Als Hebamme in Dänemark

»Erdmutter«

Viele Jahre arbeitete Jessica Mustin in Deutschland als Hebamme in den verschiedensten Bereichen. Wirklich glücklich wurde sie dabei nicht. Nach einem Burnout war klar: Es muss sich etwas ändern! Gelandet ist sie in Dänemark – und von der Arbeit als Hebamme dort begeistert. Ein Bericht. Jessica Mustin
  • Ein Baum des Lebens findet sich in jedem Kreißsaal in Dänemark. Jedes Blatt steht für ein Neugeborenes.

Ein beliebiger Donnerstagnachmittag, 15.00 Uhr. Schichtwechsel in unserem Kreißsaal. Die Kolleginnen des Tagdienstes berichten kurz und knapp von den Frauen und Familien, die sich derzeit in unserer Abteilung befinden. Sie erzählen von den jeweiligen Verläufen, und die koordinierende Hebamme sowie die Versorgungsassistentin schauen auf das, was jetzt noch zu tun ist. Anschließend erfolgt die Zuteilung, wer von uns Abenddienstkolleginnen welchen Verlauf übernimmt und wer ab jetzt für das Wachtelefon zuständig ist. Danach übernimmt jede Kollegin von ihrer Vorgängerin im Dienst ein Mobiltelefon für die gegenseitige Erreichbarkeit und eine funktionierende Telefonkette von außen, und wir verteilen uns im Bereich.

Ich übernehme heute die Restaufgaben im Ambulanz- und Überwachungsbereich, der sechs Zimmer hat, und das zentrale Telefon, auf dem sich alle Schwangeren rund um die Uhr melden können.

Zwischendurch klingelt das Telefon, eine Einleitungspatientin ist zu Hause im Zweifel, ob sie noch weitere Tabletten nach dem vereinbarten Schema nehmen sollte, weil sie langsam regelmäßiges Ziehen im Bauch verspürt, und eine weitere Schwangere spürt in ihrer 30. Schwangerschaftswoche nur wenige Kindsbewegungen. Beide Frauen berate ich entsprechend der Situation – die erste legt eine Einnahmepause von zwei Stunden ein und bei zunehmender Wehentätigkeit telefonieren wir wieder, und die zweite bestelle ich zur Kontrolle in einer Stunde ein. Ich dokumentiere, tausche mich zwischendurch mit meinen Kolleginnen aus, ob sie meine Hilfe benötigen, und räume zusammen mit unserer Assistentin in unserem Bereich auf.

 

Wochenbett neu organisiert

 

Meine Kolleginnen haben jeweils einen Geburtsverlauf übernommen, unsere Assistentin kümmert sich um ein Paar nach der Geburt ihres ersten Kindes. Dieses Paar wird demnächst nach Hause gehen und bekommt von uns noch zwei Hausbesuche in den nächsten beiden Tagen. Und nach einem Besuch in unserer Wochenbettambulanz am dritten Tag nach der Geburt übernimmt eine Krankenschwester mit pädiatrischer Berufserfahrung, die bei der Kommune, in der die Schwangere wohnt, angestellt ist. Sie wird in den ersten vier Wochen nach Bedarf und Absprache Hausbesuche machen und nach Mutter und Kind schauen.

 

Ein ganz normaler Dienst

 

Im weiteren Verlauf dieses ganz normalen Dienstes werden zwei Kinder geboren, die Einleitungspatientin kommt am Abend zur Geburt, ebenso wie eine weitere Schwangere, bei der wir in der 41+5. Schwangerschaftswoche einen Ballonkatheter zur Geburtseinleitung legen werden, weil sie ihr vorheriges Kind mit einem Kaiserschnitt geboren hat und damit keine Prostaglandine bekommen darf. Der Untersuchungsbefund in der 41+0 SSW war zu unreif für den Versuch einer Eipollösung. Wir haben weiter zugewartet, aber die eigenen Wehen wollen bisher nicht einsetzen. Sie wird zur Überwachung im Bereich aufgenommen, selbstverständlich zusammen mit ihrem Partner, der auch bei uns übernachtet.

