TikTok-Trend: »Vaginal Splinting«

Das Schienen der rückseitigen Vaginalwand mit den Fingern für eine erfolgreiche Defäkation ist der »TikTok-Trend« zur Beseitigung von Verstopfung. Dabei handelt es sich um eine Technik, die Physiotherapeut:innen für den Beckenboden schon seit Jahrzehnten empfehlen. Was steckt genau dahinter, wer profitiert davon und warum wurde es zum Multimedia-Trend? Peggy Seehafer
  • Abbildung 4: Patientinneninformationen der International Urogynical Association (IUGA): Links ist das prolabierende Rektum in Richtung Vagina deutlich erkennbar. f

Ein TikTok-Video einer Frau aus Großbritannien ging 2021 viral (Ambrosia, 2021). Darin ist zu sehen, wie sie mithilfe des »vaginalen Schienens« (»vaginal splinting«) das Absetzen von Darminhalt erleichtert. Mit dem Druck von Zeige- und Mittelfinger, die vaginal eingeführt werden und nach dorsal und distal drücken – gegen die hintere Vaginalwand und nach unten, wird das Fehlen einer stabilen rektovaginalen Faszie ausgeglichen.

Bis zu 30 % der Frauen wenden diese Technik gelegentlich oder regelmäßig an, um den Stuhlgang zu erleichtern, besonders bei Verstopfung (Apostolis, 2012).

 

Anatomie und Geburtsverletzungen

 

 

 

Abbildung 1: Verlauf der rektovaginalen Faszie im Sagittalschnitt einer Frau
Abbildung: © Grays Anatomy, 1909

Die Vagina ist eine 8 bis 10 cm lange schlauchförmige, sehr dehnbare organische Verbindung von Uterus und Vulva. Die Oberfläche der Vagina besteht aus mehrschichtigem, unverhorntem Plattenepithel und ist lediglich 3 mm dick (Görlitz-Novakovic, 2020). Anterior grenzt sie an die Blase, nach dorsal an den Darm. Sie verläuft vom Beckenboden in Richtung des letzten Kreuzbeinwirbels und bildet am superioren (oberen) Ende ein Vaginalgewölbe aus. Der äußere Teil der Cervix wird anatomisch der Vagina zugeordnet, ist in diesem Zusammenhang aber nicht relevant. Die Wand ist mit vielen Blutgefäßen durchsetzt, sie besteht aus Ring- und Längsmuskulatur und Bindegewebe.

Die vordere und hintere Wand bilden je ein säulenförmiges System von Querfalten (Columnae rugarum). Die anteriore und posteriore Wand liegen aufeinander, so dass das Vaginallumen eine H-Form bildet (Stoeckel, 1940). Der Faltenwurf ermöglich eine Dehnung im Längsverlauf zum Beispiel beim Sex und eine extreme Dehnbarkeit im Durchmesser beispielsweise für den Durchtritt eines Kindes.

Kommt es geburtsbedingt zu einem Vaginalriss, ist dieser nicht tiefer als 3 mm, er kann aber mehrere Zentimeter längs verlaufen.

 

Was ist ein tiefer Vaginalriss?

 

 

 

Abbildung 2: Dehnung der begrenzt elastischen Faszie im Geburtsverlauf
Abbildung: © Martius, 1946

Mit einem tiefen Vaginalriss könnte ein superiorer – hoher – Vaginalriss in Richtung Zervix gemeint und nur falsch beschrieben sein, weil er in die Tiefe des Körpers hinein verläuft. Oder es wird bei der üblicherweise in Steinschnittlage liegenden Frau ein tiefer Riss diagnostiziert, also nach dorsal oder posterior in Richtung der Kreuzbeinhöhle.

Bedenkt man, dass die Vagina nur 3 mm dick ist, kann es keinen tiefen Vaginalriss geben. Eine diagnostizierte tiefe Verletzung an dieser Stelle deutet auf einen Defekt in der rektovaginalen Faszie hin, die physiologisch die Vagina nach dorsal durch ihre bindegewebige Struktur abschließt. Im Gegensatz zur Vagina besteht die rektovaginale Faszie aus Bindegewebe und ist daher nur begrenzt elastisch. Reicht der Platz nicht, kommt es zu einer Läsion.

