Mit allen Sinnen und digital

  • Elisabeth Niederstucke, Redakteurin der DHZ: »In der Digitalisierung liegen große Potenziale, die zur Verschlankung der Dokumentation und zu einer besseren interprofessionellen Kommunikation führen können.«

Hebammen haben immer mit ihren Händen gearbeitet, fühlend und tastend durch den fünften menschlichen Sinn den Zustand der Frau und des Kindes erkannt. Digitum bedeutet lateinisch »der Finger«. Digital leitet sich ursprünglich davon ab – vom Zählen mit den Fingern im Sinne eines Sammelns von Daten. Steht also das Digitale der Hebammenarbeit eigentlich ganz nah – und somit auch die Digitalisierung? Das lässt sich mit Blick auf die originäre Hebammenarbeit nicht direkt sagen, und doch sind das Haptische und das Digitale inzwischen oft tief verbunden.

Als das Corona-Virus von 2020 bis 2022 durch Deutschland fegte, gab es einen Digitalisierungsschub in der Hebammenarbeit. Fahrt kam auf für Online-Fortbildungen und Webinare, ganze Kongresse fanden auf extra dafür entwickelten Plattformen statt, auch Kurse und Einzelbetreuungen für die Frauen liefen live über den Bildschirm. Aus der Not wurde eine Tugend. Manche Hebammen empfanden es als Erleichterung, auf weite Anreisen zu Fortbildungen oder Kongressen und manche kurzen Ortstermine bei den Familien verzichten zu können. Doch es ging auch etwas verloren: der direkte Austausch. Jetzt ist sogar das »Bad in der Menge« wieder da, etwa auf dem Deutschen Hebammenkongress Mitte Mai in Berlin mit über 3.000 Teilnehmer:innen, wo die abendliche Feier zum rauschenden Fest wurde (siehe Seite 93ff.). Es war wie ein großes Aufatmen.

Kürzlich las ich in der Süddeutschen Zeitung, die ich noch analog in meinen Händen hielt, einen Beitrag über künstliche Intelligenz (KI) und ihre Bedeutung für die Menschheit. Es ging um Chat-GPT: GPT steht für »Generative Pre-trained Transformer«. Die Software ist lernfähig im Sinne eines »Deep Learning« und wird damit zur Kommunikationsmaschine, die Texte schreiben und Fragen beantworten kann. Schon heute können Frauen Chat-GTP fragen, wenn sie beispielsweise Stillprobleme haben – die Antworten sind allerdings noch nicht zufriedenstellend. Wird die KI irgendwann so intelligent sein, dass sie eine Anfrage bei der Hebamme ersetzt? Der Zeitungsartikel ging so weit, mit Schreckens­szenarien aufzuwarten, und verbreitete Sorge vor einer Superintelligenz, die uns irgendwann steuern könnte.

Auf der anderen Seite warten Hebammen teils schon ungeduldig auf angekündigte Fortschritte durch Digitalisierung. Telematikinfrastruktur, elektronische Patient:innenakte und digitaler Mutterpass sind noch nicht so etabliert, dass die Dokumentation nicht mehr bei jeder Profession individuell geführt werden müsste. Hier liegen große Potenziale, die zur Verschlankung der Dokumentation, zur gezielteren Erfassung der Patient:innendaten und zu einer besseren Kommunikation der Berufsgruppen führen können. Kommt es zu einem geburtshilflichen Notfall, könnte das geballte Wissen auf der Chip-Karte der Gebärenden sofort abrufbar und unter Umständen lebensrettend sein.

Digitalisierung und Hebammenarbeit haben die Chance, Hand in Hand zu gehen. Um mit Franz Kafka zu sprechen: »Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.«

Elisabeth Niederstucke

 

Rubrik: DHZ 07/2023

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