Zwischendurch habe ich einige Telefonate rund um Fragen zum Geburtsbeginn, möglicher Blasensprünge und anderer Zweifel schwangerer Frauen geführt und unser Team hatte Zeit, zusammen zu Abend zu essen. Die Kollegin aus dem Hausgeburtsteam findet sich mit einer ihrer Patientinnen ein, es ist eine Situation entstanden, die eine Hausgeburt nicht mehr möglich macht, also geht es in unserer Klinik weiter. Um 23.15 Uhr folgt der Wachwechsel zum Nachtdienst mit der obligatorischen Übergabe, und die koordinierende Hebamme, die bei uns 24 Stunden Dienst hat, kann sich wieder ins Dienstzimmer zurückziehen. Wie fast immer, komme ich pünktlich aus dem Dienst.

 

Dringend Veränderung nötig

 

Seit gut anderthalb arbeite ich jetzt in Dänemark. Das letzte Jahr war geprägt vom Lernen und Verstehen eines in großen Teilen anders funktionierenden Gesundheitswesens und einer Neuausrichtung meiner beruflichen Identität als Hebamme. Es war auch geprägt von meiner Suche nach beruflicher Zufriedenheit und weniger Stress.

Nach über 20 Jahren in Deutschland mit verschiedenen beruflichen Stationen von kleiner bis sehr großer Klinik über Geburtshaus, Praxiskooperation mit Fachärzt:innen, Haus- und Beleggeburtshilfe, allgemeiner Hebammenarbeit und Bereichsleitungsfunktion kam es zu einem stressbedingten Burnout mit Hörstürzen als logische Folge von unter anderem Mobbing am Arbeitsplatz. Um gesund zu werden, kündigte ich und folgte meinem Partner, mit dem ich eine Fernbeziehung geführt hatte, nach Dänemark. Ein Teil des Heilungsprozesses war herauszufinden, ob ich überhaupt noch als Hebamme tätig sein möchte.

 

Neustart in der neuen Heimat

 

Ein früher absolviertes Praktikum hatte mir darauf schon ein paar Antworten gegeben. Bestimmte Arbeitsformen wie die reine Freiberuflichkeit als Hebamme mit eigenen Praxisräumen gibt es hier nicht. Es gibt Kolleginnen, die als Privatleistung Akupunktur, andere Körpertherapien oder Stillberatung anbieten – dann in eigenen Räumen neben einer Tätigkeit in der Klinik, weil es sich ohne diese nicht lohnt. Eine Hebamme ist oft in einem geburtshilflichen Kontext und immer angestellt tätig. Das bedeutet nicht zwangsläufig reine Kreißsaalarbeit, denn es gibt zahlreiche Modelle mit »Anteilarbeit«. Das heißt ein Teil der Arbeitszeit wird im Kreißsaal, einer in einem anderen Bereich, zum Beispiel eigenständig in der Ultraschall-Ambulanz oder Konsultation absolviert. Die Ultraschalluntersuchungen in einer Schwangerschaft werden nur dann ärztlicherseits übernommen, wenn bestimmte Risiken bestehen oder sich eine Pathologie im Verlauf zeigt. Alternativ hat die Hebamme eine leitende Funktion ohne Schichtdienst oder sie geht raus aus dem Klinikalltag und unterrichtet angehende Kolleginnen, forscht an einer Universität oder arbeitet in einer Arztpraxis.

 

Autorisierung erforderlich

 

Für jede Tätigkeit als Hebamme, wenn man aus einem anderen Land kommt, braucht es zunächst eine Autorisierung, die von der Gesundheitsbehörde in Kopenhagen ausgestellt werden muss. Hierfür müssen neben dem Examensbeweis und Examenszeugnis alle Arbeitszeugnisse behördlich beglaubigt und übersetzt eingereicht werden. Gebühren müssen auch gezahlt werden und der ganze Vorgang dauert mindestens ein Jahr. Dann erhält man sowohl digital als auch postalisch ein Dokument mit einer Registrierungsnummer. Diese Nummer ist zentral hinterlegt und kann von künftigen Arbeitgebern abgefragt werden. In diesem Autorisationsregister ist auch hinterlegt, ob es schon einmal berufliche Klagesituationen gab. Erst danach kann man auf Stellensuche gehen.

In Wohnortnähe eine Anstellung zu finden, kann schwierig sein. Einen größeren Mangel an Hebammen gibt es nur im Umkreis der Hauptstadt Kopenhagen ganz im Osten. Dort wohnt jede:r fünfte Dän:in, und es gibt dort viele Ausbildungen und Arbeitsplätze. Auch deshalb finden 30 % aller Geburten im Land in den Kliniken der Hauptstadtregion statt. Hier findet sich auch die größte der 23 Abteilungen im Land mit einer Anzahl von 7.600 Geburten. Entsprechend stressbelastet sind auch die Arbeitsbedingungen und es ist zudem schwer, von einem Hebammengehalt in Kopenhagen zu leben, einer der teuersten Städte in Europa.

