Keine voreiligen Schlüsse

»Mindsets« werden als eine Art »mentale Brille« verstanden, die beeinflusst, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen, Eindrücke verarbeiten und sich verhalten. Es wird heute aufgrund einiger Studien angenommen, dass das geburtsbezogene Mindset in der Schwangerschaft den Geburtsverlauf beeinflusst. Diplom-Psychologin und Studienautorin Lisa Hoffman vom psychologischen Institut der Universität Bonn zufolge kann es ihn angeblich sogar »vorhersagen«.

Mag sein, dass es statistische Korrelationen zwischen Mindsets und Geburtsverläufen gibt, – aber das heißt nicht, dass daraus Vorhersagen für eine Geburt möglich wären! Solche Umkehrschlüsse sind wissenschaftlich fragwürdig. Ich halte solche Aussagen auch für anti-emanzipatorisch.

Keine Frage, dass Angst eine Geburt schmerz­hafter oder schwerer machen kann – sie muss es aber nicht. Mindestens ebenso entscheidend sind Faktoren wie die körperliche Konstitution, die individuelle Schmerzempfindlichkeit, die Einstellung der Begleitperson oder Art und Umfang der Betreuung.

Es ist auch denkbar, dass Hebammen und Ärzt:innen unterschiedlich auf Menschen reagieren – und so Geburtsverläufe beeinflussen. Dass sie manchen Frauen weniger zutrauen oder sie weniger unterstützen. Dass sie das Mindset von Frauen positiv oder negativ beeinflussen, zum Beispiel durch Betonung von Risiken, Verstärken vorhandener Ängste, unbewusste Bevorzugung sympathischer »positiver« oder Ablehnung »anstrengender« oder als fremd empfundener Menschen. Erfahrungen von Diskriminierung oder Sexismus könnten sich im Kreißsaal wiederholen – so dass vulnerable Menschen vielleicht anders behandelt werden. Und erneut schlechte Erfahrungen machen.

Solange noch so viele Unklarheiten in diesen komplexen Fragen herrschen, sollten wir uns hüten, Frauen in irgendwelche Schubladen zu stecken und Vorhersagen über ihr Verhalten oder ihren Geburtsverlauf zu machen. Aus Vorsicht – und aus Respekt vor jeder einzelnen Frau.