Glocke, Zange oder Skalpell?
Die dramatische Entwicklung der Kaiserschnittzahlen hat weltweit zum Ruf nach Gegenmaßnahmen geführt. So stellte der US-amerikanische
Verband der GynäkologInnen und GeburtshelferInnen ACOG 2014 in seinen Leitlinien zur Vermeidung des ersten Kaiserschnittes fest, dass die bisherigen Definitionen für fetalen Dysstress anhand von CTG-Mustern ebenso überprüft werden müssen wie die Erwartungen an die Geburtsdauer und die Diagnose einer Dystokie. Die Hebamme und Anthropologin Peggy Seehafer greift in diesem Heft eine historische Idee aus dem vergangenen Jahrhundert auf, nach welcher eine »normale« Geburt nur bei einer bestimmten Wehenanzahl zu erwarten sei.
Dass die Senkung der Sectiorate nicht unbedingt zu einem entsprechenden Anstieg der vaginal-operativen Geburten führen muss, zeigen die Zahlen im Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Dr. Amr Hamza, Leiter der dortigen Level-1-Geburtshilfe, erläutert, wie in seiner Klinik die Sectiorate in vier Jahren von 52 % auf unter 40 % gesenkt wurde – während die vaginal-operativen Geburten nur um 5 % zunahmen. Für Hamza ist die Kommunikation mit den niedergelassenen GynäkolgInnen und den Frauen sehr wichtig für eine gute Entscheidungsfindung.
Die sogenannte DECISION-Studie untersuchte jüngst, wovon – fiktiv – die Entscheidung für den Geburtsmodus Spontangeburt oder Sectio – beeinflusst wird. Sowohl die Gruppe des medizinischen Fachpersonals als auch die Kontrollgruppe der schwangeren Frauen würde sich demnach mit überwältigender Mehrheit gegen einen Kaiserschnitt entscheiden.
Die Kenntnis über mögliche Verletzungen am Beckenboden und deren Folgen bei vaginal-operativen Geburten könnte Frauen allerdings auch zu einer anderen Entscheidung veranlassen. Zu den tatsächlichen Risiken und deren Bewertung gibt es unterschiedliche Meinungen, wie die Beiträge in unserem Titelthema zeigen. Die Hebamme Susanne Langer und der Urogynäkologe Dr. Hans Peter Dietz, die in Australien zu den Folgen von Geburten auf den Beckenboden forschen, sind überzeugt davon, dass die Zange ins Museum gehört. Der Geburtshelfer Prof. Dr. Sven Hildebrandt dagegen verteidigt den Forzeps, wenn sie von erfahrenen Händen genutzt wird.
Hebammen entscheiden nicht über den Geburtsmodus, doch sie sollten die jeweiligen Vor- und Nachteile kennen und Frauen sachgerecht beraten können. Nach vaginal-operativen Geburten sollten sie auf häufige Beschwerden achten, damit die Frauen gegebenenfalls eine sinnvolle Nachbehandlung bekommen. Um die körperlichen und seelischen Folgen des schweren Eingriffs für Mutter und Kind gut zu verarbeiten, benötigen beide eine achtsame und professionelle Nachbetreuung – weit über die üblichen drei Wochenbetttage in der Klinik hinaus.
Tara Franke