Spenderkinder

»Ich würde gerne darüber reden können«

Die Spenderkinderstudie 2020 ist bislang die größte empirische Studie an erwachsenen Spenderkindern in Deutschland. Ein wichtiges Ergebnis: Je früher die Kinder über ihre Zeugung aufgeklärt werden, desto besser. Mittlerweile kommen bei Familiengründungen häufiger Spendersamen zum Einsatz – so ist auch der professionelle Rat von Hebammen öfter gefragt. Anne Meier-Credner
  • Die Umstände sind vielfältig, unter denen Spenderkinder von ihrer Entstehungsweise erfahren haben.

Wie haben erwachsene Spenderkinder in Deutschland von ihrer Entstehungsweise erfahren? Welche Einflüsse der Aufklärung haben sie auf ihre Beziehungen zu verschiedenen Familienmitgliedern erlebt? Diese und weitere Fragen untersuchten der Bioethiker Tobias Bauer (Universität Kumamoto, Japan) und ich als Psychologische Psychotherapeutin und Lehrtherapeutin in der Spenderkinderstudie 2020. Es ist bislang die größte empirische Studie an erwachsenen Spenderkindern in Deutschland. Die Teilnehmenden wurden zwischen 1974 und 1999 gezeugt und im Alter von 5 bis 46 Jahren aufgeklärt. Bei der Förderung von Aufklärung spielte psychosoziale Beratung teilweise eine wichtige Rolle. Ein weiterer wesentlicher Faktor zur Förderung von Aufklärung waren DNA-Datenbanken.

Spenderkinder entstehen in Deutschland offiziell seit 1970. Damals erklärte der Deutsche Ärztetag die Samenvermittlung für Ärzt:innen als nicht mehr standeswidrig und die Bundesärztekammer wies darauf hin, dass auf diese Weise entstehende Menschen ein Recht darauf haben, zu erfahren, wer ihr genetischer Vater ist. Dennoch wurde sogenannten Samenspendern häufig Anonymität versprochen und den Eltern wurde empfohlen, ihre Kinder nicht über deren Entstehungsweise aufzuklären.

Aus der Spenderkinderstudie 2020 gehen unter anderem die vielfältigen Umstände hervor, unter denen die teilnehmenden Spenderkinder von ihrer Entstehungsweise erfahren haben. Außerdem wurde untersucht, wie sich aus ihrer Perspektive die Aufklärung über die Entstehungsweise auf ihre Beziehungen zu verschiedenen Familienmitgliedern auswirkte.

 

Wer hat mitgemacht? Die Stichprobe

 

Die Daten wurden im Herbst 2020 mit einem Online-Fragebogen erhoben. Insgesamt wurden Fragebogendaten von 59 erwachsenen Spenderkindern einbezogen, die in Deutschland gezeugt und aufgewachsen waren. Bisherige Studien umfassten maximal elf Spenderkinder aus Deutschland.

Die Rekrutierung erfolgte über die interne Mailingliste des Vereins Spenderkinder, um sicherzustellen, dass ausschließlich Spenderkinder an der Studie teilnahmen. In der Rekrutierungsmail wurde darum gebeten, die Einladung an Halbgeschwister weiterzuleiten, die möglicherweise nicht auf der Liste waren. Von den Teilnehmenden identifizierten sich 47 als weiblich und 9 als männlich. Drei identifizierten sich als divers oder machten keine Geschlechtsangabe. Alle waren als Kinder eines heterosexuellen rechtlichen Elternpaares geplant und die meisten (48 Personen) wuchsen in dieser Konstellation auf. Das ist nicht überraschend, da zu der Zeit, in der die Befragten gezeugt wurden, Samen beinahe ausschließlich an verheiratete, heterosexuelle Paare vermittelt wurde.

Die meisten Teilnehmenden waren Mitglieder des Vereins Spenderkinder. Es ist nicht bekannt, inwieweit sich die Mitglieder möglicherweise von anderen Spenderkindern unterscheiden. Vielleicht haben die Vereinsmitglieder ein stärkeres Interesse daran, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Eventuell haben sie auch mehr Ressourcen, um sich emotional mit dem Thema auseinanderzusetzen. Letzteres legen Zuschriften von Spenderkindern an den Verein nahe, die sich erst nach Jahren reiflicher Überlegung dort melden, sowie Berichte über Halbgeschwister, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema ablehnen.

