Unser Handwerk ist in Gefahr

Generationen junger Hebammen und Ärzte haben von älteren Kolleginnen die Geburtshilfe gelernt – von denen, die dem jahrzehntlangen anstrengenden Schichtdienst im Kreißsaal standgehalten und ihre Liebe zum Beruf und zu den Frauen erhalten haben. Und von den Hebammen der freien Praxis, die mit den häuslichen Verhältnissen ihrer Schwangeren vertraut waren: Familienhebammen, lange bevor es dieses Wort dafür gab, führten die Schwangeren durch die beginnende Mutterschaft – natürlich auch bei der Geburt. Sie alle hatten in einer Zeit ihre fachliche Kunst gelernt, als für geburtshilfliche Herausforderungen ein Kaiserschnitt nicht die nächstliegende, sondern die allerletzte Lösung war. Beckenendlagen und Mehrlingsgeburten waren für diese Hebammengenerationen keine Hochrisikogeburten, sondern gehörten zum alltäglichen Handwerk. Ihre große Verantwortung trugen sie in erster Linie gegenüber der Familie, der sie auch später noch begegnen mussten. Die Angst, dass sie bei einem unerwünschten Ausgang der Geburt – trotz ihres sorgsamen Handelns nach bestem Wissen – in Regress genommen werden könnten, saß ihnen nicht so bedrückend im Nacken wie heutigen GeburtshelferInnen. Dieses hochwertige geburtshilfliche Handwerk, mit seinen „Feingriffen“ und dem tiefen Verständnis um die Zusammenhänge der Geburt gerät zunehmend in Gefahr zu verschwinden – bei Hebammen wie Ärzten.

Kolleginnen mit großem Wissen und gereifter Erfahrung gibt es auch heute. Aber die Bedingungen für die Geburtshilfe haben sich radikal geändert. Das zeigte sich beispielsweise beim interdisziplinären Workshop „Probleme des Praxisalltags aus Sicht der Hebamme, des Gynäkologen und des Juristen“, der Ende Oktober in einem voll besetzten Hörsaal der Medizinischen Hochschule Hannover stattfand: Eine Kreißsaalhebamme aus dem Publikum stellte den Juristen einen Fall vor, als eine Gebärende von Mehrlingen die Wanne nicht verlassen wollte, obwohl dies nach ihrer Einschätzung nicht der richtige Ort für die Geburt war. Sie konnte die Eltern nicht von ihrer Sorge um die Ungeborenen überzeugen, eine Kollegin übernahm, und die Eltern beschwerten sich später bei der Klinikleitung. „Sie haben völlig richtig gehandelt!“, kommentierte der Jurist ihr strenges Vorgehen. Wenn man geburtshilfliche Gefahren voraussehe, genüge keineswegs eine umfassende Aufklärung und Warnung. Er zitierte die aktuelle Rechtsprechung, wonach dem Fürsorgegedanken entsprechend „eine laute, drastische Intervention, bis hin zum Eklat“ zu verlangen sei, um die Schwangeren zur Kooperation zu veranlassen.

Wie kann eine feinsinnige Geburtshilfe möglich sein, wenn Eltern als potenzielle Gegner aufgefasst werden (müssen), die einen unter Umständen in juristische Schwierigkeiten bringen könnten? Was für ein Klima prägt dann den Raum, wenn nicht mehr ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Geburtshelfern zur Überzeugungskraft auch in herausfordernden Situationen führt, sondern Durchsetzungsvermögen?