Bei sich sein

  • Katja Baumgarten: „Das Haus, in dem ich wohne, ist seit 145 Jahren ein Geburtshaus.“

  • Vor Jahren stellte die Hebamme Dorothea Heidorn in Hannover den Film „Leben" von Heide Breitel vor. Er handelt vom Sterben in einem Hospiz und vom Geborenwerden im Geburtshaus – in ihrem Entbindungsheim. Bei der anschließenden Diskussion fragte sie in den Kinosaal: „Gibt es ein Geburtshaus in Hannover?" Ich antwortete „Tausende!". Das Haus, in dem ich wohne, ist Geburtshaus seit es vor 145 Jahren gebaut wurde. Meine Kinder sind darin zur Welt gekommen und Generationen von Bewohnern vor uns. Nicht nur geboren und gelebt wurde und wird in unserem Haus, es war auch immer schon ein Ort zum Sterben: In der Zeit seit ich hier wohne starben die Großmutter meiner Kinder und mein jüngster Sohn in diesem Haus.

    Geburtshäuser, als kleine „Institutionen", sprießen allerorten wie Pilze aus dem Boden und setzen Krankenhäusern mit ihren selbst bestimmten, selbst gestalteten Arbeitsplätzen für Hebammen etwas entgegen. Welche Zeichen setzen sie gegenüber den Frauen, die einen Ort für die Geburt ihres Kindes suchen? „Bei sich" sein zu können, ist eine Vorraussetzung zum Kinderkriegen. Für eine Geburt im Geburtshaus verlässt eine Frau mit Wehen ihren vertrauten Ort, an dem sie ihr „Hausrecht" hat und begibt sich in das „Reich" der Geburtshelferinnen, wo sie zu Gast ist – wie im Krankenhaus. Geburtshäuser sind meist schön eingerichtet, nützliches Gebär-Accessoire findet sich dort. Ist das, was über die häusliche Einrichtung hinausgeht, für eine Geburt notwendig oder eine Frage von „Lifestyle"? Lassen die Frauen, die Eltern sich dadurch nicht eher von ihrer klaren Entscheidung zur eigenen Verantwortung ablenken? Vielleicht stellt die Hoffnung auf die Einrichtung „Geburtshaus" eine sympathische Spielart des Glaubens an die Institution und ihre ExpertInnen dar. Der Boom der „Institution Geburtshaus" erscheint zeitgemäß. Was kann sie einlösen? Die außerklinische Geburt ist bei guter Betreuung und sorgfältiger Selektion sicher. Das ist Jahr für Jahr das Ergebnis der bundesweiten Erhebung außerklinischer Geburten, die seit über 20 Jahren konstant ein bis zwei Prozent aller Geburten ausmachen. Einen Vorteil gegenüber der Hausgeburt bietet das Geburtshaus nicht, wenn man von entlegenen Häusern auf dem Land absieht. Wo ein Kind entstehen und groß werden kann, kann es normalerweise auch zur Welt kommen.

    Meine Haltung zur Geburtshausbewegung ist ambivalent. Einerseits beeindruckt von der Liebe und Hoffnung, mit der diese Einrichtungen aufgebaut und betrieben werden, bleibt für mich eine wichtige Frage offen: Schwächen sie nicht die Frauen, die den Wunsch haben, außerhalb des Krankenhauses zu entbinden und dadurch etwas Eigenes für sich ergreifen wollen? Sie bleiben weniger „bei sich", geben das Vertrauen in ihre eigenen vier Wände auf und ihre Kinder werden nicht dort weiterleben, wo sie geboren wurden. Die Vorzüge des Geburtshauses für die Hebammen liegen deutlicher auf der Hand.