Symptome ernst nehmen
Noch ist nicht geklärt, ob alle oder nur manche Ursachen einer Präeklampsie (PE) eher maternal oder plazentar sind. Auch ist noch unklar, was Ursache und was Folge ist, so Prof. Dr. Holger Stepan, Leiter der Geburtsmedizin am Uniklinikum Leipzig. Er sprach im Dezember auf der Tagung »Präeklampsie und IUGR – State of the Art« in Berchtesgaden, von der ich in der Aprilausgabe der DHZ berichtete. Bei der Zusammenstellung des Titelthemas dieser Ausgabe zeigte sich nun, dass tatsächlich viele unterschiedliche Erkrankungen einer Schwangeren häufiger mit einer PE assoziiert sind: ob Endometriose, psychische Erkrankungen, Hyperemesis, Covid-19, peripartale Kardiomyopathie oder schwangerschaftsassoziierte Hepatopathien.
Medizin bedeutet, ständig weiter zu lernen. Das heißt auch, immer neue Pathogenesen auszumachen. So lernen wir gerade die möglichen Folgen von Covid-19 für Schwangere kennen. Auch wissen wir nun etwa, dass Frauen nach einer PE zeitlebens ein Risiko für Bluthochdruck haben. Manche neu vermuteten Risiken müssen noch verifiziert werden. So hat Dr. Alexandra Purdue-Smithe vom Brigham and Women’s Hospital in Boston kürzlich veröffentlicht, dass Migräne – vor allem die Form mit Aura – ein weiterer Risikofaktor für Präeklampsie sein könnte und daher betroffene Frauen über potenzielle Risiken in der Schwangerschaft aufgeklärt werden sollten. Für Frauen mit idiopathischen Kopfschmerzen gibt es hierzulande noch keine klaren Empfehlungen und Therapien. Das ändert sich: Die Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft beginnt in diesem Jahr mit der Arbeit an einer Leitlinie.
Auch für Hyperemesis gravidarum (HG) gibt es in Deutschland noch keine Leitlinie. So besteht die Gefahr, dass Symptome vom betreuenden Personal nicht ernstgenommen oder relativiert werden. Der Bericht einer Betroffenen in dieser Ausgabe macht dies dramatisch deutlich. Der Fachartikel zum Thema HG erläutert den Stand der Forschung und zeigt neue Therapien auf. Das führt in Zukunft hoffentlich zu einer besseren Versorgung. Angesichts neu entdeckter Risiken und ihrer Behandlung gilt es aber auch zu berücksichtigen, was die Hebamme Andrea Ramsell auf dem Präeklampsie-Kongress erklärte: Laut WHO besteht in Industrieländern eher die Gefahr der Fehl- und Überversorgung mit hohen Interventionsraten und Medikalisierung – mit negativen Folgen für die Schwangerschaft. Sie plädiert in dieser Ausgabe dafür, salutogenetische Aspekte mehr zu betonen.
Der Spagat ist nicht leicht zwischen einer möglichst umfassenden, lieber etwas zu vorsichtigen Betreuung, die um das Nichtwissen über bestimmte Pathogenesen und eine mögliche Unterschätzung von Risiken weiß, sowie einer Begleitung, die Frauen empowern und nicht unnötig pathologisieren soll. Neben dem Verständnis von Pathogenesen müssen wir jedenfalls offensichtlich noch lernen, Frauen besser zu stärken: etwa durch Aufklärung und Ernstnehmen ihrer Symptome.