Bei der Stellensuche für eine bestimmte Abteilung hilft, dass man den persönlichen Kontakt sucht, in der Nähe wohnt und ansonsten einfach nur Glück hat, dass gerade eine Stelle frei ist. Häufig werden Zeitverträge angeboten, dies ist allerdings schwierig, wenn die Aufenthaltsgenehmigung, die man nach drei Monaten beantragen muss, an ein Arbeitsverhältnis gekoppelt ist. Für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung gibt es drei Grundpfeiler: Familienzusammenführung, Arbeit oder man hat genug Geld dabei, um seinen Lebensunterhalt solange selbst zu bestreiten, bis man eine Arbeit gefunden hat. Hat man aber erstmal einen Fuß in der Tür, ergeben sich die nächsten Schritte von allein.

 

Eine spannende Erfahrung

 

So erging es auch mir: zunächst keine Arbeitsmöglichkeit in der Nähe. Eigentlich wollte ich nicht mehr pendeln, aber das Arbeitsangebot war sehr gut und die Dienstplanung wurde dem Pendeln angepasst. Und so fuhr ich vier Stunden zur Klinik nach Kopenhagen, arbeitete eine Woche, hatte eine Woche frei und fuhr dafür zurück nach Jütland, so wie zahlreiche andere Kolleginnen auch. Die Klinik sorgte für die kostenlose Unterbringung in Wohngemeinschaften am Rand des Klinikgeländes. Das war für den Neuanfang eine spannende Erfahrung, die ich keinesfalls missen möchte. Später ergab sich dann befristet die Möglichkeit, näher an meinem Wohnsitz zu arbeiten, und ich konnte endlich jeden Tag rund um meine Arbeit zu Hause sein.

Fast alle Hebammen arbeiten in Vollzeit. Anfangs fand ich den Gedanken daran schwierig, auch im Hinblick auf die Dichte und Belastungssituationen der Arbeit in der praktischen Geburtshilfe. Aber die Dienstplangestaltung ist hier relativ flexibel und wird häufig im letzten Moment den aktuellen Bedürfnissen angepasst. Ein Dienstplan steht maximal acht Wochen im Voraus, und gearbeitet wird nicht nur im klassischen Drei-Schicht-System, wobei die Nachtschicht die kürzeste ist. Es gibt auch die Möglichkeit, zwölf Stunden zu arbeiten, und beides miteinander zu kombinieren, so dass man mit einer Wochenarbeitszeit von 37 Stunden auch nur vier Tage arbeitet. Oder eben nur drei, wenn man 12-Stunden-Dienste mag.

Zeitzuschläge für Abend-, Wochenend- und Feiertagsarbeit können ausbezahlt oder in Freizeit genommen werden. Da die Zeitzuschläge eher mäßig in der Bezahlung sind, habe ich mich für den Freizeitausgleich entschieden, und arbeite so effektiv nur 30 Stunden bei vollem Gehalt.

In jedem Kreißsaal gibt es immer eine koordinierende Hebamme, die in einer 12- oder 24-Stunden-Schicht arbeitet, aber dafür keine eigenen Frauen betreut: Sie hat den Überblick, wer in welchem Geburtsraum und in welcher Situation steht, hilft im pathologischen Verlaufsfall oder bei komplizierteren Nähten, geht zu den interdisziplinären Konferenzen und berichtet über die Verläufe. Sie beschließt zusammen mit dem jeweils diensthabenden Ärzt:innenteam im Hintergrund Organisatorisches oder Behandlungsabläufe von überwachungspflichtigen Schwangeren. Gibt es eine vaginal-operative Geburt, koordiniert sie auch hier mit der für die Gebärende verantwortlichen Hebamme und Assistentin die Geburt.

