Wenn die Abweichung zur Norm wird

Immer seltener wird das natürliche Einsetzen der Wehen abgewartet - der Eingriff in die Natur wird durch stetiges Einleiten der Geburt langsam zur Norm. .

In den USA werden 10 bis 15 Prozent aller Geburten vor dem Ende der 39. Schwangerschaftswoche eingeleitet, ohne dass es dafür medizinische Gründe gibt und obwohl die Fachverbände strikt davon abraten. Denn der Eingriff in die Natur wird von der Natur manchmal bestraft. Die medikamentös induzierten Wehen sind in der Regel schwächer als die spontanen am Ende der Schwangerschaft, die Geburt dauert oft länger und ist in der Regel schmerzhafter. Studien belegen eine ganze Reihe von potenziellen Komplikationen, die von einer erhöhten peripartalen Morbidität und Mortalität bis hin zu schlechteren Schulnoten reichen.
Die Übersichtsarbeit, die Jani Jensen von der Mayo Clinic in Rochester hierzu jetzt veröffentlicht hat, sagt aus, dass mittlerweile eingetreten ist, was die US-Soziologin Diane Vaughan als „Normalization of Deviance“ bezeichnet hat. Die Abweichung ist zum Normalfall geworden und wird deshalb nicht mehr als Problem wahrgenommen.
Für den fleißigen Geburtshelfer mag die vorzeitig geplante Geburt eine Erleichterung sein, da er auf sie aufgrund des gesetzten Termins gut vorbereitet ist. Und in der Bevölkerung schwindet die Kenntnis, dass die Schwangerschaft 40 Wochen dauert. In einer Umfrage schätzte die Hälfte der Frauen die Dauer auf 37 bis 38 Wochen. Und die andere Hälfte war gespalten zwischen einer Dauer von 34 bis 36 Wochen und einer Dauer von 39 bis 40 Wochen.

(Jensen, J.R. et al.: Maternal and Neonatal Complications of Elective Early-Term Deliveries. Mayo Clin Proc. 88 (11): 1312-1317/2013; aerzteblatt.de, 20.12.2013; DHZ 2/2014)