 

Welche Aufklärungsumstände berichteten die Befragten?

 

Die Teilnehmenden berichteten verschiedene Aufklärungsumstände, zum Beispiel bewusste Aufklärung durch ein oder zwei Elternteile, zufällige Aufklärung durch medizinische Unterlagen oder Aufklärung durch DNA-Tests.

»Meine Schwester und mich trennt ein großer Altersunterschied, deswegen wollte sie [die Mutter] es uns erst sagen, wenn meine Schwester 18 ist. Dann hat sie den Zeitpunkt immer wieder verschoben aufgrund von Abschlussarbeiten, Abitur und Auslandsaufenthalten. Schlussendlich hat sie es uns an Weihnachten gesagt, weil wir da alle zu Hause waren.« (Person ohne Geschlechtsangabe, erfuhr es in ihren 20ern)

»Meine Schwester und ich haben in den Unterlagen unseres verstorbenen Vaters einen Arztbrief gefunden, und dort stand, dass er eine genetische Erkrankung [die mit Unfruchtbarkeit einhergeht] hatte. Das haben wir dann ge­googelt und uns erst nicht viel dabei gedacht. Erst nach weiteren Recherchen wurde uns klar, dass er höchstwahrscheinlich zeugungsunfähig war. Meine Schwester hat meine Mutter dann einige Tage später direkt danach gefragt und da hat sie von der Samenspende erzählt.« (weiblich, erfuhr es in ihren 30ern)

»Ich habe eigeninitiativ zwei Vaterschaftstests durchgeführt. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass mein Vater nicht mein biologischer Vater sein kann. Der Weg bzw. die Entscheidung bis zu diesen Tests war ein langer. Zeitlebens spürte ich, dass in unserer Familie etwas nicht stimmte, ich gänzlich anders aussah als alle anderen, andere Interessen hatte usw. Mit dem mir zweifach vorliegenden Ergebnis, dass mein Vater nicht mein biologischer Vater sein kann, konfrontierte ich meine Eltern, die nach langem Schweigen und Ausflüchten mir dann erzählten, dass ich mittels Samenspende gezeugt wurde.« (männlich, erfuhr es in seinen 30ern)

»Über einen DNA-Test auf einer Online-DNA-Datenbank. Dort habe ich eine genetische Halbschwester entdeckt. Nach der Kontaktaufnahme hat diese mir dann erläutert, dass sie per Samenspende entstanden ist und ich höchstwahrscheinlich ebenso entstanden bin. Nach Rücksprache mit meiner Mutter wurde diese Vermutung dann durch meine Mutter bestätigt.« (weiblich, erfuhr es in ihren 30ern)

Weitere Aufklärungsanlässe waren Ehekrisen der rechtlichen Eltern, psychologischer Rat, ein mitgehörtes elterliches Gespräch oder auch mitwissende Dritte, die den Befragten Hinweise gaben oder die rechtlichen Eltern zur Aufklärung motivierten:

»Es war im Trennungsstreit meiner Eltern, als es darum ging, wer bleibt bei wem. Mein Bruder ist ja drei Jahre älter und war ein absolutes Papa-Kind und wollte auch bei meinem Vater bleiben/wohnen. Meiner Mutter ging es damit natürlich nicht gut und in dem Moment sagte sie dann zu uns: »Euer Vater ist gar nicht euer richtiger Vater«. (weiblich, erfuhr es im Vorschulalter)

»Meine Mutter hat eine psychologische Beratung in Anspruch genommen. Diese hatte ihr mitgeteilt, dass sie mich möglichst früh aufklären soll.« (weiblich, erfuhr es im Grundschulalter)

»Meine Mutter hat einen Schreck bekommen, weil sie erfahren hatte, dass es jemand wusste, von dem sie nicht wusste, dass er es wusste, und meinte dann, dass sie es mir sagen müssten.« (weiblich, erfuhr es im Grundschulalter)

 

Wie wirkte sich die Aufklärung aus?

 

Wir untersuchten auch, welchen Einfluss der Aufklärung die Teilnehmenden auf ihre Beziehungen zu verschiedenen Familienmitgliedern erlebten.