Fakten

 

Geburtshilfe in Dänemark

 

Geburtenzahl: 58.430 Geburten im Jahr 2022 Lebendgeburten/Totgeburten: unterschiedlich hinterlegt, i.d.R. ca. 250 Geburten ab der 12. SSW im Jahr 2022
Anzahl Geburtskliniken: 23
Quote Hausgeburten: 3,2 %
Kaiserschnittrate: 20 %, davon ca. die Hälfte geplant und die Hälfte sekundär
Geburtseinleitungen: 20 bis 25 %
Anzahl der Hebammen: Ca. 2.200, wovon im Februar 2023 1.671 fest angestellt in Vollzeit in einer regionalen Klinik gearbeitet haben
Hebammenausbildung: 4 Professionshøjskole in Esbjerg, Kopenhagen, Aalborg und Slagelse
Ausbildungsdauer: 7 Semester oder 3,5 Jahre, 50 % Praxis und 50 % Theorie
Ausbildungsplätze: 279 Plätze im Jahr 2023
Abschluss: Professionsbachelor i jordemoderkundskab, entspricht einem dualen B.Sc. in Hebammenwissenschaft.
Gehalt während der Ausbildung: Keines, es gibt Studien-/Ausbildungsunterstützung, die steuerpflichtig ist und nicht zurückgezahlt werden muss. Viele Studierende arbeiten deshalb nebenbei oder können einen Ausbildungskredit beantragen, den sie allerdings zurückzahlen müssen.
Berufsverband: Jordemoderforeningen (jordemoderforeningen.dk)
Anerkennung/Autorisation als ausländische Hebamme: Dauert ca 1,5 Jahre, zu beantragen über styrelsen for patientsikkerhed (> www.stps.dk).
Sprachkenntnisse müssen auf dem Niveau einer dänischen 10. Klasse vorhanden sein und werden geprüft.

 

Quelle: danmarks statistik, 2023; jordemoderforeningen.dk

 

 

Eine Assistentin zur Seite

 

Auch eine neue Situation, die mir dennoch sehr gut gefällt: Zur Geburt rufe ich als geburtsleitende Hebamme nicht den diensthabenden Arzt oder die Ärztin, sondern die Assistentin dazu. Sie kümmert sich um viele Aufgaben rund um die Geburt, die man in Deutschland selbst machen muss und die teilweise fachfremd sind: zum Beispiel die korrekte Auswertung des Nabelschnurblutes, die Anmeldung des Neugeborenen im zentralen Personenregister, Aufräum- und Organisationsarbeiten oder die postnatale Überwachung. Die Assistentin ist ein eigener Ausbildungsberuf, der in allen pflegerischen und funktionellen Bereichen einer Klinik oder einer Senioreneinrichtung für organisatorische und grundpflegerische Aufgaben zuständig ist. Die deutsche Bezeichnung wäre eine Mischung aus einer medizinischen Fachangestellten und einer Krankenpflegehelferin.

 

Selbstständigkeit großgeschrieben

 

Es ist nicht notwendig, dass Ärzt:innen zu einer physiologischen Geburt hinzugerufen werden. Sie sind aber im Hintergrund immer erreichbar, wenn es darum geht, pathologische Situationen oder Geburtsverläufe zu bewerten oder zusammen mit uns Hebammen, Entscheidungen über den weiteren Verlauf im Rahmen eines Time-outs zu treffen. Hierbei besprechen wir uns zunächst miteinander und schlagen der Gebärenden dann das weitere Vorgehen vor.

Das gleiche gilt für die Versorgung der Frauen nach der Geburt und der Schwangeren: Alles, was physiologisch ist, klärt und untersucht die Hebamme selbst – ohne ärztliche Rücksprache. Auch Geburtsverletzungen werden in erster Linie von der Hebamme selbst genäht.

Ist eine vaginal-operative Geburtsbeendigung oder eine Sectio unumgänglich, übernehmen die Ärzt:innen die Verantwortung und die Hebammen treten in den Hintergrund. Gibt es eine komplizierte Geburtsverletzung oder eine höhergradige Dammverletzung, wird diese ärztlicherseits im OP versorgt.

In der Geburtshilfe arbeiten wir Hand in Hand und auf Augenhöhe zusammen. Das gilt sowohl für das Tagesgeschäft als auch für die Auswertung der Qualitätszahlen oder die Entwicklung sowie Überprüfung bestehender Standards in interdisziplinären Arbeitsteams. Damit unsere Ärzt:innen aber auch die physiologische Geburtshilfe beherrschen, laufen sie an mehreren festgeplanten Tagen im Dienst der Hebammen mit, leiten Geburten unter Aufsicht der Hebamme und übernehmen ausdrücklich keinerlei ärztliche Aufgaben.