 

Die rektovaginale Faszie

 

Die rektovaginale Faszie ist eine dünne bindegewebige Struktur zwischen Rektum und Vagina, die beide Organe durch ihre geringe Elastizität an ihrem Platz hält. Sie glänzt leicht silbrig. Sie erstreckt sich vom hinteren Zervixring unterhalb des Levatormuskels bis zum Perinealkörper. Letzterer liegt distal zwischen Rektum und der hinteren Vaginalwand auf Höhe der oberflächlichen Beckenbodenmuskulatur und dient als Verankerungspunkt für die Faszie. Bei Läsionen dieser Faszie entsteht eine Rektozele (Muctar, 2018).

 

Das Rektum

 

Die letzten 15 bis 20 cm des Dickdarms liegen im kleinen Becken vor dem Kreuzbein und werden als Enddarm bezeichnet. Ventral findet sich die rektovaginale Faszie und dorsal die Leitungsbahnen für die aus dem Rückenmark austretenden Nerven.

 

 

Abbildung 3: Postpartale rektale Untersuchung bei Fasziendefekt und Vaginalriss

Foto: © GynZone

Der Enddarm verfügt über Krümmungen, nach ventral in konkaver Form (Flexura sacralis). Auf der Höhe, wo der Levatormuskel den Darm in Richtung Symphyse zieht, krümmt sich der Enddarm dann konvex (Flexura perinealis). Das Rektum – der Mastdarm (12 bis 15 cm) – wird vom Analkanal (ca. 4 cm) abgegrenzt. In Peristaltikwellen wird der verarbeitete Speisebrei ins Rektum geschoben. Dort sammelt sich der eingedickte Kot. Über Rezeptoren in der Darmwand wird der Stuhldrang ausgelöst und während der Defäkation entspannen sich die Schließmuskeln des Analkanals (M. sphincter ani externus und M. sphincter ani internus).

Der Defäkationsreflex kann bewusst unterdrückt werden, beispielsweise wenn die Situation gerade keinen Toilettenbesuch zulässt. Je länger der Kot dort verbleibt, desto mehr Wasser wird ihm entzogen und desto mehr wird das Rektum in Richtung der vorderen Krümmung gedehnt. Die Ausscheidung wird zunehmend erschwert und kann zu Funktionsstörungen der Sphinktermuskulatur führen. Die Folge ist eine chronisch-habituelle Obstipation (Verstopfung). Durch das dann notwendige starke Pressen entstehen Hämorrhoiden und Analprolaps.

 

Die Rektozele

 

Als Rektozele wird die Senkung der hinteren Vaginalwand unter Einbeziehung des Rektums definiert (Rabe, 1990). Die Frauen beschreiben im Stehen das Gefühl eines Fremdkörpers in der Vagina. Palpatorisch lässt sich der Befund einfach durch eine rektale Untersuchung oder/und Ultraschalluntersuchungen verifizieren. Als klinische Beschwerden treten die Vorwölbung des Darmes in den Bereich der Vagina, Schmerzen, Obstipation und Darmentleerungsstörungen auf, weil sich die Kotsäule in der Rektozele sammelt und nicht abgeführt werden kann.

Um den Darm dennoch entleeren zu können, nehmen die Frauen dann die Finger zu Hilfe und drücken von vaginal oder von außen auf den Damm (vaginal splinting). Eine Alternative ist die Anpassung der Nahrung und die Aufnahme von Stuhlgang-regulierenden Mitteln wie Magnesium oder Dulcolax, um den Stuhl so weich wie möglich zu halten und damit die Defäkation zu erleichtern.

 

Ätiologie und Inzidenz

 

 

 

Abbildung 5: Auszug aus dem Deutschen Beckenboden-Fragebogen

Abbildung: Baeßler et al., 2004

Der Gynäkologe Thomas Rabe beschrieb 1990, dass Lageveränderungen der Genitalorgane etwa 10 % aller klinisch zu behandelnden gynäkologischen Fälle ausmachen. Eine Senkung der Beckenorgane ist bei Frauen, die geboren haben, häufiger als bei Nulliparae, obwohl nur wenige mit ihren Symptomen um Hilfe ansuchen. Über die Inzidenz des Prolaps des hinteren Kompartiments oder der Rektozele wird kaum berichtet (Guzman-Negron et al., 2019).