Die Beziehung zur Mutter

Die stärkste Veränderung nach der Aufklärung beschrieben insbesondere spätaufgeklärte Spenderkinder in der Beziehung zu ihrer Mutter. Ihr schrieben sie tendenziell mehr Verantwortung für die Aufklärung zu als dem rechtlichen Vater.

»Meine Mutter und ich hatten ein gutes Verhältnis. Allerdings ahnte ich nicht, dass sie mir diesen wesentlichen Punkt meiner Entstehungsgeschichte vorenthalten würde. Mein Vertrauen in meine Mutter ist deutlich beschädigt, zumal sie sich außer Rechtfertigungen nie glaubwürdig bei mir entschuldigt hat.« (männlich, erfuhr es in seinen 30ern)

Einige Befragte berichteten nach anfänglichem Erleben von Ärger oder Schock eine Verbesserung der Beziehung zu ihrer Mutter. Als Gründe dafür nannten sie, erleichtert zu sein, bestimmte Ereignisse in der Vergangenheit oder unverständliches Verhalten der Mütter nun besser verstehen zu können. Andere beschrieben bereits vor der Aufklärung eine schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, die sich mit der Aufklärung nicht wesentlich veränderte.

Die Beziehung zum rechtlichen Vater

Die Beziehung zum rechtlichen Vater nahmen die Teilnehmenden tendenziell bereits vor der Aufklärung als weniger emotional und nah wahr. Dafür gaben sie verschiedene Gründe an wie die Persönlichkeit des rechtlichen Vaters, medizinische Gründe wie Autismus oder Depression des rechtlichen Vaters, Trennung der Eltern, die mit weniger Kontakt zum rechtlichen Vater einherging, sowie die Entstehungsweise des Kindes.

»Mein Vater und ich waren schon immer sehr verschieden. Auch in meiner Kindheit habe ich meinen Vater immer als sehr abwesend wahrgenommen. Er war zwar immer da und war bzw. ist eine Konstante in meinem Leben, emotional fiel es mir aber dennoch schwer, eine tiefgreifende Bindung zu ihm aufzubauen, da er so wenig auf einer emotionalen Ebene präsent war. Als ich über meine Entstehungsgeschichte aufgeklärt wurde, habe ich endlich verstanden, warum mein Vater oft so distanziert wirkt.« (männlich, erfuhr es in seinen späten Teenagerjahren)

Manche Teilnehmende berichteten, dass nach der Aufklärung keine Kommunikation mit dem rechtlichen Vater stattgefunden hatte oder das Thema vermieden wurde. Neben den genannten Gründen für weniger emotionalen Austausch nannten sie Sorge um die Gefühle des rechtlichen Vaters. Einige drückten Verständnis und Mitgefühl für die Situation ihres rechtlichen Vaters aus. Manchen war es wichtig, deutlich zu machen, dass sie ihn weiterhin als »Papa« oder »Vater« akzeptieren. Teilweise drückten Befragte Erleichterung aus, nicht mit ihrem rechtlichen Vater verwandt zu sein, wenn sie zum Beispiel bestimmte Persönlichkeitszüge von ihm als problematisch wahrnahmen oder zuvor Druck verspürt hatten, Erwartungen erfüllen zu müssen, die ihnen nicht entsprachen.

 

Die Beziehung zu Familie und Partner:in

 

Unseres Wissens erstmalig untersuchte die Studie den wahrgenommenen Einfluss auf weitere Personen wie Geschwister, mit denen die Spenderkinder aufgewachsen sind, Partner:innen, Kinder und die erweiterte Familie. In diesen Beziehungen berichteten die Befragten insgesamt wenig Veränderung.

»Mein Bruder [gezeugt durch einen anderen Spender] und ich kommen, seit wir erwachsen sind, sehr gut miteinander aus und unterstützen uns in allen Lebenslagen. Dass wir vor einigen Jahren erfahren haben, dass wir nur Halbgeschwister sind, änderte daran überhaupt nichts. In unserem familiären Alltag spielt diese Tatsache heute keinerlei Rolle.« (weiblich, erfuhr es in ihren 30ern)

Spannungen nahmen die Befragten wahr in Bezug auf unterschiedliche Umgangsweisen der Geschwister mit der Entstehungsweise:

»Meine Schwester hat mir Vorwürfe gemacht, die Familie kaputt zu machen. Sie ist viel mehr Familienmensch als ich. Ich wollte das Verhältnis zu ihr nicht verändern, wir waren wie beste Freundinnen. Aber sie hat sich zurückgezogen. Wir haben zwar einige Male lange telefoniert, ich habe ihr versucht zu erklären, warum ich reagiere, wie ich es eben tue, aber so ganz konnte sie mir das nicht verzeihen. Inzwischen ist das Verhältnis wieder besser, aber lang nicht mehr so vertraut wie früher. Das macht mich manchmal noch traurig. Vielleicht liegt es auch am Alter, jeder hat inzwischen sein eigenes Leben, dennoch ist irgendetwas zwischen uns kaputt gegangen.« (weiblich, erfuhr es in ihren 30ern)

Teilweise gab es unterschiedliche Herangehensweisen an die Frage, ob der Geschwisterstatus als Voll- oder Halbgeschwister durch einen DNA-Test geklärt werden sollte oder nicht.

»Mein Bruder ist ja komplett anders als ich und hat das so aus seinem Kopf gelöscht, das Thema, denn er will von allem nichts wissen. Für mich ist das schon ein bisschen blöd, denn ich würde gerne mit ihm darüber reden können und würde gerne auch wissen, ob er mein voller Bruder ist. Aber ich akzeptiere seine Art damit umzugehen, denn selbst wenn ich ein Ergebnis hätte, dass er nur ein Halbbruder ist, würde es bei mir rein gar nichts verändern.« (weiblich, erfuhr es im Vorschulalter)

Ebenfalls wenig Veränderung berichteten die Teilnehmenden in der Beziehung zu Partner:innen, eigenen Kindern sowie der erweiterten Familie mit Onkel, Tanten, Großeltern und anderen. Dabei war nicht immer ganz klar, inwieweit es sich um Familie väterlicherseits oder mütterlicherseits handelte und inwieweit diese überhaupt informiert war. Besonders wenn die Beziehung schon vor der Aufklärung nicht so gut oder eng war, wurde nach der Aufklärung eine stärkere Distanz zur genetisch nicht-verwandten Seite wahrgenommen oder bewusst geschaffen. Manche erlebten das Wissen um die genetische Nicht-Verwandtschaft auch als Erleichterung.

 

Tipps für die Praxis

 

Hebammen begegnen vermutlich auch Eltern, deren Kind noch einen weiteren, abwesenden genetischen Elternteil hat. In unserer Studie hat sich gezeigt, dass professioneller Rat förderlich für die Aufklärung ist und dass die familiären Beziehungen aus Sicht der Kinder weniger betroffen sind, je jünger das Kind zum Zeitpunkt der Aufklärung ist. Hebammen können die Eltern im Sinne der Kinder zur Aufklärung ermutigen. Möglicherweise begegnen Hebammen auch Eltern, die selbst wissen oder vermuten, dass sie noch einen weiteren genetischen Elternteil haben. Auch wenn die eigene Herkunft bislang unbedeutend schien, kann sie im Rahmen der eigenen Elternschaft bedeutsam werden. Diese jungen Eltern, die selbst Spenderkinder sind oder es vermuten, können Hebammen ebenfalls zur Klärung ermutigen. Erwachsene Spenderkinder können sich über info@spenderkinder.de an den gleichnamigen Verein wenden.

Außerdem hat sich in der Studie gezeigt, dass DNA-Datenbanken zunehmend bedeutsam sind: Immer wieder finden Menschen auf diese Weise unerwartet heraus, dass sie ein Spenderkind sind, weil sie dort zum Beispiel Halbgeschwister finden. Daneben können Menschen DNA-Datenbanken gezielt zur Suche oder Klärung ihrer genetischen Verwandtschaft nutzen.

Rubrik: Politik & Gesellschaft | DHZ 09/2023

Hinweis

Spenderkinderstudie 2020

Dieser Beitrag fasst die zentralen Ergebnisse der Studie zusammen. Der vollständige Artikel ist frei abrufbar auf der Journal-Website: https://www.mdpi.com/2076-0760/12/3/155

Literatur

Bauer, T., & Meier-Credner, A. (2023). Circumstances Leading To Finding Out about Being Donor-Conceived and Its Perceived Impact on Family Relationships: A Survey of Adults Conceived via Anonymous Donor Insemination in Germany. Social Sciences, 12(3), 155. doi.org/10.3390/socsci12030155

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