Das Wachsen und Werden begleiten
Elternwerden – ein körperlicher, emotionaler und sozialer Übergang in einen neuen Lebensabschnitt – ist in unserer Gesellschaft zunehmend gefährdet. Denn auch den Paaren, die nicht zur sogenannten Risikoklientel gehören, stehen traditionelle Netzwerke heute immer weniger zur Verfügung. Immer mehr Eltern sind alleine und fühlen sich überfordert mit den gravierenden Veränderungen, weil Großeltern und soziale Netze fehlen. Werdende Eltern und junge Familien brauchen deshalb zunehmend kontinuierliche Begleitung im Prozess des Familiewerdens. Sogenannte Problemfamilien bedürfen besonderer Hilfen und deshalb ist es gut, wenn das Modell der Familienhebamme sich immer mehr etabliert. Darüber hinaus brauchen alle Eltern besonderen Schutz und Unterstützung durch früh ansetzende präventive Maßnahmen und Netzwerke, die unsere Gesellschaft ihnen zur Verfügung stellen sollte.
Frühforderung und frühe Hilfen gibt es schon seit vielen Jahren. Zurzeit entstehen immer mehr Modelle, die ihren Schwerpunkt auf Prävention legen und die sich an alle Eltern richten. Man hat erkannt, welche großen Chancen hier liegen, Gesundheit zu fördern. Damit belastete Familien trotz multiprofessioneller Begleitung nicht in dramatische Situationen abgleiten, ist die enge Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedenen Akteure so wichtig. Hebammen als Begleiterinnen des Elternwerdens werden zunehmend eingebunden in präventive Maßnahmen und arbeiten zusammen mit anderen Institutionen in kommunalen Netzwerken. Das Wachsen und Werden von Familien zu begleiten, ist die angestammte Rolle von Hebammen. Die Ethnologin und Soziologin Yvonne Verdier beschreibt in ihrem Buch „Drei Frauen. Das Leben auf einem Dorf“ (Stuttgart 1982) sehr eindrücklich diese tragende Rolle der Hebamme in der dörflichen Gemeinschaft der Frauen – oft über Generationen und nicht nur bei der Geburt, sondern auch beim Sterben und Tod. Heute geht es darum, dass Hebammen in unseren fragmentierten Strukturen jungen Eltern und Familien helfen, ihre sozialen Netze zu stabilisieren. Das ist jedoch nur möglich, wenn sie bereit sind, während ihrer Begleitung längerfristige Bindungen zu den Familien einzugehen. Wie können wir Bindung fördern, wenn wir schon nach kurzer Zeit wieder verschwunden sind? Hebammenarbeit ist Beziehungsarbeit, formuliert die hessische Beauftragte für Familienhebammen Eva-Maria Chrzonsz. Bindung ist ein Prozess, der nicht beschleunigt und rationalisiert werden kann.
Auch in dieser Hinsicht hat das Verhalten der Hebamme einen Vorbildcharakter. Die Beziehung und Verbindlichkeit, die Zeit, die sie zur Verfügung stellt, das, was sie in einer fürsorgenden Begleitung vorlebt, wirkt nachhaltig auf die Mutter-Kind-Beziehung. Der besondere Fürsorgeauftrag der Hebamme an dieser entscheidenden Schnittstelle des Lebens und das Wissen um das hohe salutogenetische Potenzial unserer Arbeit verpflichtet uns, in Beziehung zu bleiben, fürsorgend und vernetzend tätig zu sein. Damit Eltern ihr „Dorf“ finden.