Typisch Mutter?

  • Birgit Heimbach: „Das Loslassen und Weggeben fand ich schwieriger als das Behüten und wärmend Haltende.“

  • Unseren Kindern sollten wir deutsche Mütter ersparen, meint Barbara Vinken, Professorin für Romanistik und Mutter eines Kindes. Wir sollen abfallen vom deutschen Glauben, der in der von Mutterliebe durchdrungenen Familie das Versprechen einer heilen Welt sieht. In ihrem Buch „Die deutsche Mutter – Schatten eines langen Mythos“ plädiert sie für Ganztagskrippen ab sechs Monaten, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen – zum Wohl für Mutter und Kind. Sie spricht vom „Outsourcing der Kinderbetreuung“. Für die meisten Mütter hierzulande eine Provokation. Sie bedauern die um Mutterliebe geprellten Kinder etwa in Irland und Frankreich, wo ein solcher entprivatisierter Tagesablauf Standard ist. Immerhin sind bereits jetzt schon hierzulande die meisten Kinder ab drei Jahren vormittags „institutionalisiert“, viele noch jüngere werden regelmäßig „fremd betreut“. Der Hauptgrund dafür ist, dass Frauen durch ihre eigene qualifizierte Ausbildung neben dem Muttersein noch andere Interessen, berufliche Ziele haben. Aber mehrheitlich brauchen sie für diese Lebensform Theorien, die ihnen das schlechte Gewissen nehmen, ihnen versichern, dass die leibliche Mutter doch nicht so ausschließlich wichtig für das Kind ist. Dass schon kleine Kinder in der Lage sind, Beziehungen zu mehreren Bezugspersonen aufzubauen. Dass sie Gruppen mit anderen Kindern für ihr Sozialverhalten brauchen. Dass sie sich auch bei außerhäuslicher Betreuung wunderbar entwickeln können.

    In meinem Innersten habe ich mich trotz solcher Informationen nie ganz wohl gefühlt, als ich meine Kinder „wegbrachte“, um – dennoch mit Lust – zu arbeiten. Sie fehlten mir, und ich hatte das Gefühl, ich fehlte ihnen. Das Loslassen und Weggeben fand ich persönlich
    schwieriger als das Behüten und wärmend Haltende. Soll das daran liegen, dass ich deutsch bin? Dass ich wie fast alle Kinder damals eine „Mutti“ hatte, die rund um die Uhr für ihre beiden Kinder da war, und von diesem Vorbild geprägt bin? Für mich wäre ein Aufwachsen, wie es sich Vinken vorstellt, auf jeden Fall nichts gewesen.

    In diesem Heft gehen wir der Frage nach, was dran ist am deutschen Mütter-Mythos, wie Muttersein in Deutschland heute aussieht, wie viel Bemutterung Kinder brauchen, wie viel Mutterglück Frauen brauchen, wie sie die Doppelbelastung von Familie und Beruf
    gesundheitlich vertragen. Was bedeuten überhaupt Mütterlichkeit und Fürsorge? Hebammen können bei der heute oft schwierigen Orientierung junger Mütter eine wertvolle Rolle spielen. Im Kulturteil geht es um Käthe Kollwitz, die vor rund 100 Jahre begann, mit besonderer Ernsthaftigkeit das damalige Schicksal von Müttern bildnerisch auszuloten. Trotz ihrer Hingabe an ihre zwei Söhne verschwand sie nicht im „bestgeschützten Reservat der Welt, der deutschen Mutter-Kind-Symbiose“ (Vinken), sondern schuf politische Werke, die bis heute Sinn stiften.