 

Ist das wirklich anders als in Deutschland?

 

Diese Frage kann nur klar positiv beantwortet werden. Es sind so viele Aspekte, die den Unterschied machen: die Organisation der Schwangerschaftsbetreuung, der gesunde Blick auf einen Schwangerschaftsverlauf und die Stärkung der Eigenkompetenz der Schwangeren. Außerdem die Unterstützung der Frau, wenn sie sich in einer schwierigen Lebenslage befindet: Die Schwangere geht zur Feststellung der Schwangerschaft zu ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin. Diese sind hier sehr gut ausgebildet sind und tragen viel Verantwortung. Sie erstellen ein Journal, das in Grundzügen etwa dem Mutterpass ohne Risikokataloge entspricht und viel Freitext hat. Dazu kommt eine Blutentnahme für die wichtigsten Bestimmungen: Blutgruppe, Infektionskrankheiten, kleines Blutbild. Der Hausarzt oder die Hausärztin kennt die Patientin, weiß in der Regel um ihre Lebensumstände und Krankheitsgeschichte. Dies wird in das Formular eingetragen und somit ein Bedarfsmodell festgelegt: die grundständige Versorgung in der allgemeinen Hebammensprechstunde oder eine erweiterte Hebammenversorgung bei sozialer oder psychischer Indikationsstellung. Hier arbeitet die Hebamme mit verschiedenen Stellen zum Beispiel in der Kommune zusammen, es gibt gegebenenfalls gemeinsame Fallkonferenzen, bei denen Pläne im Beisein der Frau und ihres Partners oder ihrer Partnerin festgelegt werden. Dies kann beispielsweise ein längerer Klinikaufenthalt nach der Geburt sein, um festzustellen, ob dieses Paar sein Neugeborenes adäquat versorgen kann oder welche Hilfestellungen nach der Geburt notwendig sein werden, um eine Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Die weitere Schwangerenbetreuung läuft wechselseitig zwischen Hausarzt beziehungsweise -ärztin, Hebamme und Ultraschallabteilung der Klinik, in der die Frau ihr Kind zur Welt bringt, ab. Es gibt eine klare Kompetenzverteilung.

 

Hohe Fachkompetenz

 

Der Beruf der Hebamme ist einer der angesehensten und man braucht einen sehr guten gymnasialen Notendurchschnitt, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das Ausbildungsniveau ist hoch und dennoch sehr praxisbezogen.

Die studierenden angehenden Kolleginnen haben nur ein Praxishaus, maximal einen zweiten Ort für die praktische Ausbildung. Die Zuweisung erfolgt über die Hochschule. Die Ausbildung wechselt immer zwischen einem theoretischen und einem praktischen Semester.

Am Praxisort gibt es immer eine Kollegin in der Funktion als übergeordnete Koordinatorin, die die Lerninhalte des Semesters organisiert, Praxis- und Fortbildungstage mit den Studierenden gestaltet und schaut, dass alle Lernziele erreicht werden. Diese Funktion ist immer eine Teilstelle, das heißt, dass die Kollegin macht auch einen Anteil der Dienste im Kreißsaal absolviert. Es gibt fest zugeordnete Praxisanleiterinnen für das jeweilige gesamte praktische Ausbildungssemester. Die Kolleginnen müssen hierfür keine spezielle pädagogische Weiterbildung nachweisen, nur genügend Berufserfahrung und pädagogische Kompetenzen haben. Die meisten Kolleginnen absolvieren aber im Verlauf eine passende Weiterbildung. Das siebte Semester ist ein freies Semester für die Bachelorarbeit und um noch einmal selbst gewählte Praktika zu machen. Viele Studierende wählen hier ein Praktikum im Ausland. Das praktische Examen erfolgt über OSCI-Prüfungen.

In den meisten Kliniken ist es möglich, eine Frau eins zu eins zu betreuen. Es ist sogar ausdrücklich gewünscht, sehr viel Zeit im Geburtsraum zu verbringen. Es gibt hier viel Zeit für den einzelnen Geburtsverlauf und es wird grundsätzlich lange zugewartet.

Die Sectiorate ist niedrig. Es gibt Kliniken mit einer Kaiserschnittrate von 20 % bis 25%, davon sind etwa die Hälfte geplant und der Rest entsteht aus der Geburt heraus. Es gibt grundsätzlich keine Wunschkaiserschnitte, sondern es muss eine medizinische Diagnose gestellt sein. Die Sectiorate der Klinik, in der ich bis zum Frühjahr noch tätig bin, liegt bei 15 %, davon nur 3 % geplant und 12 % sekundär.

