Eine Studie macht noch keine Sicherheit

  • Tara Franke, Hebamme und Redakteurin der DHZ: »Evidenzbasiertes Arbeiten lebt vom steten Prüfen, vom Diskurs und kritischen Hinterfragen.«

  • Immer weniger Mütter werden im Wochenbett von einer Hebamme betreut. Das zeigt eine aktuelle Studie der AOK in Nordrhein-Westfalen, die unter Mitarbeit von Nicola H. Bauer, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, entstand. Profitierten 2012 noch rund 64 % der Familien von den aufsuchenden Angeboten der Hebammen im Wochenbett, war es 2016 nur noch jede zweite
    Familie.

    Frauen, die Arbeitslosengeld beziehen, erhalten dabei deutlich seltener aufsuchende Wochenbettbetreuung und Rückbildungsgymnastik als berufstätige. Die AOK NRW rät: »Frühzeitige und umfassende Informationen über die Hebammenbetreuung – bereits in der Schule und in gynäkologischen Praxen – sind wichtig, damit möglichst alle werdenden Mütter und Familien erreicht und unterstützt werden können.« Forschung kann also nicht nur Erkenntnisse zu Nutzen und Risiken von Interventionen bringen, sondern auch Daten zur Versorgung aufzeigen. Mit der Akademisierung von Hebammen wird hoffentlich auch bald fundierter und mit entsprechenden Forderungen an Krankenkassen und Politik herangetreten. Daniela Erdmann und Heidi Bernard stellen in diesem Heft mögliche Alternativen zur traditionellen aufsuchenden Wochenbettbetreuung vor.

    Um Forschungsergebnisse so nutzen zu können, dass sie die Gesundheit von Müttern und Kindern fördern, ist es nicht nur wichtig, wonach gefragt wird, sondern auch, wer fragt, wie gefragt wird, was genau untersucht wird und in welchem Zusammenhang die Ergebnisse bewertet werden. Für die postpartale Zeit ist die Studienlage leider eher dünn. Da dies das originäre Arbeitsfeld der Hebamme ist, sind wir also dringend auf mehr Forschung angewiesen. Hebammen schauen mit dem physiologisch geprägten Blick auf die Zeit des Wochenbettes. Sie kennen aus der Praxis die typischen Fragen, Beschwerden, Risiken und Erkrankungen von Mutter und Kind. Sie haben daher das größte Potenzial, das Wochenbett zu beforschen und die Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag zu überprüfen. Kirstin Büthe beschreibt in diesem Heft, was die Studienlage derzeit hergibt und wie dringend Hebammenforschung benötigt wird.

    Die Vergangenheit zeigt aber auch, dass eine Studie allein noch keine Sicherheit gibt – auch forschende Menschen können sich irren, ihre Interpretationen können durch eigene Interessen oder Vorerfahrungen beeinflusst oder wichtige Aspekte einer Fragestellung übersehen werden. Evidenzbasiertes Arbeiten lebt vom steten Prüfen, vom Diskurs und kritischen Hinterfragen. Mit dem gesunden Menschenverstand, der beruflichen Erfahrung, dem Wissen der Betreuten über ihren eigenen Körper und ihre bewährten Gesundheitsstrategien können sie uns jedoch hoffentlich immer öfter davor bewahren, ungewollt Schaden zuzufügen oder Frauen und Neugeborene mit wirkungslosen Therapien zu belasten.

    Im Wochenbett gibt es da noch viel zu tun – packen wir es an!