»Ordnungszahlen«

  • Birgit Heimbach, Hebamme und Redakteurin der DHZ: »Während der Geburt müssen wir selbst die Zahlen und Kurven fetaler Herztöne bewerten. Dabei hilft eine faszinierende Neu-Ordnung von Zahlenwerten.«

  • Das lebenswichtige Element Sauerstoff hat in der Welt der Chemie die Ordnungszahl 8 – im Periodensystem der Elemente. Und in der Welt der Geburtshilfe hat es die Alles-in Ordnung-Zahl 140. Als medianer Wert der fetalen Herztöne (FHT) vermittelt diese: genug Sauerstoff im Gehirn des Feten.

    Rechnen und die Interpretation von Zahlenwerten gehören zur Geburtshilfe – angefangen mit der rund 200 Jahre alte Naegele-Regel zur Errechnung des Geburtstermins. Das Zählen der Herztöne bei der Auskultation nahm uns in den 1960ern der Cardiotokograf ab – zur besseren Azidose-Erkennung. Wir lernten: Eine permanente Linie von 140 wäre fatal. Aber die Kurvenmuster wechselnder Werte überforderten unser optisches Beurteilungsvermögen. Fehldeutungen führten zu mehr Sectiones und nicht zu weniger Hypoxisch-ischämischen Enzephalopathien (HIE) oder anders bedingten Zerebralparesen.

    Man versuchte, die Interpretation der CTG-Zacken und -Wellen einem Computer zu übergeben. In den 1980er Jahren fütterte eine Gruppe um den heute in Rom tätigen Geburtshelfer Prof. Dr. Domenico Arduini einen PC zusätzlich mit Aufzeichnungen von Augen-, Körper- und Atembewegungen des Fetus. Seit Ende der 1990er rechneten zwei deutsche Professoren an einer computerbasierten Analyse des CTG: Prof. Dr. Volker Michael Roemer, einst Chefarzt der Gynäkologie und Leiter des Instituts für feto-maternale Medizin in Detmold, und Prof. Dr. Rainer Walden, damals Mathematiker an der Fachhochschule Bielefeld. Zum Fall-Archiv gehörten 470 Feten.

    Als wesentlich erkannt wurde die Mikrofluktuation, die Kurzzeitvariabilität der Herzfrequenzkurve. Um etwa eine Azidose von einem Schlafzustand zu unterscheiden, war deren Programm so geschrieben, dass es diese optisch nicht erkennbare Fluktuation interpretieren und sogar treffsicher pH-Werte prognostizieren konnte. Zusätzlich gab es exakte Bewertungskriterien für Dezelera­tionen. Das Programm wurde an eine Firma verkauft, der Algorithmus in einige Geräte eingebaut, die auch vertrieben wurden. Doch nach dem Tod von Roemer wurden sie nicht mehr produziert, so die Witwe und einstige Gynäkologin Dr. Susanne Kortüm-Roemer.

    In Oxford entwickelten Prof. Dr. Chris Redman, Geburtshelfer, und Prof. Dr. Geoffrey S. Dawes, Spezialist für fetale und neonatale Physiologie, in über 35 Jahren einen Algorithmus anhand von immerhin 100.000 CTG-Ableitungen. Ihr Computer-CTG wird nun international bei fetaler Wachstumsrestriktion eingesetzt. Ebenfalls durch Messung kleinster Zahlenvariationen in kurzer Zeit (Short Time Variation) entdeckt auch dieses subtile Veränderungen und beurteilt sie ganz objektiv – allerdings nur vor Wehenbeginn. 

    Während einer Geburt müssen wir selbst die Zahlen und Kurven fetaler Herztöne bewerten. Dabei hilft eine faszinierende Neu-Ordnung von Zahlenwerten – nicht von Mustern: die physiologische CTG-Interpretation von Prof. Edwin Chandraharan, Geburtshelfer aus UK. Auch die 140 wird dabei abhängig vom Gestationsalter neu bewertet.