Die Organisation der Abläufe ab Ankunft in der Geburtsklinik: Einer Schwangeren oder Gebärenden soll eine Eins-zu-eins-Betreuung ermöglicht werden, daher kommen die Frauen nicht einfach nach Bedarf in die Abteilung, sondern rufen an und es wird miteinander besprochen, wo der Betreuungsbedarf der Frau liegt und wann sie am besten in die Abteilung kommt. In einer Notfallsituation ist es die Kollegin mit dem zentralen Telefon, die den Ambulanzwagen organisiert, die Behandlung in der Abteilung vorbereitet und das ärztliche Team informiert.

Was sonst noch gut läuft:

  • Die digitale Dokumentation mitsamt aller Schnittstellen, die hervorragend funktioniert. Die Schwangere kann alle Befunde und Geburtsberichte einsehen.
  • Flache Hierarchien und ein gutes Miteinander: Es gibt keinen interdisziplinären Konkurrenzkampf oder Star-Allüren.
  • Die Vielfältigkeit der Arbeitsmöglichkeiten als Hebamme ohne die Risiken und Nebenwirkungen der klassischen Freiberuflichkeit.

 

Wo ist der Haken?

 

Wer bis hierhin gelesen hat, denkt sich vielleicht, dass Dänemark das reine Paradies für Hebammen ist. Aber natürlich gibt es auch Hürden.

Da ist zum einen die Bezahlung nach Tarif, wenn man bei der Kommune oder der Region angestellt ist. Diese ist schon besser als in Deutschland, aber im Verhältnis zum Ausbildungsniveau, den allgemeinen Lebenshaltungskosten und der Verantwortung zu niedrig.

Das Tarifsystem ist zudem so aufgebaut, dass es einen Startlohn gibt, dann eine Steigerung nach acht Jahren und noch eine weitere nach zwölf Jahren im Beruf. Dazu werden noch die Zulagen nach Arbeitszeit gerechnet. Weitere Zulagen für beispielsweise ein absolviertes Masterstudium oder bestimmte Tätigkeiten müssen bei der Einstellung individuell verhandelt werden. Am Ende wird dann noch ein Steuersatz von insgesamt durchschnittlich 46 % abgezogen. Es gibt fünf Wochen bezahlten Urlaub, die sechste Urlaubswoche bekommt man erst, wenn man länger als ein zusammenhängendes Jahr tätig ist.

Ist man staatlich angestellt, also im Bereich Ausbildung und Wissenschaft tätig, gilt eine eigene Tariftabelle, die jedoch nicht höher liegt als diejenige der geburtshilflich aktiven Hebamme. Entscheidet man sich für die Anstellung in der Privatwirtschaft (z.B. ärztliche Praxis) oder für die Zeitarbeit, gibt es einen festen Stundenlohn mit Zeitzuschlägen, alle weiteren Tätigkeitszulagen müssen auch hier individuell verhandelt werden. Hier muss man auch komplett selbst für seine Pension vorsorgen.

Von jedem Gehalt wird ein Anteil in eine festgelegte Pensionskasse eingezahlt, auch von den Zeitzuschlägen durchschnittlich 2 %. Das Eintrittsalter ist eines der höchsten in Europa – man ist 69 Jahre alt, wenn man pensioniert wird. Die Berechnung des Rentenbeitrages ist individuell und abhängig von den Arbeitszeiten (Vollzeit/Teilzeit) und auch davon, wie viel man in seiner aktiven Zeit extra einbezahlt hat. Es wird geraten, so viel anzusparen, dass man insgesamt auf ein Niveau von 80 % vom durchschnittlichen Nettogehalt kommt. Ob man das nun extra in einen eigenen Pensionsfonds einbezahlt oder anderweitig spart, ist freie Wahl. Das ist, ehrlich gesagt, eine vernünftige Empfehlung, aus verschiedenen Gründen. Bemerkenswert finde ich hier, dass ich selbst einen höheren Einfluss auf meine spätere Pension habe, weil ich überwiegend für mich einzahle und nur einen kleinen Teil in die allgemeine steuerfinanzierte Rentenkasse für alle Arbeitnehmer, die mir eine kleine Grundrente auszahlen wird, und das auch nur dann, wenn ich hier lange genug eingezahlt habe.

