur durch Elektrostimulation „trainiert" werden, also nicht mit Muskeltraining, da er nicht willkürlich ansteuerbar ist. Die zweite Schicht ist der M. sphincter ani externus, der willkürlich ansteuerbar und damit „trainierbar" ist, ist einem Biofeedbacktraining zugänglich.
Eine speziell auf die Beübung des Analsphinkters ausgerichtete Elektrostimulationsbehandlung mit hoher Erfolgsrate ist die sogenannte Triple-Target-Therapy, eine Kombination aus amplituden-modulierter Mittelfrequenz-Stimulation und Elektromyografie-Biofeedback. Sie wird mit einer Rektalsonde durchgeführt (Schwandner et al 2010). Ist es nicht möglich, beispielsweise wegen Schmerzen, eine Rektalsonde anzuwenden, kann die Elektrostimulation sehr sinnvoll auch mit Manschetten durchgeführt werden, die an die Oberschenkel angelegt werden. Über diese Manschetten wird die gesamte Beckenbodenmuskulatur stimuliert. Die Elektrostimulationsbehandlung sollte mindestens drei Monate, besser sechs Monate erfolgen. Der Vorteil dieser Therapie liegt zusätzlich darin, dass die Frauen diese Geräte zu Hause haben und zeitlich flexibel täglich trainieren können.
Narben behandeln
Narbenschmerzen sind kein seltenes Problem nach Geburtsverletzungen – im Allgemeinen und besonders bei Frauen nach höhergradigen Dammrissen. Nach Abschluss der Wundheilung können die Frauen selbst versuchen, die Narben zum Beispiel mit Ölen zu behandeln. Erschwerend wirkt sich in der Stillzeit der Östrogenmangel aus, so dass hier eine niedrig dosierte, lokale Gabe in Form einer Salbe hilfreich sein kann. Wenn die Beschwerden bleiben, ist die beschriebene physiotherapeutische Therapie sehr effektiv.
Außerdem ist in der Stillzeit eine lokale Narbenbehandlung durch Neuraltherapie möglich. Dabei wird das Narbengewebe mit Procain unterspritzt. Procain ist ein kurz-wirksames Lokalanästhetikum, das im Gewebe einen Abbau von Entzündungszellen bewirkt und dadurch Narbengewebe elastischer werden lässt. Procain hat hierbei keine systemische Wirkung. Auch besteht die Möglichkeit zu kleineren operativen Korrektureingriffen. Wenn eine konservative Therapie keine Linderung bringt, kann das zum Beispiel bei störenden Narben im Damm- oder Introitusbereich oder bei nach Naht zu hoch aufgebautem Damm geschehen.
Was tun bei Stuhlinkontinenz?
Frauen mit einer symptomatischen Analinkontinenz nach höhergradigen Dammrissen sollte dringend empfohlen werden, sich in einem Beckenbodenzentrum vorzustellen. Hier kann durch rektale Untersuchung, Endoanalsonografie und neurologische Abklärung (unter anderem Beckenboden-EMG) festgestellt werden, welche ursächlichen Probleme vorliegen.
Der Beginn der Therapie sollte in jedem Fall konservativ mit physiotherapeutischer Behandlung sowie Elektrostimulations- und Biofeedbacktherapie erfolgen. Zusätzlich können die Frauen symptomatisch Analtampons benutzen. Diese sind in verschiedenen Größen verfügbar und geschultes Personal, beispielsweise in einem Beckenbodenzentrum oder in Sanitätshäusern, kann den Frauen erläutern, wie man sie benutzt.
Weiterhin kann durch gezieltes Abführen der Enddarm geleert werden, so dass eine Stuhlinkontinenz für mindestens 24 Stunden nicht auftreten sollte. Das kann durch Klistiere oder kohlensäureerzeugende Suppositorien erreicht werden, die weder absorbiert noch metabolisiert werden und damit kein Problem für die Stillzeit darstellen.
Meist ist die Stuhlinkontinenz bei festem Stuhl nicht manifest oder geringer ausgeprägt, so dass auch das „Eindicken" des Stuhles eine Behandlungsoption ist. Erreichen kann man das über bestimmte Ernährung, aber auch medikamentös mit Piperidin-Derivaten. Piperidin-Derivate haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie die Darmperistaltik reduzieren. In der Stillzeit gibt es keine negativen Erfahrungen, aber auch keine umfangreichen Studien. Die Anwendung sollte daher nur dann erfolgen, wenn andere Maßnahmen nicht zum Erfolg führen.
