Aphrodite im Kreißsaal?
Gebärmutter, Vagina und Klitoris „sind alle mit Hitze erfüllt, wie mit flüssigem Feuer oder aber randvoll und überlaufend von ineinander verschmelzenden glühenden Farben.", schreibt Sheila Kitzinger 1983 zur Sexualität der Geburt: „Es kann das tiefgreifendste sexuelle Gefühl sein, das eine Frau jemals erlebt hat, so stark wie ein guter Orgasmus, ja zwingender." Gleichzeitig weist sie auf einen entscheidenden Widerspruch hin: „Die intensiv sexuelle Natur einer solchen Geburt steht im krassen Gegensatz zu dem institutionellen Rahmen, in dem diese gewöhnlich stattfindet. Es ist, als wollten wir uns lieben und müssten dies in der belebten Eingangshalle eines Flughafens, auf einem großen Bahnhof oder in einer gekachelten öffentlichen Bedürfnisanstalt tun." Kitzinger machte 1980 bei einem Geburtshilfe-Kongress in Berlin Furore, als sie in ihrem Vortrag die Geburt als ekstatischen Liebesakt mit heftigem Atmen und Stöhnen bis zum Höhepunkt simuliert hatte – für manche peinliche Provokation, für andere eine Erleuchtung beim Aufbruch zu einer neuen „befreiten" Geburtshilfe.
Die Sicht auf die Geburt als Teil der weiblichen, vielleicht sogar der kindlichen Sexualität, ist lange kein Novum mehr – und auch GeburtshelferInnen, wie Frédérick Leboyer, Michel Odent oder Ina May Gaskin haben diese Ende der 70er noch außergewöhnliche Auffassung populär gemacht. Dennoch hat sich bis heute das „Setting" bei der Geburt noch lange nicht so verändert, dass im Kreißsaal eine aphrodisierende Atmosphäre das ist, was ein Paar empfängt, wenn es zur Entbindung kommt. Nicht einmal das Recht der Gebärenden und ihres Partners auf Privatsphäre sind heute zur Selbstverständlichkeit geworden. Kein Wunder, dass die „Geburt als Orgasmus" die Ausnahme bleibt, zumal bereits der „Risikoblick" auf die Schwangerschaft die Erotik aus der Fruchtbarkeit eher systematisch vertreibt statt dass sie angeregt würde.
Für ihr weiteres Liebesleben wird die Erfahrung ihrer Geburten bei den meisten Frauen sicher ein Schlüsselerlebnis bleiben – sei es im besten Fall, dass damit ein Knoten zur eigenen sexuellen Reife gelöst wurde oder schlimmstenfalls, dass ein demütigendes gewaltsames Geburtserlebnis seine schwer wieder gut zu machenden Nachwirkungen auch auf das sexuelle Erleben in ihrer Partnerschaft hinterlässt. Noch immer gibt es in der Geburtshilfe zu viele alltägliche Störungen und kleinere oder auch größere Gewalt durch die Helfenden – wie beispielsweise das nicht auszurottende „Kristellern". Ich frage mich, ob die häufig angeführte Lustlosigkeit auf Sex vieler junger Mütter in den Monaten nach der Geburt immer mit Erschöpfung oder verändertem Hormonhaushalt erklärt werden kann – oder ob ihre Wurzel nicht eher in einem häufig wenig „orgastischen" Geburtserlebnis voller Interventionen zu suchen ist, wie es heute die Regel ist.