Bedenke das Ende

  • Katja Baumgarten, Hebamme und Redakteurin: »Gute Hebammen­arbeit ist im Kern nachhaltig.«

  • »Was du auch tust, tue es klug und bedenke das Ende.« Die alte Weisheit des griechischen Geschichtsschreibers Herodot aus dem Jahrtausend v. Chr. hat mir mein Großvater als Kind beigebracht. Ein Lebensmotto für nachhaltiges Handeln, Jahrzehnte bevor das Wort »Nachhaltigkeit« geläufig und schließlich auch vom Marketing in der Wirtschaft entdeckt worden war. »Niemals mehr als die Hälfte«, war eine andere Regel von ihm, stets einen Teil für die anderen übrig zu lassen. Meine Großeltern, die bescheiden lebten und mit ihrer Familie zwei Weltkriege durchgestanden hatten, wussten ihr Leben lang mit Ressourcen achtsam umzugehen. Sie hatten so fundamentale Erschütterungen erfahren, dass Weitsicht für sie überlebensnotwendig gewesen war.

    Gute Hebammenarbeit ist im Kern nachhaltig. Schon früh hatte ich als junge Hebamme verstanden, dass die Sorgfalt und Umsicht, mit der ich mich zu Beginn einer Betreuung den Ängsten und Wünschen einer Schwangeren widmete, sich im Laufe der kommenden Monate nicht nur für die Familie auszahlte, sondern auch für meine eigene Arbeit. Familien, deren Sorgen beruhigt und Fragen geklärt waren, die sich im Lot und sicher aufgehoben fühlten, brauchten später umso weniger Zuwendung, wenn sie auf sich gestellt selbstbewusst gut klarkamen.

    Überrascht war ich kürzlich, als ich Besuch von einem Vater mit seiner erwachsenen Tochter bekam, bei deren Hausgeburt ich vor fast 40 Jahren geholfen hatte. Die beiden wollten nun ein Video zum 60. Geburtstag seiner Frau und ihrer Mutter drehen und besuchten die Menschen, die in ihrem Leben wichtig gewesen waren. Ich war beeindruckt, welche Bedeutung die beiden Hausgeburten in der Familie gehabt hatten: wie genau der Familienvater die Details noch in Erinnerung hatte, wie viel auch die Tochter davon wusste, welches Selbstbewusstsein und welche Energie ihre Mutter nach ihren Schilderungen daraus gezogen hatte. Sie war damals jung gewesen und hatte sich gegen allerhand Widerstände für ihren eigenen Weg entschieden – hatte dabei auch ihren zögerlichen Partner überzeugt, der deswegen immer noch stolz auf sie war. Wir saßen in meinem Garten und die beiden schilderten mir, welche Rolle ich als junge Hebamme dabei gespielt hatte und dass am Familientisch zu Hause regelmäßig noch diese Zeiten der Schwangerschaften und Geburten zur Sprache kamen bis hin zu Details, was ich damals gesagt und getan hatte.

    »Gestandene« Hebammen kennen solche anrührenden Begebenheiten. Mitten in der Arbeit für diese Ausgabe zum Schwerpunkt »Nachhaltigkeit« war die Begegnung für mich auch im weiteren Sinne bewegend: Was für eine Ehre, dass ich bei der Entwicklung dieser Familie so einen Stellenwert hatte! Gleichzeitig wurde mir bewusst, welche Verantwortung eine Hebamme hat, die in einer sensiblen und entscheidenden Zeit so nah bei der Familie ist. Unachtsamkeit hätte womöglich ebenso nachhaltig gewirkt.

    Für die Adventszeit und die Weihnachtstage die besten Wünsche!