Verweigerung!

  • Katja Baumgarten: „Wie unerschrocken und kraftvoll muss eine Frau sein, wenn sie sich vertrauensvoll in die Zukunft mit ihrem neugeborenen Kind aufmacht?“

  • Der Selbsthilfeverein Licht & Schatten schätzt, dass hierzulande jährlich für etwa 100.000 Frauen ihre Mutterschaft mit einer seelischen Krise beginnt – genau in der sensiblen Zeit, die für die Eltern-Kind-Bindung so wichtig ist. Sich diesen enormen Anteil belasteter Familien bewusst zu machen, ist schwer zu ertragen – auch heute noch ein Tabu. Was drückt sich aus in dieser Erkrankung der Seele? Wie oft mag dieses familiäre Drama ganz in unserer Nähe ohne Hilfe in den eigenen vier Wänden im Stillen gefangen bleiben? Ist eine peripartale Depression nur als ein individuelles Problem, als hormonelle Entgleisung, als lebensgeschichtliche Schwäche zu deuten?

    Wenn fast ein Sechstel aller Mütter mit verletzter Seele aus ihrer Schwangerschaft und Geburt hervorgehen, sinniert man über Zusammenhänge. Diese Mütter funktionieren nicht erwartungsgemäß – ihr Unvermögen, die Rolle als liebende, fürsorgliche Mutter zu erfüllen, ist eine innere Verweigerung, wenn auch nicht bewusst und freiwillig. Sie sind der Sand im Getriebe in der Keimzelle der Gesellschaft, sie bedienen nicht unser Bild vom Familienglück. Ihr Leid ist eine stille Demonstration, die gehört und ernst genommen werden muss.

    Was mag diese Frauen daran hindern, zuversichtlich in die Mutterschaft zu starten? Durch den an Defiziten orientierten Blick in der Schwangerenvorsorge werden immer mehr Frauen systematisch ihr Selbstvertrauen und ihre Eigenkompetenz als Mutter abtrainiert. Viele erleben ihre Geburten mit zahlreichen Interventionen ohnmächtig und behalten sie als persönliches Versagen in Erinnerung. Auch die unzähligen Trennungsgeschichten im Umfeld – selten wird die Elternschaft anschließend wirklich reibungslos geteilt, ohne dass die Mutter auf dem Löwenanteil der Verantwortung sitzen bleibt. Wie unerschrocken und kraftvoll muss eine Frau sein, wenn sie sich ohne Brüche vertrauensvoll in die Zukunft mit ihrem neugeborenen Kind aufmacht? Auch nach über 100 Jahren Frauenbewegung und über 60 Jahre nach der Veröffentlichung von Simone de Beauvoirs Werk „Das andere Geschlecht" ist die Frage der Mutterschaft gesellschaftlich noch nicht zufriedenstellend gelöst: Die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft liegt ebenso im Argen wie die selbstverständliche und unterdessen fast langweilige Forderung nach gleicher Bezahlung und Chancengleichheit von Frauen und Männern. Spätestens wenn die Frau zur Mutter wird, spürt sie die Falle, in die sie durch ihre Biologie geraten kann, wenn sie plötzlich selbst schutzbedürftig und abhängig wird, im Moment wo sie ihrem Kind ihren Körper schenkt und ihre Seele öffnet. Mit der Entscheidung zum Kind werden ihre eigenen Entscheidungen von nun an auf längere Sicht hin nicht mehr frei sein. Wen wundert‘s, wenn der Übergang nicht für jede Frau ohne schwere Krise zu meistern ist.