Beckenboden

Teamwork mit der Physiotherapie

Eine Physiotherapeutin und zwei Hebammen haben einen Fragebogen entwickelt, um frühzeitig die Frauen zu identifizieren, die nach der Geburt gezielte Beckenbodenphysiotherapie benötigen. Die enge Zusammenarbeit von Hebammen und spezialisierten Physiotherapeut:innen bringt allen Seiten Vorteile, nicht zuletzt kann sie junge Mütter vor langen Leidenswegen bewahren. Daniela Künze

Spätestens nach der Geburt oder im Rückbildungskurs kommt im Hebammenalltag das Thema Beckenboden auf. Typische Fragen sind: »Was darf/kann ich tun?«, »Wann darf ich wieder richtigen Sport machen?« Und: »Ist das eigentlich normal?«

Bereits im Wochenbett ist es von Vorteil für alle Beteiligten, mit einem neuen objektiven Fragebogen in einem ersten Screening möglichen Handlungsbedarf zu erkennen. Im Anschluss kann die Hebamme aufgrund der Auswertung eine Empfehlung für eine gezielte Beckenboden-Physiotherapie aussprechen.

 

Veränderungen des Beckenbodens

 

Unbestritten sind Schwangerschaft, Geburt und Rückbildung eine Herausforderung für den weiblichen Körper. Die enormen körperlichen Leistungen und Anpassungen sind vielfältig. In der Therapie können Physiotherapeut:innen, die speziell in der Geburtshilfe, Gynäkologie und Beckenbodentherapie fortgebildet sind, präventiv eingreifen, Schmerzen lindern und die Rehabilitation unterstützen.

Der Beckenboden wird nicht nur während der Geburt sehr beansprucht, sondern auch schon in der Schwangerschaft, unabhängig vom späteren Geburtsmodus. Durch das wachsende Gewicht des Kindes und des Uterus, die Auswirkungen der hormonellen Veränderungen auf das Bindegewebe und die vorübergehende Verlängerung der Nervenleitgeschwindigkeit des N. pudendus wird das Muskelsystem stark gefordert. Darüber hinaus können auch der verringerte urethrale Verschlussdruck und nicht zuletzt die Veränderung in der Statik und der Biomechanik Probleme bereiten.

Bei der vaginalen Geburt kann es zu muskulären Verletzungen des Dammes durch Risse oder Episiotomie und teilweise zu okkulten Verletzungen des M. sphincter ani externus, faszialen oder Bindegewebsverletzungen (Symphysenproblematik), neurogenen und ossären Verletzungen des Os coccygeus kommen. Als Folgen können unter anderem Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz, Organsenkungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Rückenschmerzen auftreten. In der laufenden Studie BREST (Beckenboden-REhabilitations-STudie) von Dr. Rainer Lange vom Klinikum Worms hatten 28,3 % der Erstgebärenden nach vaginaler Geburt eine Harninkontinenz und 27,5 % der Mehrfachgebärenden.

 

Studien zur Beckenbodentherapie

 

Abgeschlossenen Studien zufolge kann spezielle Beckenbodenphysiotherapie in der Schwangerschaft die Episiotomie-Rate senken und die Dauer der zweiten Geburtsphase verkürzen (Morkved 2003). Ein funktionelles Beckenbodentraining in der Schwangerschaft führt laut Kari Bø aus Oslo nicht zu einer erhöhten Rate vaginal operativer Geburten und perinealer Traumata (Bø 2009).

Was die Therapie nach der Geburt betrifft, plädieren Chantale Dumoulin und ihr Team von der Universität Montreal für eine Anleitung durch Physiotherapeuten:innen, individuelle wöchentliche Rehabilitation und ein progressives Heimübungsprogramm (Dumoulin et al. 2004). So könne man den betroffenen Frauen bestmöglich helfen, die Spätfolgen verringern und einen langen Leidensweg in späteren Lebensjahren vermeiden. Idealerweise sollten speziell für den Beckenboden fortgebildeten Therapeut:innen die Physiotherapie anleiten. Sie können in diesem hochkomplexen Zusammenspiel des Muskelsystems im Beckenboden und dem Rest des Körpers für jede Frau das optimal angepasste Behandlungsprogramm erstellen. Auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie (AG GGUP) im Deutschen Verband für Physiotherapie ist eine Therapeut:innenliste zu finden (siehe Links).

 

Nutzen für Hebammen

 

Doch wie genau ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Nutzen und wie kann diese objektiv umgesetzt werden?