Bei einem deutlichen Sphincterdefekt sollte eine operative Korrektur erfolgen. Diese wird als Sekundärrepair in Overlapping-Technik durchgeführt. Die besten Heilungsergebnisse werden erzielt, wenn die Operation nach dem Abstillen durchgeführt wird. Trotzdem kommt es häufig zu sekundären Wundheilungen, die etwas Zeit in Anspruch nehmen. Eine Ableitung des Darmes über einen Anus praeter ist meist nicht notwendig. Anschließend ist wiederum eine physiotherapeutische Behandlung sowie Elektrostimulations- und Biofeedbacktherapie notwendig.
Ist der Sphinkter intakt und die Analinkontinenz neurogen bedingt, wäre nach Versagen der konservativen Therapie die sakrale Neuromodulation eine Option. Zum Teil sind auch beide Komponenten ursächlich, so dass eine Kombination der operativen Therapien notwendig wird.
Beratung zu Folgegeburten
Die Datenlage erlaubt keine eindeutige Empfehlung zum Geburtsmodus bei Folgegeburten. Je nach Studie wird das Risiko eines neuerlichen Dammrisses als gar nicht (Scheer 2009; Priddis 2013) oder aber als bis zu siebenfach erhöht beschrieben (Peleg 1999; Payne 1999). Insgesamt besteht in 95 Prozent der Fälle ein unwesentlich erhöhtes Risiko für erneuten höhergradigen Dammriss.
Die Entscheidung zum Geburtsmodus nach Geburten mit höhergradigen Dammrissen muss die Frau selbst treffen, nachdem ihr das Für und Wider der Möglichkeiten erläutert wurde. Eine Empfehlung zur vaginalen Geburt ist sicher möglich, wenn keine Symptome bestehen, der M. sphincter ani endoanalsonografisch unauffällig ist beziehungsweise nicht mehr als einen Ein-Stunden-Defekt aufweist (Beurteilung in Steinschnittlage wie das Ziffernblatt einer Uhr), wenn das erwartete Geburtsgewicht kleiner als vier Kilogramm ist und die Frau eine vaginale Geburt wünscht.
Eine Entbindung durch Sectio caesarea ist in jedem Fall indiziert, wenn die Frau wegen eines stattgehabten Dammrisses schon ein Sekundärversorgung erhalten hat. Eine großzügige Sectio-Indikation sollte immer gestellt werden bei Symptomen, muskulären Defekten des Sphinkters, hohem Geburtsgewicht oder protrahiertem Geburtsverlauf.
Allerdings werden diese Empfehlungen „aufgeweicht" beispielsweise bei Wunsch nach mehr als vier Kindern, da es durch Kaiserschnitte zu anderen Komplikationen kommen kann. Oder wenn eine Frau bei bestehenden Beschwerden nach Abschluss der Familienplanung ohnehin zu einem Sphinkter-Repair entschlossen ist und deshalb noch ein bis zwei Kinder auf vaginalem Wege bekommen möchte.
In der klinischen Erfahrung hat sich gezeigt, dass die Frauen sich während der erneuten Schwangerschaft einfacher entscheiden können, da sie in dieser Zeit ein Gefühl für den gewünschten Geburtsmodus entwickeln.
Die geburtsvorbereitende Anwendung eines Epi-NO-Gerätes sowie die Dammmassage sind sicher zu befürworten, wenngleich keine Evidenz besteht.
Auch bei Zustand nach höhergradigen Dammrissen und vaginalem Entbindungsmodus ist die Episiotomie nicht als protektiv zu werten und sollte restriktiv angewendet werden.
Insgesamt sollte unser Augenmerk auf einer umfassenden Betreuung von Frauen nach höhergradigen Dammrissen liegen, angefangen mit der Betreuung der Wundheilung, fortgeführt mit dem Training der verletzten Muskulatur und Beratung zu Folgegeburten.
Literatur
AGUB/Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion: http://www.agub.de/zertifizierungen/zertifizierung-von-kursen/ (letzter Zugriff: 1.9.2016)
Baumann P, Hammoud AO, McNeeley SG, DeRose E et al.: Factors associated with anal sphincter lacera-tion in 40,923 primiparous women. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2007. Sep;18(9):985–90
Carroli G, Mignini L: Episiotomy for vaginal birth. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Systematic Review
Crawford LA, Quint EH, Pearl ML, DeLancey JO: Incontinenced following rupture of the anal sphincter durin delivery. Obstet Gynecol 1993. 82:527–31
de Leeuw JW, Struijk PC, Vierhout ME, Wallenburg HC: Risk factors for third degree perineal ruptures during delivery. BJOG 2001. Apr; 108(4):383–7
Dudding TC, Vaizey CJ, Kamm MA: Obstetric anal sphincter injury: incidence, risc factors and management. Ann Surg 2008. Feb; 247 (2): 224–37
Eskandar O, Shet D: Risk factors for 3rd and 4th...
»