Qualitative Grounded-Theory Studie aus Australien

Wehenpausen: Physiologische Plateaus oder protrahierte Geburt?

  • Werden physiologische Geburtsverläufe, bei denen eine Wehenpause als Teil der Physiologie verstanden wird, geduldig begleitet, dient dies der Selbstregulation der Gebärenden. Das führt zu einem besseren geburtshilflichen Outcome.

  • Geburtsverläufe können unterschiedliche Rhythmen haben. So können Wehen zunehmen, stagnieren und wieder beginnen. Kontrovers diskutiert werden Wehenpausen während der Geburt: Diese zählen einerseits zum physiologischen Geburtsverlauf, den es abzuwarten gilt. Andererseits werden sie als eine der häufigsten Diagnosen verwendet, die zur künstlichen Verstärkung der Wehen führt.

    Die Diagnose der protrahierten Geburt zählt als häufigste Diagnose für diese Intervention und kann dadurch eine umfassende Interventionskaskade auslösen. Um zu einem tieferen Verständnis dieser kontroversen Diskussion zu gelangen, wurde in Australien eine qualitative Studie (Grounded Theory) durchgeführt.

     

    Methode

     

    Zwischen September 2020 und Februar 2022 wurden dazu 20 semi-strukturierte Interviews unter 20 Hebammen in Australien durchgeführt und evaluiert. Vier Hebammen verfügten über Erfahrungen in ärztlich geleiteter Geburtshilfe, 16 Hebammen hatte Erfahrungen damit und zugleich mit hebammengeleiteten Betreuungsmodellen.

    Identifiziert wurde ein medizinisch-dominantes Paradigma, welche eine Plateauphase ausnahmslos als pathologisch bezeichnet. Dem gegenüber existiert ein ganzheitliches Hebammen-Paradigma, welches Plateauphasen als wertvolles Wehen-Element beschreibt, das der Selbstregulation dient und zu guten geburtshilflichen Outcome-Parametern bei Mutter und Kind führt. Hierbei existieren zwischen den beiden Paradigmen sowohl bei der Interpretation als auch der Reaktion entscheidenden Unterschiede.

     

    Ergebnisse

     

     

     

    Abbildung: Mögliche Gründe für eine physiologische Plateauphase
    Abbildung: © Weckend et al., 2023

    Die Ergebnisse zeigen physiologische Gründe für Plateauphasen auf. Diese können in Zusammenhang zu einer mütterlichen Adrenalinausschüttung stehen. Es kann sich auch um mütterliche Emotionen handeln, beispielsweise Ängste, Sorgen oder Gefühle, die in Zusammenhang zu vorausgehendenden traumatischen Erfahrungen stehen. Auch mütterliche Entscheidungen können zu Plateauphasen führen, beispielsweise weil die »richtigen« Begleitpersonen fehlen, es nicht der richtige Ort oder der richtige Platz aus Sicht der Gebärenden ist. Diese Vorgänge können auch im Unterbewusstsein ablaufen.

    Umgebungsfaktoren können Einfluss nehmen, beispielsweise weil es zu laut ist oder der zirkadiane Rhythmus der Gebärenden gestört ist. Physische Gründe wie Durst, Hunger, Erschöpfung oder eine volle Harnblase können Plateauphasen verursachen. Auch das Kind kann Einfluss nehmen, durch seine Position, die Größe in Relation zum mütterlichen Becken oder durch die Länge oder mögliche Kompression der Nabelschnur.

    Die Autor:innen geben zu bedenken, dass medikalisierte Ansätze in der Geburtshilfe mögliche physiologische Gründe für eine physiologische Plateauphase nicht berücksichtigen. Diese basieren auf der Erwartung einer kontinuierlichen Zunahme der Wehentätigkeit, bergen dabei jedoch aufgrund dieser einseitigen Erwartungshaltung das Risiko einer Fehlinterpretation bei physiologischen Geburtsverläufen. Werden physiologische Geburtsverläufe, bei denen eine Plateauphase als Teil der Physiologie verstanden wird, geduldig begleitet, wird die Physiologie des Gebärens unterstützt. Wird eine physiologische Plateauphase jedoch fehlinterpretiert und interventionsreich eingegriffen, kann sich aus einem physiologischen ein pathologischer Geburtsverlauf entwickeln.

     

    Resümee

     

    Die Autor:innen schlussfolgern aus den Ergebnissen ihrer Studie, dass eine medizinisch-dominate Konzeptualisierung der Plateauphase in Frage gestellt werden sollte. Die Ergebnisse dieser Studie liefern Hinweise darauf, die Bedeutung von Plateauphasen als Teil physiologischer Geburtsverläufe anzuerkennen.

    Quelle: Weckend, M., McCullough, K., Duffield, C., Bayes, S., & Davison, C. (2023). Failure to progress or just normal? A constructivist grounded theory of physiological plateaus during childbirth. Women and birth : journal of the Australian College of Midwives, S1871-5192(23)00296-2. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.wombi.2023.10.003 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 28.11.2023