Geburtsbericht

Allein – und doch nicht allein

Die Vorstellung, wie die Geburt ihrer Tochter verlaufen sollte, war in ihrem Kopf tief verankert. Und doch war am Ende alles anders – und noch viel besser. Die Autorin erzählt von ihrem körperlichen Erleben der Geburt. Es gibt auch widerstreitende Momente, in denen sie versucht, wieder zu sich zu finden. Ihre Freundinnen sind in ihrer Nähe. Die Geburt war mit Hebamme Mila geplant, doch sie kommt ein wenig zu spät, als die Plazenta schon fast geboren ist. Nadine Goldau
  • Nadine Goldau kurz nach der Geburt ihrer Tochter – zwei Freundinnen sind an ihrer Seite. Ein inniger Glücksmoment.

  • Nadine steht das erste Mal nach der Geburt wieder auf ihren Beinen – Annua spürt zum ersten Mal die Schwerkraft außerhalb des Wassers.

  • Ist die Plazenta vollständig? Die Hebamme Mila Korn macht Abdrücke vom Mutterkuchen im Kreis von Freundinnen und Kindern.

  • Nadine Goldau hat die Geburt als Kraftressource für ihr Leben wahrgenommen – das Bild entstand vier Monate nach der Geburt von Annua.

Die Geburt meiner Tochter hätte ich mir schöner nicht wünschen können. Und – so wie alles mit ihr – ich hätte es niemals so gut planen können, wie es letztlich geworden ist.

Vorgestellt hatte ich mir eine Geburt zu Hause in meiner Wohnung in meiner Hausgemeinschaft im Geburtspool, den ich mir von einer Freundin ausgeliehen hatte, begleitet von meinem Frauenkreis und deren Kindern sowie meiner Hebamme, ihrer Praktikantin und einer zweiten Hebamme. Schon im Vorfeld fragte ich mich, ob mir das nicht etwas zu viel werden würde. So viele Menschen in meinem Wohnzimmer? Es gab eine Stimme in mir, die am liebsten ganz alleine irgendwo in der Natur geboren hätte.

Für mich begann die Geburt eine Woche vor dem tatsächlichen Geburtstag meiner Tochter. Ich hatte morgens ein Ziehen im Unterleib, das sich anders anfühlte als bisher, und das Gefühl: »Jetzt geht es los.« Als Erstgebärende wusste ich auch nicht wirklich, was ich zu erwarten hatte. So konnte ich schon mal üben, wie es mit meinen Freundinnen und meiner Hebamme mit der Kommunikation klappte – und wir konnten noch ein paar Unklarheiten und Wünsche klären.

An jenem Sonntag ab mittags allerdings war alles wieder »normal« und den Rest der Woche bis Freitag passierte »nichts«. Freitags gab es vereinzelte Kontraktionen und ich merkte, dass ich langsam ungeduldig wurde.

Samstagmorgen trat ich in ein Zwiegespräch mit meinem Kind: »Ich trage jetzt meinen Teil dazu bei, dass wir dich gebären, indem ich mich öffne. Und du trägst deinen Teil dazu bei, indem du dich auf den Weg nach unten machst und ein paar Signale losschickst.«

 

Öffnung – erst emotional und dann körperlich

 

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Öffnen zunächst einmal emotional stattfinden würde. Nachdem die Situation geklärt war, ging es dann »so richtig los«.

Am Sonntagmorgen, kurz nach Mitternacht, hatte ich die erste »wirkliche« Geburtswehe. Zunächst kamen die Wehen in Abständen von etwa 30 Minuten. Bis 6 Uhr morgens konnte ich gut mit mir und meinem Baby »alleine« sein, in die Wehen hineinatmen, und dazwischen schlafen. Ich hatte mir ein paar Kerzen angezündet und fühlte mich sehr im Frieden und in freudiger Erwartung.

Als es langsam hell wurde, schrieb ich meiner Hebamme und den Freundinnen, die bei der Geburt dabei sein wollten, wie der Wehenverlauf seit Mitternacht gewesen war. Die Wehen kamen zu diesem Zeitpunkt etwa alle 15 Minuten, mein Muttermund war fingerkuppenweit geöffnet.

Eine der Freundinnen aus meiner Hausgemeinschaft kam mit ihrem Sohn als erste dazu. Sie machten mir Frühstück und ich rief meine Hebamme Mila an. Angesichts der Situation verabredeten wir, dass ich mich in ein bis zwei Stunden nochmal melden würde.

