Familienhebammen und die Schweigepflicht

Das Kindeswohl geht vor!

Familienhebammen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen der Schweigepflicht, die das Vertrauensverhältnis zu den betreuten Familien schützen soll, und dem Kindeswohl. Im Zweifel können sie sich jedoch auf die gesetzlich vorgeschriebenen Abläufe sowie auf ihre eigene Erfahrung verlassen. Die Zeichen einer potenziellen Kindeswohlgefährdung frühzeitig zu erkennen, ist der Schlüssel zur gelungenen Prävention. Dr. Ann-Kathrin Hirschmüller

Familienhebammen (FamHeb) leisten einen wichtigen Beitrag bei der Begleitung von vulnerablen Familien. Im Rahmen der aufsuchenden Familienhebammentätigkeit leisten sie wertvolle Unterstützung bei der Entwicklung belastbarer Beziehungsstrukturen und sind zugleich ein erster Anknüpfungspunkt zur Inanspruchnahme von Angeboten des Gesundheits- und Sozialsystems für die betreuten Familien.

Nicht immer verläuft aber eine Betreuung so, wie es sich alle Beteiligten im Idealfall wünschen. Dann stellt sich die Frage, wann und was an Informationen die FamHeb weitergeben darf und wo sie an ihre (Schweigepflichts-)Grenze stößt.

 

Rechtliche Herausforderungen

 

Familienhebammen sind leider nicht selten mit Fällen konfrontiert, in denen ein Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das daran anknüpfende Prozedere stellt hohe Anforderungen. Ob es das eigene Tätigwerden bei begründetem Verdacht ist, Aussagen vor dem Familiengericht sind oder der Umgang mit der Familien bei drohender Inobhutnahme des Kindes: Überall spielen gesetzliche Vorgaben eine wichtige Rolle.

Aufgrund der besonderen Garantenstellung beim Einsatz im Rahmen des achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) werden an FamHeb erhöhte Anforderungen gestellt, wenn es um den Verdacht der Kindeswohlgefährdung geht. Daneben gelten aber weiterhin die allgemeinen straf- und berufsrechtlichen Vorgaben, vor allem die berufliche Schweigepflicht. Als Angestellte des Jugendamtes (JA) oder auch als Honorarkraft muss die FamHeb stets einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Vorgaben und Pflichten herstellen.

 

Verdacht auf Kindeswohl­gefährdung

 

Bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung geben § 8 a SGB VIII für Angestellte bei Trägern der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) und § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) für Honorarkräfte – und auch für Hebammen ohne Qualifikation zur FamHeb – einen genauen Ablauf vor, wie beim Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorzugehen ist. Jede Fachkraft hat hierbei die Möglichkeit zu beziehungsweise den Anspruch auf eine Beratung mit geschulten Fachkräften.

Sollte der Verdacht nach diesen Beratungen angenommen werden oder sogar eine akute Gefahr für das Kind bestehen, erlauben diese Paragrafen einen Bruch der Schweigepflicht.

 

Besonderheit der Honorarkräfte

 

Immer wieder unterschreiben auch Honorarkräfte Vereinbarungen zum Vorgehen nach § 8 a SGB VIII. Sofern die FamHeb ihre Schweigepflicht aus gutem Grund brechen möchte, sollte sie sich aber nicht auf diese Vereinbarung verlassen. Inwiefern eine interne Vereinbarung zwischen Trägern der KJH und einer freiberuflich tätigen FamHeb die Schweigepflicht außer Kraft setzen kann, ist noch nicht verbindlich entschieden, rechtlich aber höchst zweifelhaft. Dagegen ist das Vorgehen nach § 4 KKG definitiv sicher. Der einzig entscheidende Unterschied im Ablauf besteht darin, dass sich die FamHeb nicht im Team austauscht, sondern eine geschulte Kinderschutzfachkraft kontaktiert und den Fall anonymisiert bespricht.

 

Wie darf die Schweigepflicht gebrochen werden?

 

Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe wird bei Beginn der Betreuung generell eine Schweigepflichtentbindungserklärung eingeholt. In der Regel hat diese vor Gericht auch Bestand und gibt daher eine rechtliche Erlaubnis, über Vorfälle zu sprechen. Wichtig ist selbstverständlich, dass die Erklärung konkret genug ist. Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) stellt auf seiner Homepage ein Formular zur Nutzung zur Verfügung (siehe Link). Beim Jugendamt angestellte Familienhebammen können sich unproblematisch am üblichen Verfahren nach § 8 a SGB VIII beteiligen.

