Programmierte Körperfülle

  • Birgit Heimbach: „Wichtig in der Bekämpfung von Adipositas ist neben Aufklärung auch die Vermittlung eines neuen positiven Selbstwert- und Körpergefühls“

  • Im Barock stopften sich Frauen Lederwürste voll Rosshaar unter die Röcke: Weiberspeck genannt. Speck auf den Hüften galt als schön. Mit der gleichnamigen Plastik thematisiert die Künstlerin Birgit Dieker Figurprobleme und eines der gravierendsten neuen Volksleiden: Adipositas. So schnell wie damals sind Betroffene die Ringe heute nicht los. Abzuspecken ist für viele ein schier unmögliches Unterfangen. Aber je länger übergewichtig, desto schwerer die Schäden im Körper, darunter Gelenkverschleiß, Diabetes und Krebs. In vielen Universitäten ist man dem grassierenden Phänomen des Überflusses auf der Spur. Die biochemischen, genetischen und epigenetischen Grundlagen von Adipositas werden mit Eile erforscht. Immer klarer werden die komplizierten Regelkreise, mit denen Appetit, Energieaufnahme, Nahrungsverwertung und Gewicht gesteuert werden. Dass Gene dabei eine erhebliche Rolle spielen, ist eine der neuesten Erkenntnisse.

    Besonders große Gesundheitsprobleme bergen Pfunde für werdende Mütter und ihre Kinder. Es gibt dann etwa mehr Fehl- und Frühgeburten. Gefürchtet sind ein Gestationsdiabetes und ein metabolisches Syndrom: die Kombination aus Übergewicht, Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck und Insulinresistenz. Die Geburt setzt bei Übergewichtigen meist verspätet ein, dauert länger, ist schmerzhafter und verläuft meist komplizierter. Im Wochenbett drohen Thrombosen. Für das Kind bedeutet die fetale Überernährung, für das ganze Leben programmiert zu sein aufs Dicksein.

    Hebammen finden in der Beratung des Lebensstils und der Ernährung ein weites Feld. Das Hinterfragen des modernen Konsums sieht der französische Geburtshelfer Michel Odent als Lebenschance. Mitunter helfen einfache Regeln, wie etwa das Vermeiden von Süßem, Einfachzucker und weißem Mehl besonders ab der 37. Schwangerschaftswoche. So ist die für die Geburt nötige Prostaglandinmenge nicht gefährdet. Neue Tipps kommen aus der Forschung: wie der tägliche einstündige Aufenthalt an kalter Luft, um das kälteempfindliche Fettgewebe zu aktivieren, Kalorien zu verbrennen.

    In Europa hat man der Adipositas den Kampf angesagt, aber auch in Afrika, dem Kontinent der Unternährung, besteht Bedarf: Wie früher hierzulande, gelten nun dort Dicke als schick und schön. Das zeigen etwa die Skulpturen der Bildhauerin Colleen Madamombe (siehe Rubrik Kultur). Experten warnen vor dem wachsenden Problem des Übergewichts in einigen der Länder. Statt der Mangelernährung gibt es inzwischen vielfach eine kalorische Überernährung. Und weil der Stoffwechsel bei Mangel so umgestellt wird, dass auch danach alle aufgenommene Nahrungsenergie voll ausgenutzt wird, kommt es gehäuft zu Übergewicht, vor allem beim Nachwuchs. Adipositas wäre ein gutes, globales Thema auf dem Kongress der International Confederation of Midwives, dem ICM-Kongress, in Südafrika im Juni!