Amerikanische Umfrage

Steigende Akzeptanz für Embryonenselektion?

  • In einer Umfrage gaben 58 % an, keine moralischen Bedenken zu haben, eine »preimplantation gene­tic testing for polygenetic risk« (PGT-P) zu verwenden, um das Bildungsniveau ihres Kindes zu steigern.

  • In den USA scheint es eine große Bereitschaft zu geben, Embryonen für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) mittels polygenem Screening vorab zu selektieren. Das ergab eine Umfrage im Januar 2022 mit 6.800 Personen zu einem Szenario, das allerdings wenig mit den realen Umständen zu tun hatte.

    Im Rahmen der Umfrage gaben 58 % an, keine moralischen Bedenken zu haben, eine »preimplantation gene­tic testing for polygenetic risk« (PGT-P) zu verwenden, um das Bildungsniveau ihres zukünftigen Kindes zu steigern. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, dieses Verfahren zu benutzen, lag bei 43 %.

    Vor allem wenn zusätzlich die Information gegeben wurde, dass 90 % der anderen Befragten das Verfahren anwenden würden, stieg die moralische Akzeptanz und die Bereitschaft. Eine größere Bereitschaft gab es zu­dem bei unter 35-Jährigen und jenen mit einem höheren Bildungsniveau (mindestens Bachelorabschluss).

    In dem aktuellen Policy Forum sollten sich die Befragten unter anderem vorstellen, dass die PGT-P kostenlos und sicher sei, die Befruchtung ihres potenziellen Kindes ohnehin mit In-vitro-Fertilisation erfolge und durch das Verfahren die Wahrscheinlichkeit für das Kind, auf einem der Top-100-Colleges genommen zu werden, um 2 % erhöht werden könne.

    Mit einer solchen Idealisierung werden zentrale ethische Bedenken gegenüber derartigen Versuchen ausgeklammert. Robert Ranisch, Universitäten Potsdam und Tübingen. »Das hypothetische Szenario hat nichts mit den gegenwärtigen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin zu tun und ist spekulativ«, sagt Robert Ranisch von den Universitäten Potsdam und Tübingen. Die Studie sei daher nur begrenzt aussagekräftig.

    Im Rahmen des PGT-P geht es um polygenes Testen, bei dem auch polygene Risikoscores ermittelt werden sollen. Diese basieren auf angenommenen Zusammenhängen zwischen genetischen Ausprägungen und bestimmten Phänotypen, die Daten stammen meist aus groß angelegten Erbgutstudien wie zum Beispiel der UK Biobank. In den USA gibt es derzeit mindestens ein Unternehmen, welches PGT-P anbietet, um verschiedene Krank­heiten zu ermitteln und einen Embryo-Health-Score zu erstellen. »Derartige Versprechen lassen sich bislang aber kaum einlösen«, warnt Ranisch.

    Dass PGT-P-Tests sich innerhalb von IVF-Verfahren dennoch durchsetzen könnten, sei aber nicht auszuschließen, ist Hille Haker von der Loyola University Chicago überzeugt – zumal die Diagnostik für therapeutische und Enhancement-Zwecke in den letzten Jahren sehr protegiert werde – nicht zuletzt auch von Vertreterinnen und Vertretern der Bioethik.

    In Europa wird polygenes Screening derzeit von führenden Fachgesellschaften kritisch gesehen: Die Euro­pean Society of Human Reproduction and Embryology, die European Society of Human Genetics und andere Forschende weisen auf die begrenzte Vorhersagbarkeit von PGT-P und die Notwendigkeit weiterer Forschung auf diesem Gebiet hin. Zudem werden im Rahmen von IVF-Behandlungen in Europa nicht ausreichend Embryonen erzeugt, um eine Selektion von PGT-P zu erlauben.

    Quelle: Tureley, P. et al. (2023). Public views on polygenic screening of embryos: Understanding moral acceptability and willingness to use is crucial for informing policy. Science. doi: science.org/doi/10.1126/science.ade1083. ∙ aerzteblatt.de, 14.2.2023 ∙ DHZ

    Rubrik: Politik & Gesellschaft

    Erscheinungsdatum: 15.02.2023