Die Wehen – wir hatten im Hypnobirthingkurs gesagt, dass man sie auch Wellen nennen könnte – aber das finde ich jetzt, nach der Geburt, nicht mehr angemessen: Sie tun nämlich einfach wirklich auch weh! – wurden in den nächsten ein bis zwei Stunden dichter und länger. Bis etwa 9 Uhr waren sie allerdings noch nicht regelmäßig.

Beim nächsten Telefonat saß ich auf der Toilette und mochte in den Wehen schon nicht mehr liegen, stehen oder sitzen, sondern nur noch auf der Toilette kauern oder im Vierfüßlerstand sein. Mila riet mir, ein Bad zu nehmen, um die Wehentätigkeit regelmäßiger werden zu lassen. »Kann ich schon in den Geburtspool, oder erstmal in die Badewanne?« Angesichts dessen, dass ich erstgebärend war, befand sie, dass ich zunächst in die Badewanne steigen sollte. Die nächste Wanne stand aber drei Stockwerke höher, was während des Telefonierens noch machbar erschien, danach aber schon nicht mehr. Allein die Information: »Deine Wehen sollten regelmäßig werden, sonst ermüden sie dich, ohne viel zu bewirken«, schien eine Auswirkung auf meine Wehen zu haben: Sie kamen in dichteren Abständen und wurden regelmäßig.

 

Wehen und Tönen

 

Mittlerweile waren die anderen vier Freundinnen meines Frauenkreises eingetroffen, sowie drei weitere Kinder. Sie wechselten sich ab, mich zu unterstützen. Der Geburtspool wurde gefüllt und darauf geachtet, immer warmes Wasser nachzufüllen. Es gab immer ein oder zwei Hände, die ich greifen und kräftig drücken konnte, wenn ich in einer Wehe war.

Unser zehnmonatiger Supergeburtsbegleiter unterstütze mich im Tönen – er hielt mit mir die jeweiligen Ahs, Ohs, Uhs und motivierte mich, diese mit weniger Druck zu tönen – seine Töne kamen mit ganz viel Leichtigkeit. Meine Töne waren zwischenzeitlich eher ein Heulen, Wimmern, Schimpfen und Fluchen. Aber ich fand auch immer wieder in tiefe Unterleibstöne.

Eine Hand lag immer auf meinem Rücken, schöpfte warmes Wasser, strich oder streichelte oder wärmte mich mit einem nassen, warmen Handtuch. Ich hing über dem Rand des Geburtspools und konzentrierte mich aufs Atmen und Tönen. Gefühlt kamen die Wehen ohne Pause, als ich das letzte Mal bei meiner Hebamme Mila anrief: Irgendetwas fühlte sich anders an. »Es ist was mit ihrem Kopf, irgendwas stimmt nicht!«, war die Aussage gewesen, die meine Freundinnen dazu veranlasst hatte, mich aufzufordern, Mila nochmal anzurufen. Ich hatte aber nicht daran gedacht, nochmals den Muttermund zu tasten. Daher konnte ich mit dieser Information nicht aufwarten. Also wurde ich von meiner Hebamme angeleitet, einfach weiter die Wehenatmung der Eröffnungsphase zu machen. Und in mir bäumte sich etwas auf. Ich wollte nicht mehr telefonieren und ich wollte nicht mehr in die Wehen atmen. Irgendwas hatte sich verändert und mir reichte es langsam.

Nach der fünften begleiteten Atmung konnte ich endlich den Hörer auflegen. Ich sollte in den Pausen meinen Muttermund tasten – Pausen? Gefühlt gab es keine Pausen mehr. Aber den Muttermund konnte ich trotzdem tasten: Der war vollständig geöffnet. Ich konnte nämlich die Haut der Fruchtblase tasten und wie sich der tastbare Teil der Fruchtblase mit jeder Kontraktion über ihrem Kopf mit Wasser füllte und wieder kleiner wurde. Meine linke Hand blieb von dem Moment in ständigem Kontakt mit dem Kopf meiner Tochter. Und in mir legte sich ein Schalter um: »Der Muttermund ist vollständig offen? Dann darf ich jetzt pressen!«

 

Die Nabelschnur?

 

Nach einer Weile öffnete sich die Fruchtblase an meinen Fingern. Unter mir lag die Kopfhaut meiner Tochter, aufgeworfen, da sich die Schädelknochen schon übereinander geschoben hatten. Weich und nass und für ein paar schreckliche Momente war ich unsicher, ob ich nicht die Nabelschnur tastete. Ich fuhr mit dem Zeigefinger einmal um den Rand des Muttermundes. Ich konnte zwischen Kopf und Muttermund tasten – einmal herum – keine Nabelschnur. Es war nur die aufgeworfene Kopfhaut, die ich getastet hatte – und, wie sich später herausstellte, ihre Haare.

