Beckenendlagen meistern

  • Dr. Birgit Reime: „Trotz aller Angreifbarkeit bietet evidenzbasierte Praxis für Hebammen das Potenzial einer Kompetenzerweiterung“

  • Kaum ein anderes Thema hat in den letzten Monaten und Jahren die Debatte unter Hebammen und WissenschaftlerInnen so bestimmt wie die Beckenendlage (BEL). Ich erinnere mich noch gut an die niederländische Hebamme Mary Scheffer. Sie wurde auf dem Marburger Kongress „Neue Perspektiven in Hebammenkunst und Geburtshilfe" im Jahr 2000 gefragt, ob es nicht wichtig sei, die BEL wieder in Hebammenhände zurückzuerobern. Ihre Antwort lautete sinngemäß, dass die Hebammen genug damit zu tun hätten, die Betreuung der normalen Geburt in den Händen zu behalten. Sie sollten sich erst mal darauf konzentrieren statt auf die Pathologie. Doch wie Prof. Marc Keirse in diesem Heft schreibt, ist es zunehmend schwierig, Geburtshelfer zu finden, die zu einer Vaginalgeburt im Krankenhaus bereit sind, was zu einem Ausweichen auf Hausgeburten führt. Die Diskussion, ob die außerklinische Geburtshilfe der geeignete Ort für eine BEL-Geburt ist, wurde aktuell durch einen kindlichen Todesfall in Österreich angeheizt. Wie sehr dieser Fall dem Ansehen der Hebammen schadet, konnte ich in Gesprächen mit meiner Familie feststellen. Kein Laie kann sich wirklich etwas unter dem Begriff BEL vorstellen, aber alle wissen, was eine Hebamme ist und was eine Hausgeburt ist. Hebammen führen gefährliche Hausgeburten durch und das sollte abgeschafft werden, ist die einhellige Schlussfolgerung nach dem Tod des Babys.

    Was mich persönlich interessiert, ist, wie die schwangere Frau mit BEL von ihrer Hebamme aufgeklärt wird. Spielt Evidenz, das heißt der aktuelle Forschungsstand zu dieser Frage, überhaupt eine Rolle? Oder verlassen sich Frau und Hebamme ausschließlich auf deren bisherige Erfahrung? Rein rechnerisch ist ein Todesfall auch bei einer spontanen BEL-Geburt ein sehr seltenes Ereignis. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass die Hebamme gute Erfahrungen gemacht hat. Aber welche Steine ins Rollen geraten, wenn dies einmal anders ist, wurde uns drastisch vor Augen geführt.

    Die so genannte „Reife BEL-Studie" (Term Breech Trial) wurde 2000 veröffentlicht. Die randomisierte Studie kam zu dem Schluss, die Sectio sei bei BEL die sicherste Art der Entbindung. Dies gilt nun als Richtlinie für die Praxis und die Rechtsprechung vieler Länder. Der „Papst" der evidenzbasierten Geburtshilfe, Prof. Marc Keirse, kritisiert in diesem Heft die Studie sehr detailliert. Laut Keirse heißt Erfahrung, „die gleichen Fehler zu machen, aber mit mehr Zuversicht". Doch wenn Studien so angreifbar sind, können wir dann auf evidenzbasierte Praxis verzichten? Nein. Für Hebammen liegt dort das große Potenzial einer Kompetenz­erweiterung. Auf dem Deutschen Ärztetag im Jahr 2002 wurde von Ärztefunktionären die Befürchtung geäußert, evidenzbasierte Praxis führe zu „wachsender gesellschaftlicher Kontrolle" und „Machtverlust auch gegenüber anderen Gesundheitsberufen". Eben. Hoffentlich können Hebammen und Frauen davon profitieren!