Eine retrospektive Studie mit 1.296 Patientinnen, also ausschließlich Frauen, die bereits mit Beschwerden eine urogynäkologische Sprechstunde aufsuchten, zeigte eine Häufigkeit von 48 % bei den untersuchten Frauen. Die Prävalenz einer Rektozele hing signifikant mit der Anzahl der vaginal geboren Kinder zusammen (Dietz et al., 2018). In einer früheren Studie im gleichen Zentrum wiesen 33 % der Patientinnen eine Rektozele auf (Rachaneni et al, 2017). Wie viele Frauen insgesamt mit einer Rektozele leben, bleibt unbekannt.

 

Frühzeitige Diagnostik

 

Da ein großer Teil der Läsionen durch eine vaginale Geburt entsteht, ist es die Aufgabe der Hebamme, diese im Rahmen der Inspektion auf Geburtsverletzungen zu detektieren. Bis Ende 2021 gehörte der Defekt in der rektovaginalen Faszie laut ICD 10 Codes der WHO zum Dammriss III. Grades und wurde somit im OP ärztlich mitversorgt.

Mit der rektalen Untersuchung jeder Frau, die vaginal geboren hat, ist die Untersuchung der Faszie leicht. Der Zeigefinger der dominanten Hand wird bis zum Ende in den Darm eingeführt und die Fingerspitze nach ventral in Richtung Vagina angehoben und nach distal in Richtung Anus geführt. So lässt sich nicht nur der obere Wundwinkel des Vaginalrisses genau sehen, sondern auch ein Defekt in der Faszie leicht ertasten.

Die Fingerspitze fällt, nachdem sie über eine »glatte Fläche im Darm« gezogen wurde, in ein Loch und ist in der Vagina als deutliche Wölbung zu sehen. Der Handschuh ist nicht sichtbar, weil die rektale Mukosa ja intakt ist und man somit auf die Außenseite des Darmes schaut.

Die rektale Palpation ist gemäß der deutschen Leitlinie DR III & IV ab einem Dammriss II. Grades verpflichtend (AWMF 2020). Fasziendefekte und die seltenen Knopfloch-Rupturen, bei denen der Sphinkterkomplex intakt bleibt, aber der Darm reißt, können nur so diagnostiziert werden. Bei letzteren wäre dann der Handschuh in der Vagina sichtbar.

Mit zu den ICD-11-Codes gehört seit Januar 2022 die Läsion der Faszie zur Geburtsverletzung II. Grades. Das bedeutet, dass diese post partum von der Hebamme gefunden werden muss und auch selbst genäht werden kann. Voraussetzung ist die Befähigung zum Nähen.

Wird der Defekt in der Faszie im Rahmen der Geburtsverletzungen diagnostiziert, kann er sogleich mit der Naht derselben mitversorgt werden. Die Faszie wird fortlaufend oder mit Einzelknopfnähten vernäht, dazu wird ein normal resorbierbarer Faden empfohlen. Ob 2-0 oder 3-0, wird noch diskutiert. Sobald die Faszie vernäht ist, wird die nach ventral aufliegende Vagina vernäht. Die Heilungserfolge aus der klinischen Praxis sind gut. Studien dazu sind bisher nicht verfügbar, weil die Faszie zuvor immer nur im Kontext der Sphinkterverletzungen mitversorgt wurde und dabei nicht die einzelnen Organe in ihrer Heilung beobachtet wurden.

 

Aufklärung und Dokumentation

 

Deutliches Potenzial für Verbesserung birgt die Aufklärung der Frauen unmittelbar nach der Diagnostik, aber auch im Wochenbett. Die übliche Dokumentation auf dem kleinen Mutterpass-Aufkleber »DR II, Naht i. LA« ist unzureichend.

Eine Dokumentation könnte beispielsweise so aussehen:

  • Geburt aus 1. HHL
  • Dammriss II°a, M. transversus perinei intakt
  • Rektale Untersuchung: rektovaginale Faszie intakt, ca. 4 cm hoher Vaginalriss, ext. Sphinkter intakt.
  • Naht: Vagina fortlaufend Vicryl 2-0, M. bulbocavernosus 2 Einzelknopfnähte Vicryl 2-0, Haut fortlaufend subkutan Vicryl rapide 3-0.

