Freiheit für die Empathie

  • Elisabeth Niederstucke, Redakteurin der DHZ: »Das stetige Ausbalancieren von Distanz und Nähe kann unter Überlastung in Burnout münden.«

  • Schon als ich das Wort »Empathie« vor vielen Jahren zum ersten Mal hörte, hat es in mir glückliche Gefühle ausgelöst. Ich mochte es nicht nur, weil ich griechische Worte liebe, sondern auch, weil ich direkt eine starke zwischenmenschliche Zuneigung damit verbunden habe. Jetzt erst habe ich die Übersetzung nachgelesen: »heftige Leidenschaft«.

    Als ich den Artikel von Dr. Susanne Schrötter über ihr empathiebasiertes Entlastungstraining gelesen habe, wurde mir deutlich, dass eine empathische Betreuung, so wie junge Hebammen sie schon in der Ausbildung lernen, der reinste Spagat ist. Das stetige Ausbalancieren von Distanz und Nähe kann unter Überlastung auch in Burnout münden. Aus Selbstschutz entsteht dann unter Umständen eine Art Pseudo-Empathie. Die Hebammenstudierende beginnt im Gespräch mit der Frau beispielsweise zu bagatellisieren oder sie künstlich aufzumuntern. Das hilft in einer akuten Betreuungssituation nicht wirklich weiter. Und es ist für die Hebamme emotional extrem anstrengend. Auf die Dauer ein Kraftakt.

    Wie kann es gelingen, ein gutes Maß an Empathie zu finden, damit es nicht zur »Compassion-Fatigue« kommt – einer großen Erschöpfung durch zu viel Mitgefühl und Mitleidenschaft, von der die Hebammen Anna Hungerbühler und Marina Good in ihrem Artikel sprechen? Die Hebamme Nele Krüger hat dazu auf eine Fülle von Studien geblickt. Sie kommt zu dem Schluss, dass es nicht einer »sympathisierenden«, sondern einer wirklich empathischen Begleitung bedürfe, so wie die Hebamme Verena Schmid es definiert.

    Nina Lauby und ihr Team um Prof. Dr. Christian Schubert aus Innsbruck wissen um die hormonellen Aspekte dieser Art von Begleitung, die sich bis ins limbische System einprägt. Ihr Artikel untermauert aus psychoimmunologischer Sicht die Rolle von Hebammen für die langfristige Frauengesundheit.

    Gefreut habe ich mich auch über den Beitrag des Mediziners und Philosophen Giovanni Maio, der sich mit »verdichteter Verletzlichkeit« auseinandersetzt. Er bezieht seine Gedanken auf die vulnerable Zeit der Schwangerschaft und auf den hohen Anspruch an die Hebamme, die Herausforderungen dieser Zeit zu begleiten.

    Offenbar trifft die Übersetzung »heftige Leidenschaft« für Empathie des Pudels Kern sehr genau. Leidenschaft schafft womöglich auch Leid – gerade in so intensiven Beziehungsgeflechten, wie sie zwischen Hebamme und Frau bestehen. Und gerade hier liegt das große Potenzial! Doch leider ist die Berufsgruppe der Hebammen dafür immer noch zu wenig politisch gestärkt, trotz aller Regierungsversprechen. Das Nationale Gesundheits­ziel »Gesundheit rund um die Geburt« ist bis heute nicht ausreichend mit Leben gefüllt: Wenn Hebammen politisch der Rücken wirklich gestärkt würde, könnten sie unter besseren Arbeitsbedingungen auch im besten Sinne empathisch arbeiten, ohne auszubrennen. Denn Empathie gedeiht nicht im engen Korsett, sie braucht Freiheit durch gute Arbeitsbedingungen – durch Raum und Zeit.