Das Wochenbett beschützen

  • Hella Wiese, Hebamme und Pflegewissenschaftlerin: »Die Notwendigkeit für Frauen und Neugeborene, im Wochenbett von einer Hebamme begleitet zu werden, ist nicht verhandelbar.«

  • Als ich mit der redaktionellen Verantwortung für das Schwerpunktthema dieser Ausgabe betraut wurde, traten Bilder von Fieber und Mastitis oder Lochialstau und drohender Endometritis vor mein inneres Auge. Phänomene, die schon so oft besprochen wurden und relativ selten erlebt werden, dachte ich. Aber ist Fieber tatsächlich schon ein Notfall oder zeigt es eine bestehende Gefahr für einen Notfall an? Die Rolle der Hebamme ist es, die Gefahr zu erkennen und das Eintreten eines Notfalls zu verhindern. Was genau bedeutet dies für das Wochenbett? Welche Notfälle können auftreten und welche Anzeichen deuten darauf hin? Und was, wenn die Gefahr nicht erkannt wird, weil gar keine Hebamme da ist?

    Ich selbst habe viele Jahre Frauen im Wochenbett begleitet und selten mit Gefahren, fast nie mit echten Notfällen zu tun gehabt. Es lief einfach. Erst als ich in einer anderen Arbeitssituation Mütter von der Wochenbettstation nach Hause entlassen musste, ohne dass sie eine Hebamme für das weitere Wochenbett hatten, verstand ich unsere wichtige Rolle in dieser Zeit. Diese Frauen erschienen mir noch zu verletzlich, um allein gehen zu können.

    Es ist nicht nur die unerfahrene Erstgebärende, die die Relevanz und Schutzbedürftigkeit der Wochenbettzeit vielleicht unterschätzt. Vielmehr zeigt sich dies auch in der manchmal spärlichen Einarbeitung pflegerischer und ärztlicher Kolleg:innen auf einer Wochenbettstation. Oder es zeigt sich an der Häufigkeit der Müttersterblichkeit weltweit, die durch eine gesicherte Hebammen­begleitung in dieser Lebensphase reduziert werden könnte.

    Mit der Arbeit für diese Ausgabe habe ich noch einmal neu gelernt, wie vielfältig die Gefahren und damit auch die Notfälle in der Wochenbettzeit sein können. Dabei geht es nicht nur um das Fieber oder den Lochialstau. Es geht beispielsweise auch darum, Anzeichen von häuslicher Gewalt oder einer Psychose zu erkennen, dies zu kommunizieren und den Zugang zu professioneller Unterstützung zu ermöglichen. Dazu braucht es eine flächendeckende Versorgung und klare Zuständigkeiten, die zuverlässig abrufbar und von der Gesellschaft gewollt und getragen werden. In Deutschland steht die Gesundheit von Mutter und Kind im Fokus. In anderen Teilen der Welt geht es für Wöchnerinnen und ihre Kinder mitunter ums nackte Überleben.

    Die unterschätze Zeit des Wochenbettes kann also gar nicht oft genug thematisiert werden. Und sie ist nicht verhandelbar, die Notwendigkeit für Frauen und Neugeborene, in dieser Zeit von einer Hebamme begleitet zu werden, egal wo sie sich befinden: in ihrer Familie, auf einer Wochenbettstation, auf dem Land oder in der Stadt oder in einem kriegerischen Konfliktherd – um vor den speziellen Gefahren und Notfällen dieser Lebensphase beschützt zu werden.