Berührung als Code

  • Birgit Heimbach vor der Brustlandschaft „Mamelles“ (1991) von Louise Bourgeois

  • Babys, die nicht liebkost werden, keine mütterliche Weichheit erleben, gedeihen nicht. Körperliche Zuwendung ist als Ursprache lebensnotwendig für sie. Von Anfang an verstehen Neugeborene „die Reize auf der Haut, wenn sie angepackt werden, geschuckelt oder gestreichelt, als einen gut lesbaren Code", wie es Liedermacher Wolf Biermann formulierte. Der Anthropologe Ashley Montagu war in den 1970er Jahren einer der ersten, der erkannte, wie bedeutend Körperkontakt lebenslang für Menschen ist. Er bezeichnete die Haut als unser sensitivstes Organ und sprach ihm eine Seele zu. Inzwischen gibt es neue Forschungen, die erklären, wie sich die körpereigene Spannung, die Durchblutung, Hormone und seelische Zustände verändern, wenn ein Mensch angefasst wird. Wichtige Erkenntnisse stammen von der schwedischen Wissenschaftlerin Kerstin Uvnäs-Moberg. Sie erforschte das Wehen auslösende Oxytocin: Es wirkt entspannend und festigt soziale Beziehungen.

    Hebammen können Familien zu einem feineren Körperkontakt anregen. Mit unserem Titelthema „Berührung" möchten wir Hebammen vor allem dazu inspirieren, ihre Hände empathischer, bewusster einzusetzen und manuelle Fertigkeiten zu entwickeln. Osteopathie, Rhythmische Einreibungen, Fußreflexzonenmassage und Kalifornische Massage sind einige der Methoden, die der Schwangeren und Gebärenden helfen und ein fast schwebendes Wohlgefühl auslösen können. Beeindruckend sanft ist die Craniosacrale Therapie, die nur mit wenigen Gramm Druck auskommt, um zu harmonisieren. Im Gespräch mit Dr. Mehdi Djalali ging es um Haptonomie, die jedoch kryptisch blieb: Worte würden sie angeblich nicht erklären, sie sei unvergleichbar. Einleuchtender fand ich die „taktil-kinästhetischen" Erkenntnismöglichkeiten – nämlich tastend erspürende Vorgehensweisen – von der Hebamme Kirstin Hähnlein. Sie meint, dass sich Hebammen ihre originären manuellen Fertigkeiten zurückerobern und die Wahrnehmungsfähigkeit ihrer Hände trainieren sollten. Für alle Techniken gilt wohl ein Satz von Susanne Dengler, Dozentin für rhythmische Massage: „Um die Griffqualitäten einer therapeutischen Berührung menschengemäß zu gestalten, müssen die Sprache und die Urgesten des Lebendigen studiert werden. Nur so kann sich in dieser nonverbalen Kommunikation ein Organismus angesprochen fühlen."

    Im Kulturteil stelle ich Louise Bourgeois vor, die sich mit körperlicher Nähe und Distanz befasst. Bis heute beleuchtet die 96-jährige ihren frühkindlichen Bezug zur Mutter und das Verhältnis zu ihren eigenen einst kleinen Söhnen. Es sei für sie der Anfang von Weichheit und das Leben selbst, ein Baby gegen die nackte Brust zu halten. Dauerhaft zärtlich war die Künstlerin jedoch nicht, sie brauchte selbst mütterliche Fürsorge und stellte Situationen dar, in denen man sich, wie sie sagt, nach einer streichelnden Hand verzehrt.