Sofern einer freiberuflich tätigen FamHeb beispielsweise als Honorarkraft gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung auffallen, darf sie die berufliche Schweigepflicht brechen, wenn sie sich an dem Stufenverfahren des § 4 KKG orientiert. In diesen Fällen ist die FamHeb nach entsprechender Beratung durch die Kinderschutzfachkraft rechtlich auf der sicheren Seite.

 

Aussagen beim Jugendamt

 

Oftmals erreichen uns Anfragen, in denen die Eltern die betreuende FamHeb bitten, gegenüber dem Jugendamt zu bestätigen, dass der Umgang mit dem Kind stets angemessen war. Wenn die FamHeb diesem Anliegen nachkommen möchte, sollte sie sich hierfür eine Schweigepflichtentbindungserklärung unterschreiben lassen, sofern sie noch keine vorliegen hat.

Bei ihrer Darstellung sollte sie sich an die eigenen Beobachtungen halten und Wertungen möglichst vermeiden. Die abschließende Entscheidung über die elterliche Sorge obliegt eben nicht der (Familien-)Hebamme. Sie sollte daher nur bei ihren Beobachtungen bleiben und Aussagen zur Fähigkeit der Eltern unterlassen. Nur was sie wirklich gesehen und wahrgenommen hat, sollte sie auch mitteilen. Sie kann also beispielsweise Aussagen treffen wie: »Ich habe die Mutter stets liebevoll im Umgang mit dem Kind erlebt.« Oder: »Bei meinen Besuchen waren Wohnung und Kind stets gepflegt.« Sowie: »Während meiner Besuche schienen die Eltern stets interessiert an meinen Ratschlägen und gingen sehr fürsorglich mit dem Kind um.« Solche Aussagen sind möglich und können dann mit Beispielen näher dargelegt werden. FamHeb sind rechtlich also auf der sicheren Seite, wenn sie ihre Beobachtungen beschreiben und möglichst nicht Partei ergreifen.

Abschließende oder wertende Aussagen zur Erziehungsfähigkeit oder psychischen Gesundheit der Eltern sollten hingegen vermieden werden, wie: »Frau K. ist definitiv eine gute Mutter.« Oder: »Das Kind ist gut aufgehoben bei diesen Eltern.« Oder »Herr und Frau… sind psychisch total unauffällig.« Zum einen fallen derartige Beurteilungen nicht in die Kernkompetenz einer FamHeb, zum anderen sollten aus haftungsrechtlichen Gründen solche fachfremden Entscheidungen den zuständigen Fachkräften überlassen werden.

 

Verfahren beim Familiengericht

 

Das Familiengericht ist die einzige Institution, die entscheiden darf, ob aufgrund der Gefährdungslage für das betroffene Kind ein Eingriff in die Elternrechte erlaubt ist (§ 1666 BGB). Als Grundlage hierfür hat es die vorgetragenen Sachverhalte und Einschätzungen zur Situation des Kindes ebenso zu prüfen wie andere mögliche Erziehungshilfen zur Abwehr der Gefahr.

Ein Verfahren vor dem Familiengericht wird von Amts wegen eingeleitet, insbesondere aufgrund von Anregungen durch das Jugendamt. Das Familiengericht wird den Sachverhalt ermitteln und hierzu unter anderem die Beteiligten anhören und gegebenenfalls weitere Ermittlungen anstellen, wie etwa ein Sachverständigengutachten einholen. Die Verfahren finden hinter verschlossenen Türen statt und Zeug:innen sind sehr selten. FamHeb werden dementsprechend nicht oft direkt vor Gericht angehört. Angestellte benötigen vorher die Zustimmung ihres Arbeitgebers, die in der Regel aber erteilt wird. In vielen Fällen werden FamHeb bei der gerichtlich angeordneten Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens nach ihren Erfahrungen gefragt. Hier gilt das bereits Beschriebene gleichermaßen.

 

Drei Grundregeln

 

  1. Das Zeugnisverweigerungsrecht berechtigt die Hebamme zum Schweigen, sie ist aber hierzu nicht verpflichtet.
  2. Beste Lösung ist stets eine konkrete Schweigepflichtentbindungsklärung.
  3. Fundiertes Wissen um die Anzeichen von Kindswohlgefährdung bringt die meiste Sicherheit.

