Lust und Leid der Väter

Ein Sexualpädagoge und ehemaliger Redakteur für den Blog »Väterzeit« hat sich unter Vätern umgehört: Wie erleben sie die Sexualität mit ihrer Partnerin nach der Geburt ihres Kindes? Bei Problemen hilft nur eins: darüber reden! Nils Hilliges
  • Die Phase sexueller Enthaltsamkeit ist für die meisten Männer eine Durststrecke. Beim ersten Kind trifft sie viele unerwartet.

Die Frage »Wann hast du nach der Geburt deines Kindes zum ersten Mal wieder mit deiner Frau Liebe gemacht?«, wird eigentlich nur im engsten Freundeskreis gestellt und beantwortet. Die meisten Paare brauchen Wochen und Monate, um ihre Sexualität in der veränderten Situation neu kennenzulernen und sich sexuell wieder anzunähern.

Es ist ganz natürlich, dass es nach der Geburt wichtigere Themen gibt als Sexualität, und Frauen sich zunächst von der Geburt erholen müssen, bevor sie wieder Interesse daran haben. Bei den Männern, die ich dazu gefragt habe, dauerte die sexuelle Pause zwischen ihnen und ihren Partnerinnen mindestens einige Monate. Manche hatten ein Jahr und länger keinen Sex. Gespräche zu diesem Thema habe ich sowohl im Privaten, als auch im Rahmen meiner langjährigen Tätigkeit bei pro familia Göttingen und beim Blog »Väterzeit.de« geführt [die Namen der interviewten Väter wurden für diesen Text aus Datenschutzgründen geändert].

Mann und Frau haben nach der Geburt mitunter sehr unterschiedliche Wünsche und Ansprüche für ihre Sexualität. Was bleibt, ist eine schlichte und heilsame Einsicht: Es ist ganz normal, dass Sex nach der Geburt erst einmal neu, ungewohnt, schwierig ist.

Frauen wünschen sich Körperkontakt und Zärtlichkeiten in der Schwangerschaft und Baby-Zeit. Haut spüren, streicheln, Rückenmassage. Schmusen, schmusen, schmusen: Das ist angesagt. Männern reicht das oft nicht.

Mann macht sich das Leben schwer mit Glaubenssätzen wie: »Wenn im Bett nix mehr läuft, steht die Trennung bald vor der Tür.« Besonders wichtig ist deshalb der Austausch zwischen Vätern. Es ist nicht so einfach, diese Themen anzusprechen. Doch vertrauliche Gespräche wirken befreiend und entlastend. Letztlich profitieren alle davon. Sensible Themen brauchten den geschützten Rahmen einer Verabredung zu zweit. Sie werden selten am Stammtisch oder beim Mannschaftssport besprochen.

Die Phase sexueller Enthaltsamkeit ist für die meisten Männer eine Durststrecke. Beim ersten Kind trifft sie viele Männer unerwartet. »Niemals hätte ich geglaubt, dass wir so lang brauchen würden, bis wir sexuell wieder zusammenfinden«, berichtet Peter, dessen Tochter mittlerweile zwei Jahre alt ist. »In unserer Sexualität war nach der Geburt nichts wie vorher.«

Wenn die Sexualität als Kitt zwischen Mann und Frau nicht länger wie gewohnt funktioniert, ist der Austausch mit Worten umso wichtiger. Einige Partnerschaften zerbrechen daran, dass die PartnerInnen in dieser Zeit schlecht oder überhaupt nicht über ihre Sexualität kommunizieren konnten.

»Jahrelang hatten wir ganz regelmäßig leidenschaftlichen Sex. Plötzlich war alles anders. Acht Monate lang haben wir überhaupt nicht mehr miteinander geschlafen«, so erinnert sich Wolfgang an die Geburt seines ersten Kindes. »Beim zweiten Kind ging es schneller und ich war darauf vorbereitet.«

 

Frauen brauchen meist mehr Zeit

 

Männer verlieren mit der Geburt nicht unbedingt die Lust auf Sex. Doch Frauen brauchen häufig viel mehr Zeit, bis sie nach Schwangerschaft und Geburt wieder Lust auf Sex mit dem Partner haben. Warum eigentlich?

»Meine Frau erklärte mir einmal, dass sie sich so intensiv in Symbiose mit unserem Baby fühlte, dass sie schlichtweg kein Bedürfnis nach sexueller Vereinigung mit mir hatte. Der Körperkontakt mit unserem Baby und das Stillen waren für sie sehr befriedigend. Das änderte sich erst, seit sie unser Baby nicht mehr voll stillt«, erzählt Jan mit seiner einjährigen Tochter auf dem Arm.

Und Wolfgang kennt dieses Phänomen sogar aus eigener Erfahrung: »Nach der Geburt unseres zweiten Kindes war meine Partnerin für zwei Monate mit einer Schwangerschaftsdepression in einer Klinik. Ich habe in dieser Zeit allein für unser Baby und auch für unsere Dreijährige gesorgt. Das war superanstrengend und gleichzeitig war der intensive Kontakt mit den Kindern auch sehr schön. Bei all der Pflege und dem innigen Körperkontakt waren Gedanken an Sex bei mir über Monate kein Thema.«

Auch die Stillzeit spielt eine Rolle: Wenn die Mutter lange voll stillt, schränkt das in der Regel die eigenständige Bewegungsfreiheit des Vaters mit seinem Kind ein. Gleichzeitig ist die Mutter, solange sie dem Kind die Brust gibt, sehr nah mit dem Säugling. Und in diesem engen symbiotischen Kontakt ist die Lust auf Sex oft weniger groß. Es lohnt sich, die partnerschaftlichen Bedürfnisse in der Stillzeit mit der gebotenen Achtsamkeit gemeinsam anzuschauen. Wenn es in Liebe und Achtung für alle Beteiligten geschieht, kann durchaus auch die Dauer der Stillzeit verhandelbar sein.