»Ich kann die Fruchtblase tasten!«, hatte ich meinen Freundinnen mitgeteilt. Und auch die Sorge um die Nabelschnur. Ich wurde begeistert unterstützt und besonnen beruhigt. »Es ist alles gut.«

Die Presswehen taten nun, da ich pressen durfte und meine Hand den Kopf meiner Tochter berührte, gar nicht weh. Ich erinnere mich rückblickend gar nicht an die Wehen. Nur an das Gefühl an meinen Händen und dass in meinem Inneren ein visuelles Bild entstand, aus dem, was meine Fingerspitzen ertasteten.

Etwa eine halbe Stunde brauchte es, bis der Kopf nur noch den Eingang meiner Yoni passieren musste. Der Übertritt über die Yonihaut war dann nochmal eine Herausforderung. Die Bilder aus Film und Fernsehen, von Frauen, die in diesem entscheidenden Moment pressen, bewirkten in mir, dass ich nicht auf meinen Instinkt hören konnte – die Bilder waren zu stark. Etwas in mir sagte sehr deutlich: »Wenn ich jetzt presse, zerreißt es mich!« Tatsächlich so deutlich, dass ich es laut aussprach. Aber ich dachte, ich hätte keine Wahl. Daran, auf Mila zu warten, die laut meiner Freundin auf dem Weg war – meine Freundinnen hatten sie, als die Fruchtblase geplatzt war, nochmals angerufen und ihr gesagt, sie solle doch bitte kommen – dachte ich nicht eine Sekunde.

So stand ich gefühlt da. In mir die widerstreitende Gefühle: »Ich will sie gebären« und »Es wird mich zerreißen«. Ich entschied mich nach drei Anläufen, es drauf ankommen zu lassen – dann würde es mich eben zerreißen. Wichtig war, dass es meiner Tochter gut gehe.

 

Geburt im Wasser

 

»Der Kopf ist da!«, rief ich. Und es kam ein »Was, jetzt schon?!«

»Und jetzt für die Schultern, muss das Kind da nicht irgendwie um 90 Grad gedreht werden?«, fragte mein Ärztinnengehirn. »Aber in welche Richtung?« »Egal« entschied ich. Und mit der nächsten Wehe drehte sich mein Baby irgendwie selbst und war »da«.

Ich ließ mich zurück an die andere Wand des Pools sinken. Das erste Mal seit Stunden wieder in Rückenlage. Meine Hände um meine Tochter gelegt, hob ich sie aus dem Wasser auf meine Brust. Zwei große Augen schauten mir direkt ins Herz. Und sie holte tief Luft, hustete, spuckte, schrie kurz und – atmete.

Während wir auf die Geburt ihrer Plazenta warteten – die wir bis drei Tage nach ihrer Geburt angenabelt ließen – lag sie auf meiner Brust, im Pool. Dann kamen die drei großen Kinder meiner Freundinnen rein. Sie waren in der letzten Phase der Geburt spielen gegangen. Ihre Augen leuchteten, als wäre Weihnachten: Sie ist da!

Eingehüllt von Kuchenduft und im reinsten Glücksgefühl erinnere ich mich nicht mehr an viele weitere Einzelheiten. »Du bist gar nicht gerissen, oder?«, fragte eine meiner Freundinnen. »Hm, doch, und ich glaube sogar ziemlich doll«, war meine Antwort. Aber ich spürte nicht wirklich einen Schmerz.

 

In Verbindung

 

Die Plazenta war zur Hälfte da, als Mila und ihre Praktikantin Eve zur Tür hereinkamen. »Die Plazenta ist noch nicht ganz da«, sagte ich zur Begrüßung. »Immerhin eine, die auf mich gewartet hat«, war Milas Antwort.

Die Plazenta war dann mit der nächsten Kontraktion und ein bisschen Zug geboren. Mila untersuchte sie unter dem neugierigen Blick der Kinder auf Vollständigkeit. Wir machten mehrere Abdrücke auf Leinwand und Papier zur Erinnerung.

Ich saß mit meiner Tochter draußen an den Pool gelehnt dabei. Sie und ihre Plazenta waren durch die Nabelschnur weiter verbunden – und ich fühlte mich ebenfalls noch drei Tage, wie durch ein unsichtbares Band mit ihnen beiden körperlich verbunden.

Rubrik: Ausgabe 03/2024

Vom: 22.02.2024