Wochenbettbetreuung durch Allgemeinmediziner:innen?
Eine flächendeckende Grundversorgung junger Familien nach der Geburt durch Hebammen ist in Deutschland nicht immer möglich. Kürzlich hat die Zeitschrift für Allgemeinmedizin eine qualitative Studie veröffentlicht, in der Voraussetzungen für eine Versorgung von Familien während der Wochenbettzeit durch Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin diskutiert wird.
Fehlende Grundversorgung
In dieser Studie wurde nicht die Behebung des Grundproblems eines Hebammenmangels in den Fokus der Forschung gestellt, sondern aus der fehlenden flächendeckenden Grundversorgung abgeleitet, dass Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin »zukünftig häufiger mit Fragestellungen zum Wochenbett konsultiert werden«. Darauf aufbauend wurde argumentiert, dass eine Kernkompetenz der Allgemeinmediziner:innen eine »ganzheitliche Betrachtungsweise der Familie« umfasse und diese auch die Betreuung während der Postpartalzeit einschließe. Daraus wurde die Frage abgeleitet, welcher Kompetenzerwerb hierfür notwendig wäre. Das Ziel der Studie umfasste die Identifikation von Kompetenzen, die von Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin erlangt werden müssten, um Familien im Wochenbett bei somatischen und psychosozialen Umstellungsprozessen begleiten zu können.
Erfahrungen, Einschätzungen und Probleme
Hierzu wurden 25 semistrukturierte Telefoninterviews mit Hebammen aus Schleswig-Holstein zwischen Juli 2019 und Mai 2020 durchgeführt. Mit zehn Leitfragen wurden Erfahrungen, Einschätzungen und Probleme bei der Versorgung junger Familien und der Betreuung im Wochenbett erfragt. Die Daten wurden inhaltsanalytisch nach Mayring evaluiert.
Als häufigste Gründe für die Beratung im Wochenbett wurden Fragen zur Ernährung des Neugeborenen sowie die Aufnahme der Stillbeziehung benannt. In Bezug auf das Neugeborene wurden Handling, Gedeihen, Beziehungsaufbau, Vermeidung von SIDS, Wissensvermittlung und Pflege thematisiert.
Als Ziel körperlicher Untersuchungen bei der Wöchnerin wurden Rückbildungsvorgänge sowie Naht- und Wundheilung benannt. Beratungsthemen umfassten allgemeine Hygiene, Kinderbetreuung, Sexualität sowie Mediennutzung während der Wochenbettzeit.
Die Hebammen berichteten, dass die psychosoziale Begleitung und Beratung zur neuen Familienkonstellation sowie zur Vermeidung einer postpartalen Depression einen Großteil ihrer Beratung umfassten. Aus Sicht der Hebammen müssten Neugeborene heute »mehr funktionieren« und sich in den Familienalltag einfügen, was mit einem frühen »Zurückstreben der Frau in den Beruf« und der Doppelbelastung sowie einem »allgemeinen Perfektionsstreben« und einer »mangelnden Frustrationstoleranz« einhergehe. Eine Hebamme schreibt: »…dass da ein hoher Erwartungsdruck da ist, also ganz viel richtig zu machen« (HL 4).
Hoher Betreuungsbedarf beim ersten Kind
Die Hebammen schätzten die Wochenbettbesuche bei Familien mit dem ersten Kind betreuungs- und zeitintensiver ein als bei neugeborenen Geschwisterkindern. Sie sehen dies im Zusammenhang mit einem eher unsicheren Umgang mit dem Säugling sowie fehlendem Vorwissen. Eine Hebamme gibt zu bedenken: »Naja, ich brauch ja bei den Zweitgebärenden nicht mehr viel über Handling und Neugeborenenpflege erzählen [...]. Bei Erstgebärenden ist halt komplette Unsicherheit, also da muss man ja wirklich von vorn bis hinten alles abgrasen, also gerade was diesen Umgang mit dem Säugling angeht. Und das Stillen auch.« (HL 3)
Erwartungen an Fachärzt:innen
Aus den Daten wird in der Studie abgeleitet, dass sich Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin mit folgenden Themen auskennen sollten, »wenn sie eine Familie im Wochenbett zur Nachsorge begleiten«: Rückbildungsvorgänge, Wundheilung, somatische Umstellungsprozesse der Wöchnerin sowie psychologisch-körperliche und mentale Entwicklung des Neugeborenen. Zudem sollten sie die Varianz physiologischer Abweichungen von der Norm kennen und Fragen zum Stillen beantworten können.
Einige befragte Hebammen sahen es als problematisch an, dass Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin die notwendigen Grundvoraussetzungen erfüllen könnten. So wurde die fehlende Zeit angemerkt sowie daraus resultierend eine mangende Aufmerksamkeit für die Belange der Familie und für die intensive Begleitung beim Stillen.
Die Autorinnen leiten aus den Ergebnissen Hypothesen ab: Fachwissen über pathophysiologische Rückbildungs- und Entwicklungsvorgänge von Mutter und Neugeborenem, zeitliche Grundvoraussetzungen sowie Auseinandersetzung mit den Themen Stillen und Ernährung im ersten Lebensjahr sollten vorhanden sein.
Resümee für die Praxis
Als Fazit für die Praxis benennen die Autorinnen neben einer wertschätzender Grundhaltung, Zeit und Empathie eine gute Zusammenarbeit mit Hebammen und anderen Fachkräften für die Versorgung von Familien im Wochenbett. Ein Kompetenzerwerb für die »Wochenbettarbeit« für Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin wird abschließend als sinnvoll erachtet.
Hinweis: In der Juliausgabe der DHZ wird es einen Kommentar zu den Ergebnissen dieser Studie geben.
Quelle: Knobloch-Maculuve, J. & Steinhäuser, J. (2024). Versorgung von Familien im Wochenbett – eine qualitative Studie. Zeitschrift für Allgemeinmedizin. https://doi.org/10.1007/s44266-024-00184-x ∙ Beate Ramsayer/DHZ