Bei den möglichen Verletzungen und Beeinträchtigungen der Frauen ist es wichtig, dass Hebammen und Beckenbodenphysiotherapeut:innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Durch ein gut funktionierendes Netzwerk können sie Hand in Hand arbeiten, um die Schwangeren und Wöchnerinnen gezielt an die jeweils passende Stelle zu verweisen. Das kann die Zufriedenheit auf allen Seiten steigern. Zur Frage der Umsetzung habe ich mit den Hebammen Katrin Schröter und Hanna von Elm aus Bad Nauheim einen Screeningbogen für das Wochenbett entwickelt. Ziel ist es, mögliche Probleme des Beckenbodens früh zu erkennen, einschätzen zu können und den Wöchnerinnen Zugang zu Informationen und Hilfe zu geben. Der Weg soll wegführen vom Gefühl des »Rätselns«, ob eine Frau mehr Unterstützung nötig haben wird im Verlauf der Rückbildungszeit, hin zu einem objektiven Fragebogen, der Indikationen für eine begleitende oder vorausgehende Einzeltherapie zusätzlich zum Rückbildungskurs aufzeigt.

 

Aufruf

 

Fragebogen weiterentwickeln

 

Der Screeningbogen ist regional in Bad Nauheim/Wetteraukreis seit über einem Jahr in der Praxis im Einsatz. Es werden Daten erhoben, um die Feineinstellung des Punktesystems zu verbessern und weiter zu entwickeln. Für weitere Schritte sollen auch überregionale Daten herangezogen werden.

Darum bittet die Autorin um Mithilfe bei der Weiterentwicklung. Über einen Link können sich interessierte Hebammen den Screeningbogen kostenlos herunterladen und in ihrer täglichen Arbeit verwenden: >
www.dropbox.com/s/d034u4cnarg2n71/Screening%20Indikationen%20Einzeltherapie%20Physio%20Postpartum%20A4.pdf?dl=0

Anonym ausgefüllte und ausgewertete Bögen können einfach per Mail gesendet werden an: screening@physio-daniela-kuenze.de

 

Screeningbogen und Qualitätsmanagement

 

Im Hebammenalltag ist auch der Zeitaufwand ein maßgebender Faktor für das Abfragen mit dem Screeningbogen. Durch den kompakten Aufbau und die Übersichtlichkeit mit Gliederung in die Teile »Intervention bei Geburt«, »Geburt« und »nach der Geburt« sind Fragen abgedeckt, die die betreuende Hebamme ohnehin für ihre eigene Anamnese stellt. Einige weitere zum Beckenboden kommen dazu. Der Bogen umfasst nicht mehr als eine DinA4-Seite und wird im Verlauf der Wochenbettbesuche zweimal im Abstand von drei bis vier Wochen abgefragt, um eine Entwicklung über die Zeit sehen zu können. Braucht die Frau Unterstützung bei steigender Belastung oder halten sich Belastung und Belastbarkeit die Waage?

Deshalb soll die Dynamik des Rückbildungsprozesses im Vordergrund stehen. Unterschiedliche Fragen im Scoringsystem erzielen verschiedene Punktewerte.

Die gesammelten Erfahrungen und Rückmeldungen der Frauen mit Beckenbodenproblemen innerhalb eines Jahres zeigen, dass sie sich in den Online-Rückbildungskursen besser fühlten mit spezieller Physiotherapie und Rückbildung in Kombination und den Kurs effektiver für sich nutzen konnten. Ebenso konnten sich die leitenden Hebammen sicherer fühlen, dass sie diesen Frauen mit Beckenbodenproblemen in der Kurssituation gerechter werden konnten. Durch die Zusammenarbeit der Physiotherapeut:innen und Hebammen wurde bei den Frauen eine gute Basis gelegt. Im fachlichen Dialog konnten erste Maßnahmen erarbeitet werden, welche die Hebammen den Frauen bereits im Wochenbett zeigen konnten. Doch nicht nur für die Betreuung der Wöchnerinnen bietet der Screeningbogen Vorteile, sondern auch für das Qualitätsmanagement der freiberuflichen Hebammen. Sie können ihn in ihr vorhandenes Konzept einpflegen und so einen Beitrag zur Qualitätssicherung leisten.

 

Disziplinen gut vernetzen

 

In der Frauengesundheit und speziell in der Geburtshilfe sollten sich die verschiedenen Disziplinen gut vernetzen. Denn das Ziel sollte doch sein, mit den jeweiligen Behandlungsmöglichkeiten die Frau in den Mittelpunkt zu stellen, sie zu informieren und zu beraten, so dass sie eine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen kann. Damit möglichst keine Frage im Raum stehen bleibt wie: »Warum hat mir das keiner vorher gesagt?« Dadurch wird ein möglicher langer Leidensweg der Frauen frühzeitig verhindert.

Rubrik: Wochenbett | DHZ 11/2021

Literatur

Mørkved S, Bø K, Schei B, Salvesen KA: Pelvic floormuscle training during pregnancy to prevent urinary incontinence: a single-blind randomized controlled trial. Obstet Gynecol. 2003. 101(2):313–9

Bø K, Fleten C, Nystad W: Effect of Antenatal Pelvic Floor Muscle Training on Labor and Birth. Obstetrics & Gynecology 2009. 113 (6) 1279–1284

Dumoulin C, Lemieux M-C, Bourbonnais D, Gravel D, Bravo G, Morin M: Physiotherapy for Persistent Postnatal Stress Urinary Incontinence: A Randomized Controlled Trial. Obstetrics & Gynecology 2004. 104 (3) 504–510
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