Zum Vergleich: In Deutschland liegt das Rentenniveau in meiner Generation derzeit bei etwa 47 % vom letzten Netto, vor Steuer, obwohl ich immer etwa 19 % meines Gehaltes in die Rentenkasse einzahle. Auch hier müsste ich eigentlich privat vorsorgen, die Modelle hier sind aber selten so effektiv wie in Dänemark.

Ein weiteres Thema: Bereits erarbeitete Berufserfahrung oder weiterführende Studienabschlüsse, die man aus einem anderen Land mitbringt, werden nicht automatisch anerkannt. Man kann also nicht kommen und erwarten, automatisch eine verantwortliche Position zu bekommen oder im Fach explizit ohne praktische Geburtshilfe arbeiten zu können. Auch die Möglichkeit, in der Hausgeburtshilfe aktiv zu sein, muss man sich erst erarbeiten. Die Kolleginnen möchten zunächst herausfinden, was man fachlich so kann und wie man sich in das Team einordnet.

Und: Naturheilkundliche Aus- und Weiterbildungen zählen hier überhaupt nicht. Klassische Homöopathie oder anthroposophische Methoden sind hier nicht bekannt und kommen nicht zur Anwendung. Sie gelten auch nicht als zertifizierte Weiterbildung. Es gibt andere, wissenschaftlich bewiesene Methoden, um zum Beispiel einen schwierigen Geburtsverlauf zu lösen, man arbeitet mit körpernahen Methoden wie zum Beispiel Übungen aus dem Spinning-Babies-Programm.

 

Fazit

 

Für das, was ich beruflich gesucht habe, war es genau richtig, hierher zu kommen. Es war jedoch nicht ganz einfach, am Anfang mindestens zwei Schritte zurückzutreten und zu verstehen, dass meine beruflichen Erfahrungen und die Lust auf Verantwortung, erst einmal nicht zählen. Auf der sachlichen Ebene logisch, aber auf der gefühlten Ebene war ich plötzlich wieder Auszubildende. So etwas muss man aushalten können, aber ich wurde auch reich belohnt. Zum Beispiel mit viel neu erworbenem Wissen, einer anderen, physiologischen Sicht auf unser Fach, die um so vieles sinnvoller ist. Daraus leiten sich verbindliche Standards ab, die für alle gelten, und es herrschen viel bessere Arbeitsbedingungen. Alles läuft wesentlich stressfreier ab und wird wesentlich unkomplizierter entschieden.

Man zeigt keinen Fleiß durch besonders viele Überstunden – diese sind hier nicht gut angesehen – sondern durch Engagement in den Abläufen und gemeinschaftlichen Projekten. Oder durch zusätzliche Freiwilligenarbeit für den »samfund«, die Gesellschaft, beispielsweise bei Hilfsorganisationen oder in lokalen Vereinen. So etwas ist häufig übrigens ein wichtiger Faktor in der schriftlichen Bewerbung für einen Arbeitsplatz oder eine verantwortliche Position im Arbeitsleben, und durch die verschiedenen Arbeitszeitmodelle wird diesem auch die notwendige Zeit dafür eingeräumt.

Ich habe viel gelernt in Dänemark und bin immer noch dabei, die eine oder andere Aufgabe abzuschließen. Zum Beispiel die Sprachprüfungen, Geburtsverletzungen nähen zu können, ein Basiswissen der geburtshilflichen Ultraschalldiagnostik zu haben, oder wieder mit dem Pinard und viel mehr mit meinen Händen zu arbeiten, weil die manuelle Diagnostik hier immer den Anfang macht.

Hier und jetzt macht meine Arbeit als Hebamme mit geburtshilflichem Schwerpunkt wieder Sinn und Freude. Auch im sprachlichen Kontext: ich bin jetzt »jordemoder«, also »Erdmutter« und gebäre mit den Frauen (»jeg foeder med en gravide«) – ich entbinde sie nicht, die Frauen bringen ihr Kind selbst zur Welt. Ob ich noch einmal in Deutschland oder einem anderen Land arbeiten würde? – Ich schließe es nicht aus. Aber ich müsste die Möglichkeit haben, so arbeiten zu können, wie ich es derzeit kann.

Rubrik: Ausgabe 04/2024

Vom: 27.03.2024