Dimensionen der Armut

  • „Keine Brust für arme Kinder" hieß ein publikumswirksamer Artikel in der taz, die tageszeitung. Darin wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Studie des Gesundheitsamtes Bremen aus dem vergangenen Herbst veröffentlicht. Ein Viertel der Mütter im Bundesland Bremen stillt demnach gar nicht, ein Drittel nicht länger als drei Monate. Auch Mütter unter 26 Jahren stillen kürzer und seltener als empfohlen. Das zentrale Ergebnis: Ob und wie lange ein Kind gestillt wird, hängt wesentlich vom Alter und Schulabschluss seiner Mutter ab.

    Für 81 Prozent der Abiturientinnen war die Hebamme die Fachfrau für Information und Beratung in punkto Stillen. Diese Zahl verringerte sich sukzessive mit dem Bildungsniveau auf 38,1 Prozent bei den Frauen ohne Schulabschluss – diese Gruppe hatte weder Geburtsvorbereitungskurse noch Ratgeberliteratur in Anspruch genommen. Muttermilch ist kostenlos – fast jede Mutter hat das Potenzial zu stillen. Aber gerade die Kinder von Frauen, die in materieller Armut leben, bekommen diese wichtige Ressource oft nicht. Armut hat unterschiedliche Dimensionen. Da ist die finanzielle Armut und da ist Armut im Sinne von Ausgeschlossensein, Nicht-Teilhabe, mangelndem Wissen und schlechteren Chancen.

    Armut ist auch das Gefühl mangelnder Selbstwirksamkeit. Bildung macht den Unterschied. Selbst wenn die materiellen Verhältnisse nicht rosig sind, kann ein Mensch über das Potenzial verfügen, etwas zu verändern, sich zu bewegen, sich Hilfe zu holen – ob man sich selbst überhaupt als jemand anderen denken kann. Armut in dieser Dimension ist mangelndes Selbstvertrauen in die eigenen psychischen und sozialen Kräfte – ein hohes Risiko für körperliche und seelische Gesundheit, ein Teufelskreis. Armut ist auch der Verlust von Traditionen. Migrantinnen, die noch in ihrer Herkunftskultur verwurzelt sind, stillen ihre Kinder statistisch häufiger und länger.

    Das Gefühl der Selbstwirksamkeit von Familien zu stärken, ist eine anspruchsvolle Arbeit. Während der Staat immer weniger versorgt, sondern die Eigenverantwortung im hohen Maße fordert, verschärft sich die Situation von Menschen, die genau dies nicht gelernt haben und sich ohnmächtig fühlen, weil sie keine Perspektive sehen. Prävention hilft und Familienhebammenarbeit wirkt – ebenso wie soziale Netzwerke, bürgerschaftliches Engagement und die Förderung von Selbsthilfepotenzialen. Projekte wie die Stadtteilmütter in Berlin-Kreuzberg überzeugen: Hier lernen Frauen voneinander, dass sie etwas verändern können – und sie erfahren das Glück, etwas bewegen zu können, nicht ohnmächtig zu sein.