 

Zärtlich zueinander finden

 

Die sogenannten Geburtsverletzungen der Frau sind nach wenigen Wochen verheilt. Rein anatomisch ist der Weg frei zum Sex. Wenn es denn so einfach wäre. Die Lebensumstände haben sich grundlegend geändert. Das Kind ist immer mit dabei und sieht zu. Schlafmangel und 24 Stunden Säuglingspflege sind jetzt Alltag.

Die Erinnerungen an den Geburtsvorgang können den Vater noch lange danach in seiner Lust hemmen. Oft ist es jedoch die Gewohnheit, die einer wiedererwachenden Sexualität im Wege steht. So hat es Wolfgang erlebt: »Zuerst fiel es mir schwer, mich mit der Pause unserer aktiven Sexualität zufrieden zu geben. Als sie dann wieder Lust bekam, konnte ich kaum auf sie eingehen. Zu sehr hatte ich mich daran gewöhnt, mein sexuelles Verlangen in dieser besonderen Zeit nicht mit ihr zu teilen.«

Peter erzählt: »Die ganzen Monate hatte ich Lust auf meine Frau. Als sie schließlich wieder zu mir kam, ging es einfach nicht.« Das ist nicht selten. Ob es im Einzelfall dann Erektionsprobleme sind, ob der Orgasmus ausbleibt, ob es einfach nicht so schön ist wie früher oder ob dem Mann plötzlich die Lust vergeht: Nach monatelangem sexuellem Ausnahmezustand ist nichts wie früher.

Denn monatelang haben viele Männer gelernt, dass Schmusen besser ankommt als sexuelle Annäherung. Und dann sollen sie wieder sexuell lustvoll funktionieren? »Nachdem sie mich so oft zurückgewiesen hatte, konnte ich mir kaum vorstellen, mich meiner Frau mit meiner Lust wieder zu zeigen«, erinnert sich Jan.

Wolfgang bringt es auf den Punkt: »Ich hatte mich so lange zurückgehalten, meine Frau mit meiner Lust zu überfallen. Nun war sie an der Reihe zu warten und mich zu unterstützen, bis ich wieder konnte.«

 

Das erste Mal danach

 

»Als unsere Tochter ein Jahr alt wurde, hatte ich mit meiner Frau neu gelernt, wie wir uns gegenseitig sexuell befriedigen können. Mit dem Mund mag ich sie bis heute nicht wieder verwöhnen«, offenbart Jan. »Irgendwie hindern mich meine Erinnerungen an die Geburt daran.« Auch Männer brauchen Zeit, um das Geburtserlebnis zu verarbeiten. Es hilft dabei, mit der Partnerin und mit anderen Männern über das Erlebte zu sprechen.

Die Scheide, das heilige weibliche Geschlechtsorgan, soll in der väterlichen Vorstellung schließlich nicht zum »großen schwarzen Loch« werden. Berührungsängste sind verständlich. Neben anderen körperlichen Veränderungen während und nach der Schwangerschaft (zum Beispiel Wochenfluss) verändert sich auch die Vulva mit der Geburt und fühlt sich anders an.

Die sexuellen Vorlieben der Partnerin sind vielleicht auf einmal ganz anders. Das kommt vor. »Als wir dann endlich wieder beide Lust hatten, war manches neu und ungewohnt. Meine Partnerin wollte, dass ich sie anders anfasse, als sie es früher mochte«, berichtet Wolfgang. »Uns half es damals, darüber zu sprechen.«

Viele Paare erleben ihre erste Vereinigung nach der Geburt, als würden sie es zum ersten Mal zusammen tun. Das klingt romantisch. Doch Unsicherheit und Ängste sind mit im Gepäck. »Wir hatten gelernt uns zu genießen, uns gegenseitig Lust zu machen und uns zu befriedigen. Doch dann war alles anders. Nichts funktionierte wie früher«, erzählt Peter. Darauf sollten Männer und Frauen vorbereitet sein: Das erste Mal ist meistens ein Reinfall! Das zu wissen, entschärft die Situation.

»Es hatte auch etwas Verbindendes, wie ahnungslos und unsicher wir beide in dieser Situation waren. Wir konnten darüber lachen und gemeinsam erforschen, was uns Spaß macht«, erinnert sich Jan. Das klingt gut: Gemeinsam forschen und erkunden und auf neuen Wegen wieder zusammenfinden. Nicht selten berichten Paare, wie sie sich dabei noch besser kennengelernt haben und sich seit dem noch mehr genießen können.

 

Was Väter von Hebammen brauchen

 

Männer wollen in dem besonderen Lebensabschnitt der Schwangerschaft ernstgenommen werden. Partnerschaft, Sexualität, Lebensumstände und auch der eigene Körper und die eigenen Gelüste und Stimmungen verändern sich bei Vätern und Müttern. Männer und Frauen sind zusammen schwanger und eben auch jeder/jede für sich. Genau so möchten werdende Väter auch angesprochen werden.

Was werdenden Vätern gut tut sind:

  • Informationen und Gesprächsangebote zu den vielfältigen Veränderungen in Sexualität und Partnerschaft
  • Mut zur Veränderung in vielen Lebensbereichen – Ansprechen von Sorgen und Ängsten!
  • Ermutigung zu vertraulichen Gesprächen unter Männern und Vätern
  • Die Akzeptanz, dass es Stimmungsschwankungen und körperliche Veränderungen auch bei schwangeren Vätern geben kann und darf.

Rubrik: Wochenbett | DHZ 2/2021

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