Oder eben:

  • Geburt aus 2. HHL
  • Dammriss II° c
  • Rektale Untersuchung: rektovaginale Faszie Längsdefekt über 2–3 cm, ext. Sphinkter intakt
  • Naht: rektovaginale Faszie fortlaufend Vicryl 3-0, Vagina fortlaufend Vicryl 2-0, M. bulbocavernosus und transversus perinei fortlaufend Vicryl 2-0, Haut fortlaufend subkutan Vicryl rapide 2-0.

Frauen wünschen sich leicht verständliche, aber präzise Information darüber, welches Ausmaß ihre Verletzung hat und mit welchen Beschwerden oder Einschränkungen sie rechnen müssen.

 

Im Wochenbett oder später

 

Hebammen haben die Möglichkeit, junge Mütter bis zum Ende der Stillzeit zu betreuen. Und es gibt die Chance, in einem Abschlussgespräch gezielt auf Fragen zum Beckenboden einzugehen. Dabei kann der deutsche Beckenbodenfragebogen hilfreich sein (Baeßler et al., 2004). Damit wird gezielt nach diesen Beschwerden gefragt. Er steht im Internet frei zur Verfügung und stellt die »richtigen« Fragen (siehe Link). Die Frauen können ihn zu Hause selbst ausfüllen und ihr Wohlbefinden reflektieren. Sie können ihn zum Besuch ins Beckenbodenzentrum mitnehmen und haben es dann leichter, bestimmte Beschwerden anzusprechen.

Wird außerhalb der unmittelbar postpartalen Inspektion auf eine Läsion der rektovaginalen Faszie untersucht, kann die digitale Untersuchung auch durch einen translabialen Ultraschallbefund ergänzt werden. Beide Untersuchungsmethoden scheinen übereinstimmende Ergebnisse zu finden (Rachaneni et al., 2017).

Für die Planung der Therapie werden je nach Beschwerdebild weitere urogynäkologische Methoden herangezogen, die eine Überweisung der Patientin an eine Spezialistin erfordern. Niedergelassene Frauenärzt:innen sind nur selten Spezialist:innen für den Beckenboden und nehmen die Beschwerden der Frauen häufig nicht ernst genug. Es ist empfehlenswert, als Hebamme einen konkreten Verdacht auf einen Überweisungsschein oder einen Begleitschein zu schreiben und um eine Abklärung zu bitten, zum Beispiel: »Fremdkörpergefühl in der Vagina, anhaltende Obstipation, fraglich palpatorischer Defekt in der rektovaginalen Faszie. Bitte um Abklärung.« Eine Kopie gehört in die eigene Akte.

Jede Hebamme sollte Kontaktadressen von Beckenboden-Physiotherapeut:innen und Urogynäkolog:innen beziehungsweise eines Beckenbodenzentrums in der Tasche haben. Die Wartezeiten für urogynäkologische Untersuchungen sind lang, aber da es sich nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, kann das abgewartet werden.

Fazit

»Vaginal Splinting« ist eine schnelle Lösung, aber keine dauerhaft wirksame Behandlung für chronische Verstopfung und eine Rektozele. Die Ursachen können in einer Geburtsverletzung liegen, die sofort post partum genäht werden kann.

Mit den ICD-11 Codes der WHO (2022) müssen Geburtshelfer:innen diesen Defekt post partum mittels der rektalen Untersuchung diagnostizieren, dokumentieren und möglichst zeitnah versorgen. Aber auch später im Leben einer Frau ist Hilfe durch urogynäkologische Therapien möglich. Hebammen können Brücken zur urogynäkologischen Weiterbetreuung betroffener Frauen bauen.

Rubrik: Geburt | DHZ 12/2023

Literatur

Ambrosia. (2021) tiktok 12.2.2021. https://cafemom.com/news/tiktok-constipation-hack-vaginal-splinting

Apostolis, C., Wallace, K., Sasson, P., Hacker, M. R., Elkadry, E., & Rosenblatt, P. L. (2012). Assessment of women with defecatory dysfunction and manual splinting using dynamic pelvic floor magnetic resonance imaging. Female pelvic medicine & reconstructive surgery, 18(1), 18–24. https://doi.org/ 10.1097/SPV.0b013e31823bdb98

AWMF. (2020). S2k-Leitlinie Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt. Nr. 015-079 2020. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-079
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