Kammerton von zwei bis drei Hertz

  • Birgit Heimbach: „Hebammen sollten die neuen Erste-Hilfe-Regeln kennen.“

  • Bei einem von 100 Embryonen entwickelt sich das Herz mit seinen zwei Vor- und zwei Hauptkammern nicht richtig. Dies ist schnell an seinen Tönen zu hören, beispielsweise am falschen Takt. ExpertInnen, wie Dr. Nicole Nagdyman, Oberärztin im Deutschen Herzzentrum Berlin, plädieren dringend dafür, Schwangere zu motivieren, die Ultraschalldiagnostik zur Früherkennung zu nutzen. Auch wenn ein Befund schockiert und die Schwangerschaft emotional belastet. Denn je früher die Therapie einsetzt, desto größere Chancen haben die Kinder auf ein normales Leben. Inzwischen gibt es immer ausgereiftere chirurgische Möglichkeiten: Herzschrittmacher für Neugeborene sind eine Option geworden, bald soll es sie auch für Feten geben: Falls deren Kämmerchen nicht regelmäßig mit zwei bis drei Hertz (Hz), im richtigen „Kammerton", schwingen, also knapp dreimal pro Sekunde. Prof. Thomas Kohl, federführend in Europa, der derzeit sein Deutsches Zentrum für Fetalchirurgie in Gießen aufbaut, repariert die Herzkämmerchen kleiner Feten, während sie weiter tönen. Eine hohe Kunst. Transplantationen kurz nach der Geburt wurden ebenfalls schon durchgeführt. Erforscht werden Kunstherzen und Zelltransplantationen.

    Derzeit leben in Deutschland mehr als 250.000 Menschen mit angeborenen Herzfehlern. Immer mehr betroffene Frauen werden schwanger. Ihre Herzen müssen damit klar kommen, dass beispielsweise bis zu 30 Schläge pro Minute extra nötig sind. Gewisse Vorsichtsmaßnahmen sind zu beachten, die Hebammen kennen sollten, wie das simple Unterlassen von Anstrengungen und der Rückenlage, um jede Kompression der Vena Cava zu vermeiden. Auch mit den neuen Erste-Hilfe-Regeln sollten sie vertraut sein: Im Notfall zwei Beatmungen auf 30 Thoraxkompressionen beim Erwachsenen. Und das mindestens dreimal pro Minute. Immerhin kann es selbst bei zuvor gesunden Schwangeren – wenn auch selten – zu einer plötzlichen Insuffizienz des tönenden Organs kommen: etwa durch eine peripartale Kardiomyopathie, für die es nun erstmals eine medikamentöse Therapie gibt. Immer genauer wird erforscht, wie Frauenherzen schlagen und erkranken – sie sind nicht so dehnbar wie Männerherzerzen. Man weiß inzwischen, wie bei ihnen ein Herzinfarkt abläuft oder eine Stressmyocardie – das Syndrom des Gebrochenen Herzens.

    Brüche des Herzens kannte auch die Künstlerin Niki de Saint Phalle, um die es in dieser Ausgabe in unserem Kulturbeitrag geht. Immer wieder stellte sie symbolhaft das Pumporgan dar, mal ironisch in Herz-Jesu-Manier, mal als Abbild der gepeinigten Seele, mal als fröhliches Symbol für Liebe und Lebensfreude. Ein beschwingender Ort in der Toskana: In der Brust einer ihrer Riesenfiguren entstand eine Kammer, auf deren komplett mit Glasscherben bedeckten Wänden sich überall Herzen spiegeln.