Schwangere in der Zuckerkrise

  • Birgit Heimbach: „Hebammen sollten mehr Gespräche über Essgewohnheiten führen.“

  • Früher waren Diabetikerinnen meist unfruchtbar. Von denen, die schwanger wurden, starb die Hälfte im Koma. Das änderte sich 1922 durch die Einführung des Insulins. Doch bis in die 1980er Jahre war der Ausgang für Mutter und Kind eher ungewiss. Die WHO setzte 1989 in der St.-Vincent-Deklaration das Ziel, dass sich der Verlauf der Schwangerschaft von Nichtdiabetikerinnen und Diabetikerinnen nicht unterscheiden sollte. Das wurde weitgehend erreicht. Heute kann der Stoffwechsel von Zuckerkranken so gut eingestellt werden, dass eine Schwangerschaft für Mutter und Kind gut verläuft.

    Heute haben wir das große Problem, dass die Zahl der Erkrankten drastisch steigt: Bereits 0,4 bis 0,8 Prozent unserer Schwangeren haben einen präexsistenten Diabetes mellitus. Hinzu kommen fünf Prozent mit einem Gestationsdiabetes. Insgesamt leben in Deutschland bereits rund acht Millionen zuckerkranke Männer, Frauen und Kinder. Die meisten sind am Diabetes Typ 2 erkrankt, den man früher den Alters-Diabetes nannte. Das Fatale an diesem Typ ist, dass er zunächst wenige Symptome verursacht und er deshalb oft erst spät entdeckt wird. Auslöser sind vor allem falsche Ernährung – zu viel Zucker, zu viel Fett – und mangelnde Bewegung. Immer mehr Kinder sind betroffen. Es ist schwer für sie: Überall lockt der Konsum. Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kinder- und Jugendalter schätzt, dass zehn bis 20 Prozent aller Schulkinder und Jugendlichen übergewichtig sind. Janni Weiten, eine Kinderärztin in Berlin, die sich auf die Arbeit mit übergewichtigen Kindern spezialisiert, befürchtet, dass wir in zehn Jahren viele junge Erwachsene mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen haben.

    Letztlich sind es die Eltern, die über die Gesundheit ihrer Kinder entscheiden. Und das schon ganz früh. Deshalb sollten Hebammen mehr Gespräche über Essgewohnheiten führen. Sehr bereichernd finde ich hierzu zwei Beiträge: Die Hebamme und Diabetesassistentin
    Regine Hentschel meint, dass sie bei ihrer Ernährungsberatung den Umstand nutzt, dass Schwangere für die Vorgänge ihres Körper so viel Empathie haben wie selten zuvor. Der Gynäkologe Dr. Michael Abou-Dakn betont, dass Schwangere – gerade die mit einer Diabetes-Erkrankung – zum Stillen motiviert werden sollten, um das gesundheitliche Risiko für sich selbst und für das Kind zu senken. Von einem Baby, das durch eine Zuckerlösung so überdimensional groß wurde, dass es das Haus sprengte, schreibt Fernando Botero in der verrückten Kurzgeschichte „Baby“. Ansonsten hat der kolumbianische Maler – fernab der europäischen Zuckerkrise – ein besonderes Verhältnis zum Volumen. Er malt fast nur füllige Menschen. Sie haben allerdings keinen Hunger nach Süßem, sondern
    nach Raum.