Qualitative Evidenzsynthese

Wie erleben Frauen eine Oxytocin-Infusion während der Geburt?

  • Viele Gebärende haben bei einer Oxytocin-Infusion während der Geburt das Gefühl, nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, darüber informiert zu entscheiden.

  • »Oxytocin sub partu« wird häufig angewendet: Weltweit erhalten viele Gebärende während der Geburt intravenös das Wehenhormon Oxytocin in Form einer Infusion appliziert. Die Anwendung bewirkt eine Aufnahme oder Verstärkung der körpereigenen Wehentätigkeit. Dabei ist bekannt, dass eine Vielzahl an Komplikationen durch einen überflüssigen und unprofessionellen Einsatz an Oxytocin bewirkt werden können.

    Auch qualitative Erhebungen zum Einsatz synthetisch hergestellten Oxytocins während der Geburt liegen vor: Wie erleben Frauen die Anwendung des synthetisch hergestellten Oxytocins während der Geburt?

     

    Systematische Literaturrecherche

     

    Diese Erfahrungen wurden nun im Rahmen einer qualitativen Evidenzsynthese durch ein Forscherinnen-Team aus Irland zusammengeführt. Eine systematische Literaturrecherche wurde im Oktober 2021 unter qualitativen Studien zum Themenkomplex der Erfahrungen von Gebärenden mit dem Einsatz synthetisch hergestellten Oxytocins während der Geburt durchgeführt.

    Eingeschlossen wurden 25 Studien aus 14 Ländern, die zwischen 2004 bis 2021 publiziert wurden. Diese Studien berichteten über Erfahrungen Gebärender hinsichtlich einer Geburtseinleitung oder Verstärkung der Wehentätigkeit während der Geburt mit synthetisch hergestelltem Oxytocin.

    Drei zentrale Themen wurden identifiziert:

    1. Das Gefühl »festzustecken«.
    2. Vergangenheit und Gegenwart beeinflussen die Zukunft.
    3. Zusammenspiel zwischen Ursache und Wirkung bei der Verstärkung der Wehentätigkeit.

     

    Das Gefühl »festzustecken«

     

    Das Gefühl »festzustecken« wurde in 21 der eingeschlossenen Publikationen thematisiert und umfasste sowohl das Gefühl der Frauen, an der Entscheidung beteiligt zu sein, jedoch auch fehlendem Einbezug unter dem Aspekt einer informierten Entscheidung. Aufgezeigt wurde, dass Frauen eine Einbeziehung in die Entscheidung der Verstärkung der körpereigene Wehentätigkeit durch den Einsatz von künstlich hergestelltem Oxytocin schätzen. Jedoch berichteten sie, dass sie häufig eigentlich nur noch mit der Entscheidung des Einsatzes von künstlich hergestelltem Oxytocin konfrontiert wurden, die eigentlich keine Möglichkeit zur offenen Diskussion mehr bot.  

    Eine Gebärende berichtete in diesem Zusammenhang: »Sobald ich im Krankenhaus war und die Hebamme dem Arzt von meinem Geburtsverlauf berichtete, ordnete er eine Verstärkung der Wehentätigkeit mit künstlich hergestelltem Oxytocin an ...« In sieben Publikationen beschrieben Frauen, dass eine Oxytocininfusion eine »Interventionskaskade« auslöste: Auf die zunächst initiale Oxytocininfusion folgten weitere, zum Teil überflüssige Interventionen.

     

    Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

     

    17 der Publikationen trugen zum Thema bei, dass sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart die Zukunft beeinflussen.

    Der Großteil der Frauen war zunächst davon überzeugt davon, dass sie die Fähigkeit hatten, zu gebären, und sich dabei auch sicher fühlten. Dies begründete aus Sicht der Autorinnen, dass häufig vor der Geburt keine Entscheidungsfindung zum Thema einer Oxytocinunterstützung sub partu erfolgte.

    In drei Studien wurde thematisiert, dass Frauen selbstständig nach einer Oxytocin-Substitution sub partu fragten, da sie ihre Geburtsdauer dadurch verkürzen wollten.

    Die Autorinnen zeigten auf, dass die Entscheidung zur Verstärkung der Wehentätigkeit unter der Geburt häufig jedoch ohne eine informierte Entscheidung der Gebärenden getroffen wurde.

     

    Ursache und Wirkung

     

    18 der 24 Publikationen trugen zum Verständnis des Zusammenspiels zwischen Ursache und Wirkung bei der Verstärkung der Wehentätigkeit bei.

    Beschrieben wurde ein Kreislauf in Zusammenhang mit einer Anwendung von synthetisch hergestelltem Oxytocin sowie unterstützenden und entmutigenden Rollen. Übereinstimmend berichteten alle Frauen, dass eine Verstärkung der Wehentätigkeit zu einem stärkeren Wehenschmerz führte. Dieser wurde in verschiedenen Studien mit sehr negativen Begriffen beschrieben: »unnatürlich«, »traumatisch«, »überwältigend« sowie »entmachtend«.

    Einige Studien gaben Einblicke, dass die Anwendung von synthetisch hergestelltem Oxytocin von Frauen retrospektiv als Ursache einer negativen Geburtserfahrung identifiziert wurde sowie ursächlich dafür verantwortlich gemacht wurde, die Kontrolle über die Geburt verloren zu haben. Eine Frau beschrieb: »Es war sehr schockierend, weil (die Kontraktionen) sehr häufig in sehr kurzer Zeit kamen und ich nicht mal mehr die Zeit fand, sie zu zählen ...«

    Beobachtet wurde von vielen Frauen, dass daraus häufig die Folgeintervention einer Periduralanästhesie (PDA) resultierte, weil ein Umgang mit dem überstarken Wehenschmerz erforderlich wurde: »Es (die PDA) funktionierte und war fantastisch: Ich war so müde. Es war eine wunderbare Erleichterung, den Schmerz loszuwerden ...«

     

    Schlussfolgerungen

     

    Die Autorinnen resümieren aus ihren Ergebnissen, dass klinische Leitlinien zum Einsatz von synthetisch hergestelltem Oxytocin die Ansichten und Erfahrungen der Gebärenden selbst stärker berücksichtigen sollten.

    Weitere Forschung zur Frage, wie Gebärende selbst den Einsatz von synthetisch hergestelltem Oxytocin erleben, sollte durchgeführt werden.

    Eine informierte Entscheidung zum Einsatz von synthetisch hergestelltem Oxytocin sollte erfolgen: Hierbei sollten Informationen zu Nebenwirkungen sowie Auswirkungen der Wehenverstärkung die informierte Entscheidungsfindung prägen. Letztere sollte idealerweise vor Beginn der Geburt aktiv durch die Betreuungspersonen und die schwangere Frau erfolgen.

    Quelle: Alòs-Pereñíguez, S., O'Malley, D., & Daly, D. (2023). Women's views and experiences of augmentation of labour with synthetic oxytocin infusion: A qualitative evidence synthesis. Midwifery, 116, 103512. https://doi.org/10.1016/j.midw.2022.103512 ∙ Beate Ramsayer/DHZ

     

    Rubrik: Geburt

    Erscheinungsdatum: 25.01.2023