 

 

Und wenn es eilt?

 

Im akuten Gefährdungsfall braucht die FamHeb nicht groß darüber nachzudenken, nach welcher Norm sie vorgeht. Droht einem Kind konkret ein Schaden, hat das Wohl des Kindes natürlich immer Vorrang! Ob nach § 4 KKG, § 8a SGB VIII oder direkt nach § 34 StGB: Der FamHeb wird dieser Bruch vom Gesetzgeber erlaubt.

Sieht die FamHeb also mit eigenen Augen, dass die Eltern das Kind schütteln, oder berichten die Eltern, dass sie das Kind nicht ernähren, weil sie es für die Wiedergeburt eines Gottes halten (alles wahre Fälle ), darf die FamHeb nicht zögern, das Jugendamt zu verständigen. Für die Annahme einer solchen akuten Kindeswohlgefährdung reicht es allerdings noch nicht, dass ein unerzogener »Kampfhund« im Haushalt der Schwangeren lebt. Auch wenn deshalb natürlich eine Gefahr drohen kann, ist diese noch nicht akut. Hier wäre zunächst auf die Schwangere hinzuwirken und deutlich zu machen, welche Risiken bestehen können, und bei Zweifel der Rat einer Kinderschutzfachkraft einzuholen.

Für die Annahme einer akuten Kindeswohlgefährdung muss eine Schädigung also unmittelbar bevorstehen und nicht nur eine subjektiven Sorge um eine potenziellen Gefährdung bestehen.

 

Aussagen im Strafverfahren

 

Wenn ein Gericht Zeuginnen oder Zeugen zu einer Vernehmung lädt, sind diese laut Gesetz verpflichtet zu erscheinen und auszusagen. Im Fall einer Zeugenaussage vor einem Strafgericht hat die FamHeb im Rahmen ihrer beruflichen Schweigepflicht stets ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO. Sie darf selbst entscheiden, ob sie aufgrund ihrer beruflichen Schweigepflicht die Aussage verweigern oder Auskunft geben möchte. Über ihr Recht nach § 53 StPO muss die Zeugin aber nicht belehrt werden. Es gehört zum beruflichen Wissen und darf vorausgesetzt werden. FamHeb sollten ihr diesbezügliches Recht also unbedingt kennen. Sofern die Hebamme bereits Auskunft erteilt hat, wird ihr dieses Recht vor Gericht nicht mehr zustehen. Hier kann nur ein neues Verweigerungsrecht greifen, zum Beispiel weil die FamHeb befürchtet, sich selbst zu belasten (§ 55 StPO). Ebenso lebt die allgemeine Pflicht zur Zeugenaussage wieder auf, wenn die FamHeb von der Schweigepflicht entbunden ist.

Bei wirklich schwerwiegenden Delikten, wie Kindesmissbrauch oder sogar Tötung, ist das Interesse des geschädigten Kindes selbstredend höher zu bewerten als das Interesse der Eltern an der Vertraulichkeit ihrer Daten. In diesen Fällen ist der Bruch der Schweigepflicht regelmäßig erlaubt.

Im Zweifel lohnt es sich, Rat bei Rechtsanwält:innen zu holen oder sie sogar als Zeugenbeistand zu Gericht mitzunehmen.

 

Wie sollte die Aussage aussehen?

 

Grundsätzlich haben Zeug:innen vor Gericht die Wahrheit zu sagen – dies ist wohl allen bewusst. Auch das Zeugnisverweigerungsrecht erlaubt lediglich das Schweigen, es rechtfertigt keine Lügen!

Bei der Aussage vor Gericht sollte die FamHeb nur aussagen, was sie gesehen hat und woran sie sich erinnert. Wenn sie sich nicht mehr sicher ist, ob sie sich richtig erinnert oder ob sie alles gesagt hat, ist dies dem Richter oder der Richterin mitzuteilen.

Strafverhandlungen sind öffentlich (mit Ausnahme der Verfahren gegen oder mit Kindern oder Jugendlichen). Zeug:innen müssen grundsätzlich ihre Personalien angeben, Angeklagte haben ein Recht zu erfahren, was gegen sie ausgesagt wird. Sofern sich FamHeb in ihrer Zeugeneigenschaft bedroht fühlen, sollten sie auch dies mit einem Anwalt besprechen. Es gibt Maßnahmen, die das Gericht in solchen Fällen anordnen kann, so beispielsweise eine Aussage in Abwesenheit der Angeklagten oder die Geheimhaltung der Adresse.

 

Wenn die Kripo klingelt

 

Was gilt es zu beachten, wenn die Kripo klingelt? Kripo-Beamt:innen wissen selten um das Zeugnisverweigerungsrecht von Familienhebammen beziehungsweise Hebammen allgemein und können sich hier auch relativ beratungsresistent geben. Oftmals werden die Beamt:innen unfreundlich bis bedrohlich wahrgenommen. Es gibt aber auch Fälle, in denen sie in freundlichen, unverfänglichen Gesprächen oder im »Small Talk« versuchen, Informationen zum Sachverhalt zu erlangen.

FamHeb sollten sich hiervon nicht beirren lassen und auf ihr Aussageverweigerungsrecht bestehen. Sie haben das Recht, sich diesbezüglich anwaltlich beraten zu lassen und müssen vor den Beamten nichts sagen!

Im Falle einer Ladung zur Zeugenaussage durch die Polizei besteht eine Pflicht zum Erscheinen nur dann, wenn der polizeilichen Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt (§ 163 Absatz 3 Satz 1 Strafprozessordnung/StPO). Und auch dann gilt das Zeugnisverweigerungsrecht: Die FamHeb muss also hingehen, muss aber nichts zum Fall sagen.

 

Familienhebamme unter Anklage

 

Eine Gefahr besteht natürlich immer darin, dass die Eltern, denen das Kind entzogen wurde, sich auch gegen die an dem Verfahren beteiligte FamHeb richten. So gab es in den letzten Jahren nicht nur Anklagen wegen unzulässiger Weitergabe der Daten, sondern auch Versuche, die FamHeb nach einer unzulässigen Inobhutnahme der Mittäterschaft wegen Entziehung Minderjähriger anzuklagen. Nach § 235 StGB wird eine solche Tat mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Denn sofern die Inobhutnahme durch das Jugendamt sich im Nachhinein als nicht gerechtfertigt herausstellt, hat die FamHeb hieran natürlich mitgewirkt.

FamHeb machen sich aber nicht strafbar, wenn sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Schließlich sind FamHeb speziell geschult, um gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zu erkennen, so dass höhere Anforderungen an sie gestellt werden können.

Dennoch: Sofern sich die FamHeb an das beschriebene Prozedere gehalten hat und sich nach Rücksprache mit entsprechend geschulten anderen Fachkräften für die Aussage entschlossen hat, kann ihr eine falsche Abwägung nicht vorgeworfen werden. Das heißt nicht, dass erboste Eltern es nicht zunächst bis zur Anklage treiben können; in der Regel werden diese Verfahren jedoch mangels vorwerfbaren Verhaltens eingestellt.

 

Resümee

 

Es braucht nicht betont zu werden, dass bei der Betreuung von vulnerablen Familien das Kindeswohl stets an erster Stelle zu stehen hat. Nichtsdestotrotz besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der das Vertrauensverhältnis schützenden Schweigepflicht und der Pflicht, das Kindeswohl im Auge zu behalten. Dieses Spannungsfeld wird immer bestehen bleiben, da es typisch für die Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe ist.

Familienhebammen können und sollten sich im Zweifel auf die rechtlich vorgegebenen Abläufe und in letzter Instanz auf ihre Erfahrung verlassen. Sofern sie die gesetzlich vorgeschriebenen Handlungsstufen beachten und bei akuten Gefährdungen auch sofort Alarm schlagen, kann ihnen in der Regel nichts vorgeworfen werden.

Und selbst, wenn ausnahmsweise unbegründet die Schweigepflicht gebrochen wurde, wiegt ein möglicher Bruch derselben wohl weniger folgenschwer, als eine übersehene Kindeswohlgefährdung beziehungsweise ein Strafverfahren wegen eines Tötungsdeliktes (durch Unterlassen).

Bisher sind keine Urteile gegen FamHeb öffentlich einsehbar, in denen der Bruch der Schweigepflicht geahndet wurde. Dies sollte natürlich nicht dazu führen, diese leichtfertig zu brechen. Es zeigt aber, dass bei vernünftigem und verständigem Vorgehen mögliche strafrechtliche Konsequenzen nicht überzubewerten sind.

Rubrik: Ausgabe 04/2024

Vom: 27.03.2024